Foren-Übersicht
Wünsche, Anregungen, Diskussionen, das alles hier im Forum!
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Blade Runner - Director's Cut (USA 1982, R. Scott)

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch
Zurück :: Weiter  
Autor Nachricht
Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 10.01.2007 11:44    Titel: Blade Runner - Director's Cut (USA 1982, R. Scott) Antworten mit Zitat

gesehen am 09.01.2007 (DVD); 4/5

"Lost in time, like tears in rain"

Am Beginn des Films blicken wir auf eine apokalyptische Stadtlandschaft, über der gewaltige Höllenfeuer lodern: Los Angeles 2019. Dieses Panorama wird gespiegelt in einem Auge, womit gleich zu Beginn ein zentrales Motiv des ganzen Films angeschlagen wird. An den Augen kann erkannt werden, ob jemand Mensch oder Maschine ist. Mit den Augen nehmen wir unsere Umwelt wahr und unsere Erinnerungen. - Und mit Augen wird der Film gesehen. Im Jahr 2019 ist es durch den mächtigen Tyrell-Konzern möglich, androide Replikanten zu bauen, die den Menschen täuschend ähnlich sind und die auf fernen Planeten und Weltraumstationen die Arbeit der Menschen und ihre Kriege erledigen. Als einige Replikanten der hoch entwickelten Serie Nexus-6 ein Shuttle kapern, Menschen töten und auf die Erde fliehen, wird Rick Deckard (Harrison Ford), ein ehemaliger Blade Runner, eingeschaltet. Bei den Blade Runnern handelt es sich um eine Art futuristischer Kopfgeldjäger. Ihr Tun wird euphemistisch "retirement" (Pensionierung, Außerbetriebnehmen), nicht "execution" genannt. Im Verlauf seiner Ermittlungen verliebt sich Deckard in die von der Tyrell-Corporation hergestellte Replikantin Rachel (Sean Young) und beginnt an der Berechtigung seines Auftrags zu zweifeln. Die gesuchten Replikanten unter Führung von Roy Batty (Rutger Hauer) dringen in die Tyrell-Corporation ein: Sie fordern Aufklärung über ihre Herkunft und Lebensdauer. Deckard wird seine Aufgabe der Beseitigung schließlich erfüllen, doch wird sie ihn und auch den Zuschauer an eine äußerste Grenze führen, wo die anfangs so selbstverständliche Trennung von Mensch und Maschine verschwimmen wird, wo sich am Ende die Frage stellt, wer von beiden der Menschlichere ist.

Wie selten ein anderer Film wurde Ridley Scotts "Blade Runner" stilbildend für alle Science-Fiction-Filme, die nach ihm kamen. Finstere Stadtlandschaften, Gleiter zwischen riesigen Hochhaustürmen, Dauerregen, kultureller Schmelztiegel in den Straßen, allgegenwärtige Reklametafeln und eine düstere Endzeit-Atmosphäre ohne Hoffnung. Hier wurde der Zeitgeist der 80er Jahre in seiner Mischung aus Zukunftsangst und Faszination kongenial eingefangen und hier wurde für mehr als 20 Jahre festgelegt, wie die Zukunft auszusehen hat. Ein Jahrzehnt nach seinem Scheitern an den Kinokassen erschien der Film erneut als Director's Cut, nun mit einem herausfordernden Ende und ohne die Verklärungen der Voice-Over-Stimme Deckards.

Scott und Kameramann Cronenweth arbeiten durchgehend mit extremen Lichteffekten. So werfen etwa die Pyramiden der Tyrell Corporation licht-domartige Strahlen in den Himmel, die Scheinwerfer der über die Stadt kreisenden Werbetafeln wandern durch die Gebäude und sorgen für stroboskopartige Verfremdungen. Charaktere sind oft halb im Licht, halb im Schatten zu sehen. Weitere Stilmittel sind der Einsatz von Totalen, in welchen die Charaktere meist am Rand des Bildes postiert sind, um ihre Isolation zu zeigen, und eine von oben in die Szene fahrende Kamera. Die Tode aller Replikanten werden durch jeweils unterschiedliche filmische Mittel (Zeitlupe, Einsatz der Filmmusik, erhöhte Lautstärke, Steadicam) hervorgehoben und emotionalisiert. Der Film besteht über weite Strecken aus langen Einstellungen, nur in den Kämpfen zwischen Deckard und den Replikanten kommt durch mehr Schnitte und schnelle Kamerabewegung Tempo auf. Im Endkampf zwischen Deckard und Roy bewegen sich beide immer weiter aufwärts, bis sie sich auf dem Dach des Gebäudes gegenüberstehen und schließlich die Rollen von Jäger und Gejagtem tauschen, als Deckard über dem Abgrund hängt und Roy ihn von oben beobachtet.

