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Body and soul (USA 1925, Oscar Micheaux)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 04.03.2019 00:50    Titel: Body and soul (USA 1925, Oscar Micheaux) Antworten mit Zitat

gesehen am 03.03.2019 (stream, netflix); 4/5

Eine klassenlose (Produktions-)Gesellschaft, wie sie selten ist im amerikanischen Kino, präsentiert sich in dem kleinen Film Souls of Sin: Da hockt in einer Szene der Produzent, William D. Alexander, am Tisch in einer Bar, ein wenig später kann man den Regisseur, Powell Lindsay, als flotten Macker in einem Wagen erleben. Nicht als Reigen spekulativer Cameo-Auftritte sind diese Momente geplant, und nicht aus publikumssüchtiger Profilierungssucht, der Produzent und sein Regisseur mußten einfach jeden Cent an Kosten sparen, und da zählte eben jeder Statist.

'Die Burschen konnten nicht viel mehr als 8000 Dollar Budget haben', dies ein weiterer Kommentar zu den Produktionsbedingungen, unter denen Filme wie Souls of Sin entstanden, von Edgar Ulmer, dem King des Billigkinos, des Fast- food-Cinema in Amerika: Bei Moon Over Harlem, war er 1939, als Spezialist fürs ethnische Minderheitenkino des Schmelztiegels USA, der einzige Weiße in einem afro-amerikanischen Team. 'Zum erstenmal probierte ich, was man später den Rossellini-Stil nannte, drehte mit wirklichen Leuten, alle absolut natural.'

Ulmers Bericht sagt alles zu jenem eigentümlichen Kino, das bisher, in Amerika und anderswo, weitgehend übersehen wurde, und das auf dem Filmfest dieses Jahr - als Unterabteilung der American Independents - ausführlich vorgestellt wird: eine Serie kleiner Filme, die in den Dreißigern und Vierzigern ausschließlich für schwarzes, afroamerikanisches Publikum gedacht waren, geschrieben, produziert und verliehen von unabhängigen Schwarzen.

Eine verlorene Welt, so schien es lange Zeit, denn erst in den Achtzigern tauchten überraschend etwa zwei Dutzend Nitrokopien dieser Filme wieder auf, staub- und spinnwebüberzogen, in einem Lagerhaus in Tyler, Texas, 85 Meilen östlich von Dallas. Ein wahrer Schatz war da entdeckt worden, keine Perlen der Filmkunst natürlich, aber lebendiges Kino: Wie diese Filme produziert wurden, konnte man in der Tat 'schon froh sein, wenn die Einstellungen scharf waren und die Klebestellen hielten'. Beim ungestümen Faustkampf kamen regelmäßig die Pappkulissen gehörig ins Wackeln.

Eine Welt für sich, modelliert freilich nach den Standards der Weißen; Filme, mit deren Hilfe sich die Schwarzen selbst in die Mythologie der Weißen versenken können, mit denen sie Ralph Ellisons 'Invisible Man' für kurze Kinozeit sichtbar werden ließen. Sie durften sich identifizieren mit schwarzen Cowboys und Gangstern, Tänzern und Sängern; mit Darstellern wie Ralph Cooper, der ein wenig stämmiger war als Jimmy Stewart und ein wenig feuriger, und der an einen farbigen James Cagney erinnerte.

Wenige afroamerikanische Akteure nur schafften den Sprung ins große Hollywood-Kino: die Musiker natürlich, Cab Calloway oder Nat 'King' Cole, weiter Stepin' Fetchit (den man aus manchem John-Ford-Film kennt) oder der legendäre Tapdancer Bill 'Bojangles' Robinson. Im 'großen' Kino allerdings haben sie sich meistens mit den immer gleichen Rollen begnügen müssen, die tölpeligen Toms und die feisten Mammies; oder sie durften Einlagen liefern, schmissige Tänze, wie ein Weißer sie nicht so schnell hinkriegte, oder laszive Songs, wie Lena Horne, vielleicht die schönste Frau Hollywoods: 'Es war keine sehr glückliche Zeit für Lena, und man sieht es ihr an. Sie lieferte oft strenge, sehr kontrollierte, eisige Vorstellungen' (Donald Bogle).

Im Jahr von Moon Over Harlem, 1939, war Ulmer an die 20 Jahre im Filmbusiness, so lang wie Oscar Micheaux (1884-1951), der größte unter den Black Independents. Lange war er kaum bekannt, allenfalls als ernsthafter Konkurrent neben Edward Wood Jr., wenn's um die schlechtesten Filme der Welt ging. Rossellini-Erfahrungen hatte auch Micheaux gemacht, schon in seinem gutbürgerlichen Stummfilm-Melo Body and Soul gibt es hinreißende Aufnahmen auf den Straßen und unter den Brücken von Atlanta. Micheaux war Schlafwagenbegleiter, Farmer, Romancier, bevor er sich ganz dem Kinomachen verschrieb - und der Produktion seiner eigenen Legende. Zwischen 1919 und 1948 produzierte er Dutzende von Filmen, trieb das Geld dafür auf und verkaufte sie persönlich den Kinobesitzern, auf zahllosen Reisen durch das Land. Seine Frau war Produzentin und tauchte ein paar Zeilen später in den Credits unter den Darstellern wieder auf als Alice B. Russell.

Eine irreale Welt entstand hier auf der Leinwand, von Schwarzen bevölkert, in der bei aller Fantasy durchaus auf die amerikanische Realität Bezug genommen ward. Das Aus für diese Filme kam paradoxerweise mit der Lockerung der Rassentrennung: als auch die großen Hollywood-Firmen das schwarze Publikum in ihre Produktionspläne einbezogen. Micheaux starb in Vergessenheit, wie andere große Filmpioniere, Méliès oder Griffith.

Das 'early black cinema' ist ein Kino des 'one take', die Aufnahmen konnten selten wiederholt werden. Was kein Moment von Schludrigkeit bedeutet, sondern zunächst eine ungeahnte Freiheit. Eine Vitalität ist in diesen Filmen zu spüren, die das Natürliche und das Gekünstelte in gleicher Weise umfaßt. Und die Begeisterung des Münchner Publikums ist frei von jeder Schadenfreude, sie erinnert an die naive Freude über die ersten Filme. So müssen wir also - Sorry, Harry! - entschieden Einspruch erheben gegen das Verdikt, das über die Sangeskünste des so sanften wie souveränen William Greaves in Souls of Sin einer seiner Kollegen, Harry Belafonte, aussprach: Er riet ihm, künftig das Singen zu lassen. Wie William singt, das ist eben typisch für diese Filme, ihre eigentümliche Schönheit und Konsequenz. Ihr Charme gleicht dem des Klangs einer Schallplatte, die mit falscher Drehgeschwindigkeit abgespielt wird. Es eiert und klingt recht schräg, aber wenn man sich dran gewöhnt hat, klingt es wunderbar.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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