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Die allseits reduzierte Persönlichkeit - Redupers (D 1978)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 05.03.2019 01:56    Titel: Die allseits reduzierte Persönlichkeit - Redupers (D 1978) Antworten mit Zitat

Ein Film von Helke Sander

gesehen am 03.03.2019 (DVD); 4/5

Dies Berlin, wie es selber „(…) ohne Boden zu sein scheint, stößt von jeher ab. Die vielen Häuser (wie) über Nacht aufgeschossen: so plötzlich, meint man, können sie auch wieder verschwinden. Sie werden nicht alt, sondern zerfallen bloß“, beschrieb Ernst Bloch „Berlin aus der Landschaft gesehen“ (1932), und sein Eindruck von der Bodenlosigkeit und dem Zerfall der Stadt hielt stand. Wie soll man in ihr Fuß fassen, wo die Stadt selber auf schwachen Füßen steht? Helke Sander meint im Titel ihres ersten Spielfilms nicht nur die Fotografin Edda Chiemnyjewski. Ich glaube, sie meint mit diesem Titel in gleichem Maß die Stadt Berlin, allseitig reduziert, die ihre Einwohner zwangsläufig in der Entfaltung ihrer Freiheit einschränkt.

Der Film ist ein Essay über die Bedingungen, unter denen eine Frau sich damals, in den späten siebziger Jahren, von der Stadt ein Bild machen konnte. Ein Bild, das nicht dem Stücklohn-Zwang der freien Medienarbeiter unterliegt, der das eigene Interesse der Edda, ihr Stadtbild zu verändern, als unverkäuflich ansieht. Edda steht frühmorgens frierend mit konkurrierenden Kolleginnen an einer Brücke, um ein Bild der letzten Dampflok von Berlin nach Hamburg zu schießen. Sie fotografiert den damaligen Bürgermeister Schütz bei einer betulichen Ansprache „Wir sind alle eine große Familie“ auf dem Seniorenball, aber dann redet und tanzt sie mit den Alten. Reine Zeitverschwendung – weil sie ihre Zeit nicht sinnvoll füllen darf, von der Zerrissenheit und der organisierten Zerstückelung des Alltags lebt.

Abends liest sie ihrer Tochter, schuldbewusst: zu wenig Zeit für sie, Märchen vor und lässt sich von ihrem Freund, der noch verspricht, einen Knopf an ihrem Nachthemd anzunähen, mit harmlosen Geschichten in den Schlaf reden. Schafft sie morgen einen besseren Tag? Sie beginnt ihn mit Frühgymnastik (Beschluss mit 34 Jahren, für ihren Körper etwas zu tun, bald aufgegeben), und ihre entschlossene Kämpferpose zur Frontstadtmusik ironisiert nicht nur die Musik, sondern auch die eigene Haltung, sich gegen die aus jedem Sender triefende Berlin-Ideologie spielerisch zu wehren. Die Ton-Montage gleich zu Beginn des Films gibt ein schönes Beispiel: Alle Sender plärren durcheinander, Edda mokiert sich, aber sie hängt von Nachrichten ab.

Sander schneidet aus dem Alltag keine Rollenbilder aus, um sie den Figuren anzuhängen. Edda ist Fotografin, Mutter, Freundin, Mitglied einer Frauengruppe. Aber noch in dieser Zerrissenheit entwickelt sie ein Mangelbewusstsein (heitere Geistesblitze), keinem Anspruch jederzeit voll zu genügen, weil ihre Arbeit zu der Aufteilung zwingt. So wie sie mit der Gruppe von Kolleginnen (Senatsauftrag, ein Bild von Berlin, ein positives, zu erstellen) nicht nach dem Trennenden sucht, sondern nach dem, was an Verkehrsformen in Ost und West sich gleich geblieben ist, so versucht sie in allem, was sie aufgreift, sich gleich zu bleiben. Ihr Thema ist die Durchlässigkeit. Der Mauer zum Beispiel, aber auch: der eigenen Erfahrung in der Arbeit wie in der Gruppe: eine andere Arbeit. Dazu üben die Frauen Taktik.

Ihre Taktik dient dazu, ihre Anschauung der Dinge durchzusetzen. Gegen die Auftraggeber, die von Frauen nur Bilder über Frauen erwartet hatten. Der von Sander eingesprochene Kommentar leistet sich eine ironische Distanzierung von Eddas Fehlern. Wir wissen, sie wird sie wiedergutmachen, und zwar nicht zuletzt durch bessere Bilder. Edda nimmt sich der offenen Wunden in der Stadt, der Straßen längs der Mauer, an. Ihre Bilder hängen an den Werbeflächen, mitten unter den Ruinen, und sichern die Spuren vom Viertel, ehe es unbewohnbar wird.

Das Prinzip des Films sind seine kleinen Aufmerksamkeitsverschiebungen: auf die Brüche zwischen Bild und Abbild, zwischen behauptetem und realem Verhalten. Die Summe dieser lockeren Bewegungen auf bodenlosem Terrain addiert sich zu einem Essay über das damalige Westberlin und die Möglichkeiten einer Frau, in jener Stadt anders zu leben, mit einem veränderten Blick. Aus dem scheinbar Nebensächlichen organisiert er die Hauptsache, die Einladung zu einer Rundfahrt durch den Alltag in der Geisterbahn, der uns seine Schrecken vor Augen führt und doch nicht bange macht.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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