Reich an Symbolik sind die Straßenszenen des Films. Hier wird die untere Stadt, deren Schluchten, als ethnisch und religiös gemischter Slum ohne menschliche Nähe und Rücksichtnahme gezeigt. Die Szenerien sind gefüllt mit hunderten Statisten, darunter Nonnen, Chassidim, Geschäftsleute, Hare Krishna-Jünger und Punks. Die Mächtigen leben an der Spitze der Stadt, wo die Sonne wenigstens durch den Smog zu sehen ist (das Kulissen-Design ist Hommage, Zitat und thematische Weiterführung von Fritz Langs "Metropolis"). In der fiktiven Zukunft von "Blade Runner" sind hochentwickelte technische Geräte allgegenwärtig. Freie Natur ist dagegen überhaupt nicht zu sehen, zumeist ist die Szenerie dunkel, regnerisch und dreckig. Nicht nur die Gebäude, auch die Menschen verfallen – etwa J. F. Sebastian, der an beschleunigter Alterung leidet. Es scheint keine Kultur, nur niedrigere Formen der Unterhaltung und viel Kriminalität zu geben. Auch die vielfältig gezeigte Durchmischung von Völkern, Sprachen, Weltanschauungen – der Film zeigt vor allem ein starkes Eindringen ostasiatischer Elemente in das amerikanische Leben – wird vorausgesagt und negativ bewertet.

Die Durchmischung von Versatzstücken verschiedener Kulturkreise und Epochen setzt sich in der Architektur, in den Kostümen und in der Ausstattung fort: Die aus dem Film noir bekannte Grundkonstellation des einsamen Detektivs (Deckard), der sich in eine femme fatale (Rachel) verliebt, wird durch Versatzstücke aus jenem Genre betont, darunter Deckards Trenchcoat, Rachaels Kostüm und Frisur sowie, in der Originalversion, die lakonischen Voice-overs Deckards, der als typischer Antiheld voller Selbstzweifel ist. Roy trägt eine schwarze Lederjacke und wirkt mit hellblonden Haaren, blauen Augen und muskulösem Körper wie der Prototyp eines nationalsozialistischen "Herrenmenschen". Die Wohnungen Deckards und Sebastians ebenso wie Tyrells Büro erinnern an die Loftwohnungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die äußere Architektur zeigt aber auch Anleihen an Jugendstil und Art Déco. Auch ein Vergleichspunkt zum Film Noir: "Misstrauen" durchzieht den Film wie ein Leitmotiv. Deckard will von Rachel nicht nur wissen: "Liebst du mich?", sondern auch: "Vertraust du mir?". Die Blicke der Figuren, die knappen Dialoge, die Schweigsamkeit des ganzen Films, die Künstlichkeit, die Dunkelheit weisen auf ein totales Misstrauen in die üblichen Kommunikationsformen hin.

Ein weiteres Element des Films ist seine durchscheinende Melancholie und Nostalgie, die Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit im Konflikt mit dem Versprechen einer besseren Zukunft. Dieses Gefühl wird vor allem von der sphärischen Filmmusik von Vangelis transportiert. Der Reiz des Films liegt weniger in der Vision einer verrosteten Zukunftswelt, sondern in der reizvollen Durchmischung religiöser Mythen und philosophischer Fragestellungen innerhalb der üblichen Detektivgeschichte. An einigen Stellen des Films lassen sich Bezüge sowohl zur Bibel als auch zu anderen Mythen finden. Neben den Augen spielt beispielsweise das Symbol des Einhorns eine wichtige Rolle. Fans des Films haben auf weitere mögliche Symbole aufmerksam gemacht, darunter die Origami-Figuren, die Tiere – jedem Charakter kann leicht ein Tier zugeordnet werden – oder die Schachkombination, die aus der "Unsterblichen Partie" stammt. Mit einer Vielzahl von Symbolen ist besonders die Figur des Roy Batty verbunden, die sowohl zum verlorenen Sohn als auch zu Jesus Christus Bezüge aufweist. Andererseits vergleicht Roy – ein Gedicht von William Blake zitierend – die Replikanten auch mit gefallenen Engeln und sich selbst mit Luzifer.

Die Sterbeszene Roy Battys gegen Ende (kurz nachdem er Deckard das Leben gerettet hat) ist eine der ganz großen Filmmomente, unterlegt mit dem schönsten Stück des Soundtracks: "Tears in Rain". Rutger Hauer, in einer unerwartet bewegenden und komplexen Rollengestaltung - reflektiert über Leben und Sterben: "I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire on the shoulder of Orion. I watched C-Beams glittering down Tannhäuser's Gate. All these moments will be lost in time like tears in rain. Time to Die." Es folgt die jähe Erkenntnis, dass es die Menschen sind, die isoliert und gefühllos wirken, während die Replikanten Emotionen – Furcht, Zuneigung, Hass, Trauer – zeigen. Die zentrale Frage, die der Film stellt: Was macht den Mensch zum Menschen? Die Antwort, die er uns gibt: Bewusstsein und Erinnerung.
_________________
"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 10.05.2015 01:47, insgesamt 5-mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de