Foren-Übersicht
Wünsche, Anregungen, Diskussionen, das alles hier im Forum!
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Blonde Venus (USA 1932, J. v. Sternberg)

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch
Zurück :: Weiter  
Autor Nachricht
Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 04.02.2019 13:12    Titel: Blonde Venus (USA 1932, J. v. Sternberg) Antworten mit Zitat

gesehen am 03.02.2019 (BD); 4/5

Die Filme Josef von Sternbergs mit Marlene Dietrich wurden als grandiose Licht- und Schattenspiele gepriesen, als stilistische Meisterwerke: als ob die Stories vornehmlich ein Vorwand gewesen seien, um Sternbergs Muse ins rechte Licht zu rücken. Tatsächlich blendete von Anfang seine ausgefallene visuelle Gestaltung, seine Betonung des eigenen Geschmacks – als Glanz und Tiefe, Flirren und Geheimnis. Sternbergs Bildausschnitt überhöht das jeweilige Geschehen und seine Emotionen in eine beschauliche Fata Morgana, in die Verfänglichkeit einer schönen Erscheinung. Innerhalb dieser Überhöhung werden aber, gerade aus heutiger Sicht, auf der Ebene des Plots, wahrheitsbringende Momente zwischen den Geschlechtern transportiert. In Sternbergs Transit-Geschichten kristallisieren sich kostbare Begegnungen heraus, die in ihrer tagtraumartigen Flüchtigkeit bereits im Entstehen wieder zu vergehen scheinen – die Dietrich macht ihren Männern darin aber auch nie etwas vor – und das unterscheidet sie maßgeblich von späteren Versionen der Femme fatale. Bei Sternberg ist sie weder Heilige noch Hure. Sie ist dazwischen, ein Solitär, stets unabhängig, unterwegs - und kommuniziert es auch so. Sie wird sich nicht ändern. Was zählt, sind ihre Entscheidungen. Im Namen ihrer Liebe setzt sie sich über Konformitätszwänge hinweg - und die Liebe, das ist in diesen Filmen eine anarchische, Klassen und Grenzen überschreitende Energie.

Wer über einen Dietrich-Sternberg-Film spricht, der spricht über alle. Sie sind gewissermaßen aus demselben Stoff gemacht, derselben Stimmung, demselben Stil. Sie rücken immer dieselbe Figur ins Zentrum. Nur scheinbar verkörpert Marlene unterschiedliche Rollen. Sie ist eine Frau, die ihre äußere Identität unausgesetzt wechselt, sich schminkt und verkleidet und sich doch nie verändert. Sternberg und Marlene, unterstützt von Travis Banton, dem großen Kostümbildner, offenbaren eine überwältigende Lust am Masken- und Verkleidungsspiel. Immer ist ihre Rolle die einer Liebenden oder Geliebten, Verführerin oder Verführten. Sie bezieht sich auf das Bild der Femme fatale, amoralisch, heimat- und klassenlos, mondän. Als Fremde in fernen Ländern unterwegs, als Durchreisende, ist sie selbst eine Exotin im exotischen Kontext. Oft bringt sie den Männern, die ihr begegnen, Unglück, aber auch sie selbst ist häufig eine Frau mit – leidvoller – Vergangenheit. Inszenierung und Haltung sind (ihr) essentiell – bis zur Absurdität: In „Dishonored“ (1931) zieht sie noch vorm Erschießungskommando den Lippenstift nach.

Sternberg drehte sieben Filme mit Marlene Dietrich. Seine Kamera liebkoste den Schimmer ihres Haars und ihrer Augen, das Funkeln der so häufig eingesetzten Pailletten und ihres Schmucks, die halbgeöffneten glänzenden Lippen, die Hüte aus irisierenden Federn, die lackierten Nägel – Hunderte von Lichtreflexen, unzählige kleine Bewegungen. Und dann das bewegte Dunkel, das Schattennetz, welches Schleier über ihr Gesicht legte, die weiche Linie der Pelzstolen, der Schatten ihrer Wimpern, die hohen Wangenknochen, der Rauch hunderter Zigaretten. Marlenes Gang und ihre Gesten setzten das Schattentheater in Bewegung: rasch, heftig und burschikos konnte sie sein, oder – auf ausdrückliche Anweisung – ruhig und lasziv langsam. Oft stemmte sie eine Hand in die Hüfte. Eine stolze Haltung gehörte immer dazu. Und der Blick bildete das magische Zentrum. Helle Augen unter schweren Lidern, ironisch, überlegen. Marlenes Figur scheint stets aus einem Traum zu treten. Ganz knapp nur sind die Settings in einer zeitlich und räumlich fassbaren Wirklichkeit verankert. Am plakativsten lässt Sternberg die Realität in „The devil is a woman“ hinter sich, dessen Hintergrund Karneval und Maskenspiele in Spanien bilden. Ansonsten bewegt er seinen Star durch die Gassen von Marokko, den Bahnhof von Peking oder durch einen Karneval in Südspanien. Den Kulissen eines expressionistischen Horrorfilms kommt er in „The scarlett empress“ (1934) nahe, in dem er die Exotik ins Finstere, Bedrohliche wendet.

