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Céline et Julie vont en bateau (F 1974, J. Rivette)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 09.01.2007 12:02    Titel: Céline et Julie vont en bateau (F 1974, J. Rivette) Antworten mit Zitat

gesehen am 02.01.2007 (DVD) und 24.08.2018 (BD); 4/5

Meist begann es so. So beginnt der Film. Damit, dass Julie auf der Bank im Park sitzt, ein Buch über Magie liest, Celine vorbeieilt, etwas fallen lässt und es beginnt eine Verfolgung, die eine Verführung ist, eine spielerische Jagd hoch nach Montmartre, eine langsame Annäherung dann der beiden Frauen. Aber, am nächsten Tag - das Insert, bevor der nächste Filmtag anbricht. Alles pure Setzung. Das Kennenlernen vollzieht sich wie ein ritualisiertes Spiel, am Ende wird sich der Kreis schließen, Celine sitzt auf der Bank, Julie hastet vorbei.

Magie: die Herstellung von Zusammenhängen da, wo keine sind. Der Eingriff ins Naturgegebene mit Mitteln, die nicht die der Natur sind. Alles an Celine und Julie fahren Boot ist Magie, in diesem sehr buchstäblichen Sinn. Julie, die Bibliothekarin, übt sich in der Vorhersagekunst. Celine führt auf der Bühne die falschen Tricks vor, die richtige Zauberei spart sie sich für das Leben. Die existentialistische Magie der beiden: sie erfinden sich, in komplizenhafter Konfabulation, immer wieder neu, tauschen ihre Identitäten und verdrehen allen den Kopf. Celine, als Julie verkleidet, verführt Gilou, Julies Verlobten, zu einem bizarren und bezaubernden Entkleidungstanz mitten im Park, der auch eine allmähliche Entkleidung der Worte vorführt, zitathaft romantisches Vokabular Stück für Stück aufs Ficken runterbricht. Am Ende steht Gilou ohne Hose da und Julie, die Celine war, ist davon.

Aber, am nächsten Tag - beginnen sich die vielen Geschichten von Celine und Julie zu fokussieren. Celine erzählt eine Räuberpistole von einem mysteriösen Haus, man sieht, wie sie die Geschichte vor Julies Augen erfindet. Die Magie der Fiktion: etwas erzeugen, da, wo nichts war. Also, magische Logik der Fiktion dieses Films, existiert dieses Haus. Konkretestes Sinnbild all der Hintergrundverschwörungen und Mysterien, die Rivettes Filme zu organisieren pflegen. Obwohl es in die Irre führt, von Organisation zu reden: es sind eher (meist vertrackte) Angebote der Sinnstiftung, Antäuschungen von Hand und Fuß, wo eigentlich das Prinzip der Improvisation herrscht, der unendlichen Möglichkeiten jeden Augenblicks, des Eintretens des Unerwartetsten. Die Logiken von Rivettes Filmen sind, wie die des Traums, strikt intern, parasitär natürlich an Zeichen und Erwartungen der Realität, aber nur weil es anders nicht geht. Eigentlich wird die Wirklichkeit neu erfunden, von Moment zu Moment, aus dem Konkretesten der Bilder von Paris, der Improvisationen der Darstellerinnen.

Es liegt nahe, das mysteriöse Haus, das beide immer wieder aufsuchen, als Kino zu deuten. Allein, es gibt keine Allegorien in Rivettes Filmen. Kann sie nicht geben, da Allegorie immer bedeutet: das Durchsichtigwerden des Stofflichen auf das Gemeinte, das Aufgehen der Bestandteile der Bedeutung im Übertragenen. Rivette dagegen ist verliebt in den Eigensinn des Stofflichen, des Bildes, das zeigt, was es zeigt, an dem alles zum Anlass für unvorhergesehene Abzweigungen von der vielleicht angesteuerten Bedeutung werden kann. Zu der es dann kein Zurück mehr gibt. Der scheiternde Frenhofer Balzacs - den Giorgio Agamben als Terroristen der Bedeutung, als Stoffverächter par excellence liest - wird in Die schöne Querulantin zum Triumph der alle einmalige Festschreibung der Bedeutung verachtenden Filmkunst Rivettes. Der Körper Emanuelle Béarts wird von der Kamera den Zurichtungen Frenhofers entzogen, wird zum Unzurichtbaren schlechthin. Wenn das Haus, in dem in geradezu terroristischer Repetition immer wieder das gleiche geschieht, Sinnbild des Kinos wäre, dann nicht des Kinos von Jacques Rivette.

