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Le mani sulla città (I 1963, F. Rosi)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 04.12.2006 18:49    Titel: Le mani sulla città (I 1963, F. Rosi) Antworten mit Zitat

gesehen am 30.11.2006 (DVD); 4/5

Der Bauunternehmer Eduardo Nottola (Rod Steiger) wirtschaftet als Abgeordneter des Stadtparlaments in Neapel in die eigene Tasche. Er benutzt seinen politischen Einfluss dazu, von ihm billig gekauftes Landwirtschaftsgebiet am Stadtrand für ein riesiges Siedlungsprojekt erschließen zu lassen, für welches er noch zusätzliche staatliche Zuschüsse erhält. Als in der Innenstadt neben einer seiner Baustellen ein mangelhaft gesicherter Altbau einstürzt und zahlreiche Bewohner unter sich begräbt, verlangen seine politischen Gegner eine gründliche Untersuchung. Die eingesetzte Kommission läuft sich im Irrgarten der Bürokratie tot. Dennoch ist der öffentliche Ruf Nottolas als möglicher Baureferent des Staates für die kommenden Wahlen angeschlagen; auch in der eigenen Partei lässt man ihn als Kandidat fallen. Doch Nottola entzieht sich dieser Karriere-Falle, indem er die Partei wechselt; seine Finanzkraft als Unternehmer öffnet ihm – trotz mancher innerparteilicher Proteste – alle Türen. Die neue Partei Nottolas gewinnt die Wahlen und Nottola wird Baureferent der Stadt, der seine geplanten Projekte verwirklicht.

Rosis Film ist direkt, dramatisch, lehrfilmhaft. Vor allem ist er direkt: die Dramatik ist beinahe nie auf die Figuren gerichtet, sie zielt auf den abstrakten Apparat der Politikmaschine; Rosi will aufdecken und modellieren, was hinter den Kulissen geschieht, wie es dort funktioniert – er erzählt von den Beziehungen zwischen den Machtträgern sowie deren Geschäftskalkül. Um eine Dramatisierung des realistischen Szenarios kommt der Film dabei nicht herum – Rosi bedient sich durchaus der Genrekonventionen, vor allem jener des Thrillers und gibt seinem Film (und dem für viele blassen Thema) eine dramatische Struktur. Der spektakuläre, dramatische Kern ist der Einsturz des Wohnhauses, dessen Ursprünge im Film nie geklärt werden (die Untersuchung verläuft im Sand) und genau dies bewirkt u. a. die Kollision von wirtschaftlicher und politischer Macht, auf deren Denunzierung es Rosi ankommt. Das emotionale Bild des Einsturzes ist die Grundlage für den Lehrfilm, der die Konsequenzen dieses Unfalls dokumentiert.

Der dokumentarische Charakter, der sich durch den häufigen Perspektivenwechsel und durch die Verbalisierung des Geschehens manifestiert (in Form von nüchtern gefilmten und aneinander montierten Erklärungen, Verlautbarungen, Pressekonferenzen, Kommissionssitzungen und natürlich in der Rhetorik parlamentarischer Redeschlachten), wird wiederholend durchbrochen durch eine durchdringende, übersteigende Bildsprache (etwa in der Eröffnungs- und Schluss-Sequenz mit den Luftaufnahmen der beton-wuchernden, nicht mehr identifizierbaren Stadtsiedlungen als „Existenzzellen“ – dazu ist eine Musik zu hören, die an Horrorfilme erinnert –, oder die ausführlich gezeigten Parlaments- und Parteidiskussionen, an deren Ende doch keine Entscheidung steht und deren obligates Umschlagen in Tumult oft abstrakt wirkt) sowie durch eine effektive, funktionale Rollenauswahl und exzellente Besetzung, welche die sperrigen, schwer zugänglichen „Modellfiguren“ psychologisch glaubwürdig macht.
Eindeutig festgelegte Stereotypen sind unter den Politikern vornehmlich zu finden: der linke Idealist, der christliche Humanist, der rechte Zyniker und der wendige Opportunist – sie sind nicht mehr als hart bis an den Rand der Karikatur typisierte Träger ihrer (öffentlichen) Rollen. Auch einige wenige Details aus deren Privatleben schmücken die vertrauten Robotbilder aus: der „rechte Zyniker“ wird von einem devoten Butler bedient, im Schwimmbad seiner Villa oder im Kasino, wo ihn eine Blondine mit Hündchen vom Spieltisch wegholt; der „Opportunist“ in seiner mit Stilmöbeln und Gemälden ausstaffierten Wohnung samt Hauskapelle.

Eine Sonderstellung genießt die Figur des Nottola: Zwar hat diese „bigger-than-life“-Verkörperung des dynamisch-skrupellosen Baumoguls schon gar kein Privatleben und verbringt scheinbar Tag und Nacht in seinem ausufernden Büro, dessen Wände und selbst Jalousien mit riesigen Fotos seiner Überbauungen tapeziert sind (die man tags auch in natura durch die Glasfront sieht: ein seltsamer Spiegeleffekt zwischen Außen und Innen); aber gerade das gehört zu den Zügen, die in Rod Steigers Darstellung dieser Figur eine faszinierende Vielschichtigkeit verleihen. Anders als alle Personen im Film ist Nottola ein Besessener, der nicht persönlicher Macht oder Bereicherung wegen, sondern um des Bauens willen baut, und Baureferent will er werden, um noch mehr und ungestörter zu bauen. „Geld ist nicht wie ein Auto, das nutzlos in der Garage stehen kann. Es ist wie ein Pferd, das jeden Tag rennen und fressen muss“, erklärt er einmal passend im Film. Hierin zeigt sich nicht nur eine Anklage gegen Korruption, die noch vergleichsweise als menschliche Schwäche zu werten ist (Nottola macht sich die Korruptheit anderer zu Nutze, korrumpiert mit, ist aber selbst nicht korrupt), sondern auch gegen kalten Fanatismus und technokratische Gier.

„Hände über der Stadt“ beleuchtet die Kehrseiten des Kapitalismus für den Bürger (ohne, dass dieser so ausführlich gezeigt wird wie der Politiker), das „System“ Demokratie auf packende Weise und dennoch wirklichkeitsnah. Dazu passt, das sich der Italiener Rosi – als ein Vertreter des politisch engagierten Autorenfilms – in seinem filmischen Gesamtwerk häufig auf den Filz zwischen Mafia, Macht und Kapital kühl und doch eindeutig anklagend konzentriert hat (man denke auch an Filme wie "Salvatore Giuliano" oder "Der Fall Mattei"). Wie ein Ermittlungsbeamter verschafft sich der Regisseur stellvertretend für die Zuschauer ein objektives Bild, doch im selben Moment drückt er sich nicht um dessen Bewertung. Der Film gleicht einem Prozess. Die Fakten werden nüchtern und sachlich präsentiert, am Ende wird das Urteil gesprochen (am Ende von "Hände über der Stadt" steht ein ziemlich desillusionierendes Urteil). Wo allerdings im (vornehmlich amerikanischen) Polizeifilm der 80er und 90er Jahre Polizisten „durchdrehen“ und ein Massaker unter Verbrechern anrichten, weil hierin die einzige Alternative dazu liegt, selbst korrupt zu werden, sind Rosis Helden meist angepasste, brave Beamte. Stur üben sie ihren Beruf noch im Scheitern perfekt aus. Durch diese distanzierten „Sisyphos“-Helden wird die Tragödie des Staates im Kampf mit dem Kapitalismus enthüllt, werden die illegalen Ursprünge des freien Unternehmertums bloßgelegt.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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