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Rene
User seit: 25.08.2006 Beiträge: 3171
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Verfasst am: 17.07.2019 02:45 Titel: Funny Games (Ö 1997, M. Haneke) |
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gesehen am 16.07.2019 (BD); 3/5
Hier werden Gewalt und Zuschauen endgültig eins. Die Videotechnik verwandelt sich in ein sadistisches Kontrolldispositiv. Die zwei Widerlinge, die eine bürgerliche Familie ohne jeden Grund einfach "zum Spaß" beim Wochenendausflug überfallen und töten, lassen den Film manchmal wie ein Videoband vor- und zurücklaufen, wenn sie mit ihren Brutalitäten noch nicht ganz zufrieden sind, denn: "Wir wollen doch dem Publikum etwas bieten..." Die mediale Selbstreflexion schafft bei Haneke keinerlei Distanz, im Gegenteil, sie macht alles nur noch schlimmer.
Der Titel "Funny Games" ist bittere Ironie. Das Spiel besteht darin, dass zwei junge Männer eine dreiköpfige Familie in ihrem Wochenendhaus gefangen nehmen und eine makabere Wette anbieten: Bis der Morgen graut, hätten die Opfer sich entweder befreit, oder sie seien tot. Natürlich ist das Spiel weder fair noch lustig – Hanekes Titel ist also eher eine billige Pointe, die um Verständnis buhlt. Soll damit insinuiert werden, dass die Täter so handeln, weil sie zwischen Spiel und Ernst nicht mehr unterscheiden können?
An den Nahtstellen von Fiktion und Realität spielen alle von Hanekes Filmen, zielen dabei mit einer Hingabe immer wieder auf jenen Punkt, wo aus Spiel Ernst wird, wie Kinder, die ihrem Stofftier den Bauch aufschneiden, um zu sehen, was sich darin verbirgt. Das Schockierende ist diese Ungerührtheit, mit der Haneke in der Wunde bohrt.
Seine Filme sind Versuchsanordnungen, in denen Reaktionen getestet werden. Um Motive kann es da gar nicht gehen, und Psychologie und Soziologie haben in dieser Welt so wenig Platz wie im Labor des Wissenschaftlers. Es ist immer wieder dasselbe Schema von Aktion und Reaktion, das Haneke so lange zerdehnt, bis es wie in Zeitlupe abläuft. Und mit dem Ergebnis lässt er den Zuschauer allein. Im Grunde ist es also Haneke der mit seinen Zuschauern funny games spielt. Er bestimmt die Regeln, und wir reagieren.
In gewisser Weise ist Haneke ein Verwandter der Wiener Aktionisten. Die haben Katzen (und sich selbst) gequält und Schweine geschlachtet, als könnten sie wie die Auguren aus den Innereien, wenn schon nicht die Zukunft, so doch den Zustand unserer Gesellschaft herauslesen. Was dabei herauskam, ist die billige, aber immer wieder wirkungsvolle Erkenntnis, wie verdammt dünn die Haut ist, mit der die bürgerliche Kultur die Wirklichkeit überzogen hat. Ein Stich genügt, und schon platzt unser Selbstverständnis wie eine mit Blut gefüllte Schweinsblase.
Stanley Kubrick hat diesen Mechanismus in "Clockwork Orange" vorgeführt, und der Skandal ist seither nicht kleiner geworden. Bei Haneke schlachten zwei Jungs eine Familie ab, und es bleibt nicht einmal der zweifelhafte Trost, mit dem im Mainstreamkino sonst jeder Wirkung eine Ursache zugewiesen wird. Dass es kein erkennbares Motiv gibt, verschärft den Terror nicht wesentlich, aber verstößt doch gegen gewisse Sehgewohnheiten. Man fühlt sich als Zuschauer wie in Kafkas Strafkolonie.
Soweit funktioniert "Funny Games" genauso perfekt wie "Benny’s Video", er will vorführen, wie leichtfertig üblicherweise Gewalt im Kino konsumiert, wie fahrlässig mit ihrer Darstellung umgegangen wird: „Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer. ”
Haneke bedient sich mit großem Geschick der Konventionen des Horrorfilms und Thrillers, um sie dann vermeintlich gegen das Genre selbst zu kehren. Aber die Bilder wissen mehr als ihr Regisseur. Sie entwickeln jene eigene Dynamik, die allen Filmen um Gewalt zu eigen ist. Es gibt stets den unbewussten Impuls, mit dem Teufel zu sympathisieren und in der Qual unschuldiger Opfer eine irgendwie gerechte Strafe zu sehen. Nichts kann den Opfern ihre Unschuld zurückgeben – das liegt in der Natur der Dinge.
Haneke hat die Gefahr erkannt und versucht, ihr durch formale Spielereien zu entgehen. Mehrfach wenden sich die Täter dem Publikum zu – und einmal wird sogar eine Aktion rückgängig gemacht, indem der Film einfach zurückspult, um der Geschichte noch ihr grausames Ende bereiten zu können: Die Frau erschießt einen der Täter – Stop, zurück – erschießt ihn nicht und wird selbst umgebracht. An die Wirkung solcher Verfremdungen zu glauben, ist die große Schwäche des Films, als genüge es, die Zuschauer auf ihr romantisches Glotzen hinzuweisen, um es ihnen auszutreiben. Haneke verweigert wohl Erklärungen, aber sein ganzer Film insinuiert, es seien doch irgendwie die modernen Medien – Fernsehnachrichten, Horrorvideos, Kriegsspiele –, die solche Monster gebären. _________________ "Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion." |
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