Der Film, den die beiden, süßigkeitenlutschend, in seltsamer Nachträglichkeit sehen, mal gebannt und mal gelangweilt, zuletzt mit den Mitteln eigenwilliger Magie zurückbeschworen, ist zuletzt: ein Whodunit. Ein archetypischer Krimi, dessen Elemente sich auf den zentralen Punkt der Tat und vor allem der Täterin hin strukturieren. Die Strenge dieser (gänzlich unmagischen) Form der Geschichtenerzählung wird, bei Rivette, Bild. Statt der bewegten und neugierigen Handkamera der Szenen um Celine und Julie, dem Verzicht auf inszenierende Festlegung der Bilder der Stadt, der Wohnung, all der Räume, die die beiden sonst heimsuchen, gibt es hier: statische Einstellungen, erstickenden Dekor, ihre Texte aufsagende Schauspieler. Es ist kein Wunder, dass die beiden das nicht ertragen können und sich als subversive Elemente in diese Geschichte einschleusen. Ihre Rettungsaktion besteht in der Entführung des Mädchens, aber das ist sozusagen nur der Vorwand für die gründliche Zerstörung der Filminszenierung, die im Moment des Eindringens bereits als solche deutlich wird: an den grünlichen Gesichtsmasken der Darsteller, die diese sogleich als die Zombies eines vorgegebenen Drehbuchs ersichtlich werden lassen, die sie sind. Als angeschickerte Parasiten an der fremden Fiktion werden Celine und Julie zu Agentinnen des Rivette-Films im Anti-Rivette-Film. Sie leisten gründliche Arbeit und geben den ganzen Plunder der Lächerlichkeit preis. Triumphal aber sind diese Szenen nicht durch die schlichte Erfüllung dieser Deutung, sondern durch das Insistieren auf dem immer wieder komischen Eigensinn der Objekte. Filmsprachlich wird daraus, natürlich: Slapstick, die sinnzerstörende Freude am Bildwerden der Tücke des Objekts. Damit haben Celine und Julie ihre Mission erfüllt, können, das Kind im Schlepptau, zurück in ihre magische Wirklichkeit, wo dann das Spiel von vorne beginnt.



Ein unsichtbarer Film. So unsichtbar, dass er unübersehbare Spuren, ja, geradezu Löcher in Texte reißt, die sich in größeren Zusammenhängen mit den Filmen von Jacques Rivette beschäftigen. „L’amour fou“ (1967/68 ), sein Film vor „Out 1: Noli me tangere“, ist bekannt, aber auch nur selten zu sehen; sein Film danach, „Celine und Julie fahren Boot“ (1973/74), wurde ein Programmkino-Hit in den 1970er-Jahren: ein Film, mit dem Erinnerungen verbunden sind, die bleiben. Dazwischen klaffte die Lücke eines radikalen Experiments: „Out 1“, gedreht im April und Mai 1970, ohne Drehbuch, weitgehend spontan improvisiert, ein Film, fast 13 Stunden lang, der in einer unfertigen Arbeitskopie nur einmal öffentlich gezeigt wurde (1971 in Le Havre) und dann verschwand. Später schnitt Rivette eine „Kurzfassung“ mit dem Titel „Out 1: Spectre“, die 253 Minuten dauert, andere Akzente setzt und keinesfalls als Digest-Version durchgeht; sie lief im Sommer 1973 auf der „Berlinale“. Danach tauchten beide Filme noch einmal auf: 1990 erhielt Rivette mit Unterstützung des WDR die Gelegenheit, den „verschollenen“ Film wiederzusehen. Für ihn nach 20 Jahren die willkommene Gelegenheit, Menschen zu sehen, die inzwischen gestorben waren. Es folgten noch einige Festivalauftritte sowie eine verdienstvolle Fernsehausstrahlung im WDR im Frühjahr 1991. Danach war wieder Schweigen.

