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Pandora and the flying dutchman (GB 1951, A. Lewin)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 27.03.2019 18:36    Titel: Pandora and the flying dutchman (GB 1951, A. Lewin) Antworten mit Zitat

gesehen am 27.03.2019 (DVD); 4/5

Wer mit diesem Film nicht auf seine Kosten kommt, ist selbst schuld. Er bietet nicht nur jedem etwas, er bietet von allem zu viel. Damit wären empfindliche Zuschauer gewarnt, aber hoffentlich nicht abgeschreckt. Für die, die gern im Kino schwelgen: der Film starrt vor Aufwand in MGM-Ästhetik und in Technicolor. Das heißt, mehr Camp als Kitsch. In einer geisterhaften Atmosphäre von Lost Generation und Fiesta – das machen die überwiegend tags gedrehten Nachaufnahmen. Mit Ava Gardner, die Hemingways Heroinen im Film verkörperte, aber auch im Leben Papas gute Freundin war.

Der Titel sagt schon, was der Film tut: zwei Mythen kombinieren. Die antiken, schon bildlich erzählten Geschichten werden vom Kino realistisch modernisiert, herangeholt und wieder distanziert durch Bilderfindungen, die von surrealistischer Malerei inspiriert sind. Der Film ist ein typisches Hollywood-Produkt, aber nicht typisch für einen Film aus Hollywood. Von seinem Regisseur, Sohn New Yorker russisch-jüdischer Einwanderer, erzählt Jean Renoir, dass er nur feinste Londoner Maßanzüge trug, aber dazu sein amerikanisches Selbstbewusstsein mit bunten Krawatten demonstrierte. Auch das hilft, sich vorzustellen, wie dieser Film ist und funktioniert.

Lewin war zuerst Produzent; er lernte sein Handwerk beim Tycoon Thalberg. Wenn er Regie machte, hatte er Schwierigkeiten mit seinen Produzenten. Dieser Film wurde stets verstümmelt gezeigt und ist erst spät, in den 1980er Jahren, vollständig geworden. Lewins Regievorstellungen blieben dennoch immer geformt durch seine erste Arbeit. Produzieren in Hollywood in den Goldenen Jahren konnte eine kreative Tätigkeit sein, kinospezifischer als oft die Regie. Ein guter Produzent montierte Talente. Das amerikanische Kino war ursprünglich, weil es kollektiver funktionierte. Und zudem war Lewin Sammler. Selten sieht man im Film so viele Vignetten-, Madaillon- und Spiegelbilder. Oder auch falsche Iris-cashs, die Blicke durchs Fernrohr sein sollen, aber in absolut unrealistischen Perspektiven. Die in sich cadrierten Bilder orientieren den Film konzentrisch, im Sog nach unten. Das Technicolor-Verfahren mit seiner scharfen Ränderung unterstreicht die Fragmentierung. Bezeichnend für die Geschichte der Bilder, die der Film noch nebenher absondert, ist der Umstand, dass da, wo man ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert sehen soll, man, in Umkehrung der üblichen Reihenfolge, ein gerahmtes Foto Ava Gardners von Man Ray sieht. Der Untergrund surrealistischer Malerei wird sichtbar, der, wenn schon außermalerisch geprägt, mehr Spuren zeigt von Fotografie als von Literatur.

Lewin begann erst im Krieg, Surrealisten zu sammeln – als sie vor den Deutschen aus Paris nach Amerika emigrierten. Was ihn an dieser Malerei am meisten beeindruckte: „wie sie Altes und Neues nebeneinander stellen“. Lewin lässt bei seiner Arbeit das Automatische aus. Seine Zufälle sind keine objektiven. Er häuft aufeinander, nicht unbewusst, aber gebildet, und schöpft aus allen Tresoren. Aus der Literatur zitiert er direkt und indirekt einen persischen Dichter des 12. Jahrhunderts, Matthew Arnold und „Gordon Pym“ von Poe.