Der fünfte gemeinsame Film, „Blonde Venus“ erscheint in diesem Zusammenhang auf den ersten Blick als Ausnahme. Marlene Dietrich liebte den Film, der Autobiographie ihrer Tochter zu Folge, ganz besonders. Er folgt den Wegen und Umwegen einer schönen Frau zwischen Kabarett-Karriere und Hausfrauen-Dasein. Verdeckt und verfremdet scheint „Blonde Venus“ einige Andeutungen an die Biographien von Marlene und ihrem Regisseur zu enthalten. Dass Sternbergs Charaktere mit ihm selbst zu tun haben, bestätigte er in einem späten Interview Mitte der 1960er Jahre. Interessanterweise bezieht er auch die weiblichen, von Marlene Dietrich gespielten Rollen implizit mit ein. „Blonde Venus“ gehört zu den seltenen Werken in der Zusammenarbeit, in denen sich die Herkunft ihrer Filmfigur relativ eindeutig lokalisieren lässt: Sie kommt aus einem deutschen Tingeltangel aus dem Schwarzwald und folgt ihrem Eroberer in die Vereinigten Staaten – so wie der Star des „Blauen Engels“ (1930) seinem Schöpfer Josef von Sternberg nach Hollywood. Dort aber ist sie wiederum eine Fremde. Schließlich konvertiert sie von der Kabarett-Sängerin zur braven Ehefrau und Mutter. Der häusliche Kontext ist ganz neu und nahezu sensationell ungewohnt für die ultra-glamouröse Dietrich-Figur – und passt sich ihrem Image nicht so recht an. Als Verkörperung von Bürgertugenden, zu Beginn, und am Schluss, als treu sorgende Hausfrau und Mutter, wenn auch mit ambivalenten Untertönen, das lässt keinen beschwingten Abgang zu. Am Ende (am Kinderbett) bleibt die Frage offen: Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Der Alptraum, so ahnen wir, beginnt gleich nach dem Abspann. Die Göttin wird, das ist vorauszusehen, nach Filmende, hinter den Kulissen sozusagen, vom Sockel gestürzt. Nur ein Maskenspiel verbirgt das heimliche Unglück. Im Film schließt sich der Kreis – aber für wie lange? Das letzte Bild zeigt ihren kleinen Sohn, verträumt auf eine sich drehende Spieluhr blickend. Die Maske des Engels im Haus, von Marlene auch im wirklichen Leben gelegentlich gern zur Schau getragen, steht der blonden Venus schlecht, auch wenn sie, wie hier, durch den großen Gestus der Entsagung melodramatisch aufgewertet und nobilitiert wird.

Wie üblich flirtet sie, auch in Zuständen größter Niedergeschlagenheit, mit der Kamera und dem eigenen Image. Maria Riva berichtet in den Erinnerungen an die Mutter, wie diese am Filmset vor einem großen Spiegel wiederholt ihre Wirkung überprüfte. Genau diese narzisstische Haltung – eine wirkliche Beziehung hat sie nur zu sich selbst und zu ihrem Kind allenfalls, das sie gleichsam als Verlängerung ihres Selbst betrachten kann – verleiht ihrer Figur etwas Entrücktes, Isoliertes: die Einsamkeit der Göttin. Immer bleibt Distanz zwischen ihr und dem Geschehen. Ob sie verliebt ist, besorgt, verzweifelt – sie wechselt von einer schönen Pose in die andere. Sie singt Kabarettlieder, tritt in einem – hier: weißen – Frack auf und fasziniert das Publikum nicht nur vor, sondern auch auf der Leinwand. In einer besonders schrillen Nummer brilliert sie im Gorillakostüm, aus dem sie sich als Vamp herausschält: allerdings mit einer wiederum befremdlichen platinblonden Afro-Perücke. Das Stück wirkt wie eine karnevaleske Parodie auf ihre früheren Performances. Dass sie in diesem Film deutsche Lieder singen darf – für ihren kleinen Sohn, der als ebenfalls verzauberter Zuschauer fungiert –, ist eine weitere reizvolle Variation.

Das Happy End stand Marlene in diesen Filmen nicht gut, beinahe nie entlässt Sternberg sie derart, dass es ihr günstige Zukunftsprognosen erlauben würde. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt immer, in äußerster Lakonie, mit Ausnahme vielleicht von „Shanghai Express“, den ein inniger Kuss abschließt. Für Amy Jolly, die Gary Cooper in die Wüste und damit in die Armut folgt, stellt man sich eine Reihe unerfreulicher Szenarien vor. In „Dishonored“ wird sie in einer Hinrichtungszeremonie schlicht und einfach erschossen. Keiner ihrer Filme aber zeigt ein ambivalenteres Ende als „The scarlett empress“, in dem sie sich aus dem Tal der Tränen, durch das Sternberg sie schickt, mit seelisch fatalen Konsequenzen herausarbeitet. Ihr finaler Triumphzug auf den Thron zeigt sie als Eiskönigin, die sich eiserne Bande ums Herz gelegt hat – in der Umkehrung eines Läuterungsprozesses entpuppt sich die demütige Unschuld der Anfangsszenen als hart, machthungrig und geradezu euphorisch in ihrer Rachsucht: ein sardonisches Finale.

Die Stories der Sternberg-Filme erscheinen beim ersten Hinsehen als schlecht gealtert in ihrem melodramatischen Gestus. Etwas nachhaltig Beunruhigendes, weit über die oft verquasten Wendungen ihrer Inhalte Hinausweisendes, liegt aber in ihrer Haltung: in ihrem Infrage stellen konventioneller Sichtweisen, dem Verständnis der Liebe als einer finsteren Macht, in ihrem wiederholten Zurückkommen auf den Topos von Eros und Thanatos – und in der Schöpfung einer einzigartigen Figur. Sternbergs von Dietrich verkörperte imperiale Heldinnen gehen ihren Weg – zur Hölle mit dem Happy End. Sie sind willensstark, treffen kühne Entscheidungen und scheren sich nicht um Benimmregeln: Konventionelle Erfolgsgeschichten erleben sie nicht, aber am Ende triumphieren sie doch – über die Konventionen, die Männer, sich selbst.
_________________
"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de