„Out 1: Noli me tangere“ fordert den Zuschauer, seine Geduld und seine Sehgewohnheiten heraus. In einem Interview zu „L’amour fou“ im September 1968 hatte Rivette auf die Frage, ob es revolutionäres Kino geben könne, geantwortet: „Ich glaube, dass revolutionäres Kino nur differenzielles Kino sein kann. Kino, welches das übrige Kino in Frage stellt. (...) Das Einzige, was man in Frankreich derzeit unternehmen kann, ist der Versuch, das Kino als persönliche Schöpfung in Frage zu stellen.“ Nicht ganz zwei Jahre später löste Rivette diese Einschätzung der Lage ein: In einer Art von weit ausholendem filmischen Free Jazz organisierte er mehrere autonome Handlungsstränge um einen narrativen Nukleus, der sich bei näherem Hinsehen als Bluff, als hitchcockscher MacGuffin erwies. Bezugnehmend auf Honoré de Balzacs „Geschichte der 13“ rahmte Rivette vier sich überkreuzende Erzählungen um die Probenarbeit zweier Theater-Compagnien sowie die Abenteuer zweier „Flaneure“ mit Indizien einer geheimnisvollen Verschwörung. In einer wunderbaren Szene dementiert ein Experte (gespielt von Eric Rohmer) die Bedeutung von Balzacs Verschwörungsfiktion und bringt sie zugleich in Zusammenhang mit der unmittelbaren Gegenwart des Films. Wir schreiben das Frühjahr 1970, die Erinnerungen an den „Mai ’68“ sind noch frisch. Für die Kollektive und Individuen aber gilt wie schon für Balzac: „Die Geschichte spielt zu Beginn der Restauration.“ Unmittelbar darauf sieht man Juliet Berto, wie sie traurig durch die Straßen von Paris schlendert. Viele Jahre zuvor, 1957, hatte Rivette Fritz Langs „Beyond a Reasonable Doubt“ bestaunt und zur Beschreibung von Langs Verweigerungshaltung das Wort „Poesie“ ins Spiel gebracht: „Es ist Aufgabe des Zuschauers, nicht nur die Gedanken, ihre Tatmotive aufzugreifen, sondern auch gerade diese Bewegung im Innern; ausgehend allein von der äußeren Erscheinung des Phänomens; seine Aufgabe ist es, die widersprüchlichen Momente in ein Konzept zu verwandeln. Was ist dieser Film überhaupt? Fabel, Parabel, Gleichung, Schema? Nichts von alledem, allein die einfache Beschreibung eines Experiments.“ Gilt dies nicht auch für das Experiment „Out 1“?

Über mehrere Stunden wartet man darauf, dass einen die Mechanik der Fiktion an die Hand nimmt und endlich verlässliche Zusammenhänge hergestellt werden. In dieser Zeit vergnügt man sich trefflich damit, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich das postrevolutionäre „Warten auf das Urteil der Geschichte“ (Rivette) mit Spielen vertreiben. Das ist ein großes Abenteuer, wie auch Rivette betont: „Ich finde, man bewahrt eine größere Geistesfrische, ein größeres Interesse an allem, was im Laufe des Drehens geschieht. Man ist gezwungen, den Schauspielern zuzuhören – da gibt es ständig Überraschungen. Es ist ja trotz allem ein Einfangen des Unvorhergesehenen, von etwas, das passiert und sich niemals wiederholen wird.“
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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