Die Konkurrenten des ewigen Holländers sind unter vielen anderen ein todeswütiger Torero und ein englischer Sportsmann, der auf einer Strandpiste Geschwindigkeitsrekorde bricht in einem Rennwagen, der ein surrealistisches Objekt par excellence ist – mit etwas Glück kann man so etwas en miniature in Art-déco-Läden entdecken. Für Lewin war das nicht genug. Wie auf den Bildern de Chiricos, dem „Feind der Bäume und Freund der Statuen“, ragen Säulenstümpfe in seine Bilder, drängt sich Arkadenarchitektur in den Vordergrund. Oder er fotografiert die Köpfe seiner Hauptfiguren am Boden liegend, aus der Froschperspektive, wie verstreute Reste aus Plastiken auf einer mythengetränkten Erde.

Dieser Film hat, wie viele andere englischsprachige unmittelbar nach 1945, Rückblenden und einen Erzähler. Er unterscheidet sich vom Puzzle des „Citizen Kane“, der die Keimzelle dieser Form ist, durch seine beabsichtigte Künstlichkeit. Bei Welles formt die Wochenschau den Film, bei Lewin eine bestimmte Malerei. Wenn er zu Ende geht, fügt der Erzähler, ein Archäologe und auch eine Verehrer der neuen Pandora, das letzte noch fehlende Stück in ein rekonstruiertes antikes Gefäß. Pandoras Büchse ist wieder heil. Rücklauf heißt der Effekt in Kinosprache. Pandora findet ihre Liebe im Tod. Thematisch ist der Film morbide wie oft deutscher Stummfilm, wie „Der müde Tod“ von Fritz Lang; auch das Auffinden einer Chronik oder eines schwer lesbaren Manuskripts ist ein beliebter Trick in den Filmen der Zeit. Die flüchtigen Filmbilder werden erst durch Berufung auf Geschriebenes zu unverrückbaren Schicksalen. Die modernen Varianten von vorzeitlichen Geschichten sind nur neue Bilder nach einer alten Vorschrift.

Alle Mythen, jubilierte Abel Gance 1927, erwarten durch den Film ihre belichtete Auferstehung. Mythen sind Bildergeschichten aus dem kollektiven Unbewussten und das Kino ist ein Wiederholungsritual, das besser als andere zuvor den Zeitbegriff ruinieren kann durch seine magische Fähigkeit, alles in Gegenwart zu verwandeln. Deshalb auch hat der Film in der ersten Rückblende noch eine zweite. Er beginnt mit einem Happy-End im Tod. Zwei unruhige Geister haben einander erlöst. Der amour fou war immer eine idealistische Liebesvorstellung, erdenfern wie mittelalterliche Minne. Die Sterne in Hollywood wurden nicht in Götterregionen katapultiert, um Distanz zu schaffen zwischen ihnen und gewöhnlich Sterblichen. Sie wurden auf diese Weise gemein gemacht zu bloßen Bildern, mit denen im Kino schlafen kann wer will.

Ava Gardner sucht auf der Leinwand immer weiter den Mann ihrer Träume. „Ich bin Pandora Reynolds aus Indianapolis und habe mit Mythologie nichts im Sinn“, sagt sie ahnungslos, nur Lewin weiß besser, was Namen bedeuten und Wörter. Dass über sie die Amerikaner ihre Wurzeln haben in der Alten Welt. Auch was den Star betrifft, ist die Bewegung des Films eine Inversion. Zur Zeit von Garbo und Marlene waren die aufregenden, fremden Frauen die Europäerinnen. In Ava Gardner zeigt Amerika, was es für Frauen hat. Sie hatte unter den Stars eine Sonderstellung. Die sex goddess ließ sich nicht disziplinieren durch die Studios. Ihre Rollen waren immer Erfindung, vermischt mit Elementen aus ihrem eigenen Leben. Sie verkaufte sich mit mehr Selbstbewusstsein. Sie ließ sich fetischisieren in ihren Rollen, aber gleichzeitig durchblicken, dass es lästig war und nicht stimmte, ihren Appetit auf Männer als unstillbaren Durst nach dem einen idealen darzustellen.

Lewin hat diesen Film in Spanien und in London im Studio gedreht, eine Mid-Atlantic-production; sein Stab war, bis auf ihn und seinen Star, englisch. Das passt sehr gut zu allen übrigen Klitterungen des Films und erklärt auch die sagenhaft ordinären Kostüme, die den Schlag englischer Hofgarderobe haben.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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