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The Aviator (USA/J/D 2004, M. Scorsese)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 22.12.2006 10:33    Titel: The Aviator (USA/J/D 2004, M. Scorsese) Antworten mit Zitat

gesehen am 22.12.06 (DVD); 3/5

Ein Hand ragt durch das Dunkel, nachdem sich ein paar gelbfarbene Lampen entflammt haben. Sorgfältig entfernt sie den Deckel einer kleinen Seifendose. Eine Mutter wäscht ihren entkleideten Sohn. "Q-U-A-R-A-N-T-Ä-N-E" buchstabiert sie ihm und der Junge sagt es ihr nach. Die Hand, die im Dunkel nach "Erlösung" greift, die dann wiederum zur Hand von Howard Hughes wird, kriegt man noch oft zu sehen: Nach der Seife greifend um sich und seine Hände "rein" zu waschen, um den Trinkvorgang einer Flasche Milch einzuleiten, am Schaltknüppel seiner zahlreichen Flugzeuge, beim Streichen über die Oberfläche einer neuen Maschine oder den Rücken der neuen Geliebten (Katherine Hepburn, wunderbar dargestellt von Cate Blanchett) und wenn er sie von seinem Privatkino-Sitzplatz aus in die Höhe hält und sie im Licht des Projektors beäugt. Jahre später: Wir befinden uns in der Wüste und der kleine Junge ist zum jungen, aufstrebenden Tycoon geworden. Howard Hughes kommandiert eine Heerschar von Flugzeugen, dreht seinen ersten Film "Hell's Angels", den vielleicht ersten Blockbuster der Hollywood-Geschichte. Zugleich stellt er eben mal Noah Dietrich (John C. Reilly) ein, seinen langjährigen Finanzchef und steigt selbst ins Flugzeug um eine der Kameras zu schwenken, für deren erstaunliche Anzahl MGM-Boss Meyer nur ein spöttisches Lächeln übrig hat. Was hier schon wie der pure Wahnsinn eines Besessenen wirken muss, dass wird sich im Laufe des Films immer weiter steigern: Am Ende kämpft Hughes gegen die Regierung, gegen einen konkurrierenden Fluglinien-Mogul, gegen eine spießige Zensur und vor allem gegen sich selbst.

Ohne Zweifel: Wir befinden uns im filmischen Universum von Martin Scorsese. Wieder geht es um "einen 'Niemand', der 'Jemand' werden will", wie Georg Seeßlen einmal den typischen Scorsese-Helden beschrieb. Gemein haben sie alle, dass ihnen die Katharsis (die seelische Reinigung) verwehrt bleibt: Travis Bickle, der sozial isolierte Taxifahrer in "Taxi Driver", Jake LaMotta, der unbeherrscht-sture Boxer in "Raging Bull", der zweifelnde Jesus Christus in "The last temptation of Christ", Henry Hill, der ruchlose Mafiosi in "Goodfellas", der Dalai Lama in "Kundun", der Krankenwagenfahrer in "Bringing Out The Dead" oder Bill The Butcher, der infernalische Metzger in "Gangs of New York". Sie alle sinnen auf Erlösung, um sich am Ende wieder dort zu finden, wo sie begonnen haben: Travis sitzt wieder in seinem Taxi, Jake boxt sich als Entertainer in seiner Garderobe fürs Publikum mit Shakespeare warm, Henry Hill führt die Durchschnittsexistenz, vor der er sich ins Mafia-Leben geflüchtet hat: das Martyrium bleibt ihnen verwehrt. Sie alle wollen eigentlich nur eins: Sterben, um in den Himmel zu gelangen. Genau wie es Sartre bemerkte: "Der Mensch ist für die Freiheit nicht geboren". Der Scorsese-Held geht an ihr zu Grunde. Sie alle eint ihre Obession "zu erschaffen". Scorseses Helden leben und definieren sich in ihrer Profession bzw. Obsession. Allesamt sind mehr oder weniger "Künstler", einsam. Ihnen verschwimmt die Menschenmasse vor den Augen zu silhouettenhaften Figuren.

Nun also Howard Hughes, auf dem sich diese Motive perfekt anpassen lassen. Ein obsessiver, vom amerikanischen Pioniergeist getriebener Produzent und Regisseur millionenschwerer Hollywood-Epen, ein Pilot der größten Flugmaschinen der Welt, einer, der die gesamte Welt in 4 Tagen überquerte und dem die Frauen zu Füßen liegen. Einer, der alles will und alles kriegt. Bis auf eins: Perfektion. Es geht hier allerdings nicht darum, die Biographie eines krankhaften Zwangsneurotikers zu zeichnen, indem er nüchtern seine Lebensstationen abhakt. Auch geht es Scorsese nicht darum, eine Hommage auf das glamouröse Hollywood der dreißiger Jahre abzuliefern, dass sich nicht zuletzt durch einen siegreichen Krieg in selbstgerechtem Patriotismus wähnte. Und ebenfalls nicht darum, dass Krankheitsbild der Zwangsneurose nachzuzeichnen.

Scorsese erzählt mit seinem Psychogramm eine Geschichte der zivilsatorischen Selbstzerstörung, die auf der Welle des unermesslichen Machtstrebens der USA nach dem 2. Weltkrieg in Gang gesetzt wurde und für die er in der Zwangsneurose seines Protagonisten eine überaus treffende Metapher findet. Zugleich erzählt er diese Geschichte nicht als "Geschichte", sondern als großes Tableau einzelner Fragmente. Nicht umsonst hat Scorsese einmal gesagt, er teile seine Filme nicht in Akte, sondern eher in Kapitel. In "Aviator" hat er diese Form perfektioniert: Hughes scheint in allem aufzugehen, in seinen Siegen wie Niederlagen, seinen Anfällen, seinen Affären, seinen "Ticks" - in seinen Widersprüchen. Dieses Bildermosaik ist schon in seiner erzählerischen Wucht beinahe so gewalttätig und wild, so unberechenbar wie jene irrational hervorbrechende Brutalität von Joe Pesci in "Goodfellas". "Aviator" enthält keine Botschaft, er lässt, wie alle guten Scorsese-Filme, kein abschließendes Résumé zu. Der Film ist ein latent spürbarer Schmerz. Eine Wunde, die ausblutet, oder wie es in der Rezension der "Zeit" zu "Aviator" formuliert wurde: Es geht um einen "Gärtner, der immer nur Unkraut jätet und am Ende den Garten vernichtet hat."

In der wohl abstraktesten Sequenz, als sich Howard Hughes in seinem Vorführraum mit langgewachsenen Haaren, Bart sowie Fuß- und Fingernägeln (bei den "Simpsons" wurde dieser, auf Tatsachen beruhender Vorfall bereits lange vor "The Aviator" parodiert, als Mr. Burns ein Spielcasino eröffnet und Mr. Smithers mit einer Pistole droht, in ein Miniaturflugzeug zu steigen) verbarikadiert, sieht man eine Sekunde lang ein brennendes Flugzeug als Projektion auf seinem Rücken abstürzen. Hier wird auch noch die Perfektion der Projektion und damit der "Bild-Werdung" hinterfragt. Was wir als Zuschauer in Hughes nicht zu sehen in der Lage sind, dass wird auf seinem geschundenen Körper zur Leinwand. Wie ikonografiert, wie verbildlicht ist also der moderne Mensch, der sich immer wieder hinterfragt? Wie zerstückelt? Zerstückelt wie der Film, der über ihn gemacht wurde? Und wie neurotisch und zugleich erlösend ist die Destruktion der Technik? Vielleicht ist ja auch Hughes die abstürzende Maschine. Der zur Technik gereifte Mensch.

Martin Scorsese ist mit "Aviator" die wahrscheinlich furioseste Bebilderung eines Moguls seit Orson Welles' "Citizen Kane"gelungen. Beinahe jede Einstellung dieses Films scheint zu stimmen und zugleich haftet ihr immer der Nachdruck eines tiefsitzenden Zweifels an. Es ist, als glaube Scorsese nicht an die Welt, weil Howard Hughes nicht an sie glaubt. Und gerade jener Kniff macht "Aviator" in der Unschlüssigkeit seiner Hauptfigur so schlüssig. Die Kulissen und Kostüme, die virtuose Kamera von Robert Richardson, welche die heftigen Türkis- und Rottöne des frühen Technicolor variiert und damit eine unwirkliche, eben filmische, Abstraktion von Hughes Innenleben schafft, sind indes überwältigend. Gar überzogen sind die CGI-Effekte, die der Film gar nicht nötig gehabt hätte. Man denke vor allem an die Testflugszenen: Scorsese zeigt sie mit Hilfe der Spezialeffekte von allen Seiten, fährt von oben herab und um sie herum wie einst James Cameron um die "Titanic" - Scorsese hätte hier mehr die Vorstellungskraft der Zuschauer bemühen können.

"Aviator" ist eine opulente, exzellent gespielte Americana, eine Geschichte über die USA - wie dieses Land zu dem wurde, was es ist, nicht, wie es hätte werden können. Darin liegt vielleicht auch das Missverständnis derer, die den Film enttäuscht besprochen haben: es handelt sich weniger um einen Film über Howard Hughes - über dessen psychologische Befindlichkeiten, die biografischen Stationen seines Lebens oder gar über so etwas wie die historische Wahrheit -; vielmehr dient Hughes als Modell für Scorseses Visualisierung der amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert - eine Geschichte der zivilisatorischen Barbarei.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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