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Etwas wird sichtbar (D 1981, H. Farocki)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 25.07.2019 00:18    Titel: Etwas wird sichtbar (D 1981, H. Farocki) Antworten mit Zitat

gesehen am 24.07.2019 (VHS); 5/5

Ein Krieg, weit weg schon. Bilder von Vietnam in einem Film, dessen Zentrum sie sind, der sich aber mehr für die Ränder interessiert. Sie waren schon so lange abgesunken, aber die eigene Erinnerung hat sie erstaunlich gut konserviert. Man sieht sie in diesem Film besser als damals, als sie bloße Information waren. Die Fiktion ist nötig, damit man die Bilder sich zu Eigen machen kann, das Dokumentarische betrifft immer nur die anderen. Der Film hat sich diese Erfahrung, die Godard formuliert hat, zu Herzen genommen.

Harun Farockis Spielfilm „Etwas wird sichtbar“ will nicht erklären weshalb ein Krieg in einem so fernen Land einen Moment lang überspringen konnte auf die ganze westliche Welt. Er handelt von Distanzen, von Beziehungen zwischen. Er erklärt auch nicht, er erinnert nur daran, dass nie zuvor ein Kireg so massiv fotografisch gecovert wurde. Aber es wäre schon zu viel, zu sagen, der Film legte nahe, dass die Bilder seinen Verlauf mitbestimmt hätten. Er zeigt die Nachwehen, Kriegseffekte. Er kombiniert ein historisches Motiv mit einem romantischen. Vietnam und ein Liebespaar.

Wir sehen Leute in Berlin, Anfang der 1980er Jahre, die gezeichnet sind von diesem Krieg. Die Trauer ist noch größer als die Enttäuschung. Die Zeiten nach der Revolution sind schwer. Wenn man zur Tagesordnung übergeht, wenn die reinen Kämpfer von gestern ihre Unschuld verlieren. Und nicht nur das. Noch den Sieg der anderen haben die mächtigen Verlieren zu nutzen gewusst. Die Sympathisanten geben sich auf ihrem ureigensten Gebiet geschlagen: die Amerikaner in ihren Büchern haben den Gegner viel besser porträtiert als alle Sympathisanten mit ihrer Sympathie.

Die eine Seite und die andere kommen zu Wort. Zwischen den Dingen, den Menschen, den Ansichten, den Orten zeigt sich etwas von selbst. Aber alle Distanzierung ändert nichts daran, Farockis Film ist ein Bekenntnis. Die Spuren, die der Vietnamkrieg in denen hinterlassen hat, die damals hier gegen ihn kämpften, zeigt der Film: der Krieg hat dieser Generation die Bilder verschlagen. Und obendrein ist ihre Sprache noch heute bis ins Mark gezeichnet von analytischen Umständlichkeiten, mit denen man Ende der 1960er Jahre kundtat, dass man auf der richtigen Seite stand und die richtigen Autoren gelesen hatte. Trotz aller Beteuerungen des Films, das mit dem Ende des Krieges auch die Fronten und die einseitigen Wahrheiten verschwunden seien.

Man müsste ein Doppelprogramm mit diesem Film und Margarethe von Trottas „Bleiernder Zeit“. Nicht, um sie gegeneinander auszuspielen. Dann käme heraus, was es bedeutet, für sich selbst zu sprechen, auch mit vorhandenen Bildern, und weshalb heute gemachte Bilder nur Paravents sind. Dieser Film macht so betroffen, weil seine Bilder sich zusammensetzen zum Bild von einer verratenen Generation. Anna und Robert und Fritz lachen nie, sie haben nur ganz kleine Gesten und, wie gesagt, nicht einmal eine eigene Sprache.

Zuweilen nur kann man meinen, auch positive Untertöne zu hören, die Hoffnung auf noch nicht vereinnahmte Ränder, auf unrentable Ecken, in denen vielleicht doch ein eigenes Leben möglich wäre. Nachgestellte Bilder aus Vietnam oder zitierte aus einem Dowshenko-Film erzählen leise triumphierend vom Sieg unorthodoxer, aus der Situation heraus erfundener primärer Methoden. Aber gleich danach treten die Ausbeuter auf den Plan, die Wissenschaftsmanager, die die kleinen explosiven Listen der großen Strategie einverleiben.

Auch Farocki verwendet Dinge gegen ihren Strich. Er inszeniert Theoreme, wodurch sich darstellt, dass Theorie auch deliriert und Abstraktion auch Kunst ist und Hohn auf die Natur. Die Personen des Films dialogisieren vermittels Sätzen und Ideen aus Büchern. Das gilt als unfilmisch, weil für uns nach immer nur einem Modell gefilmt wird, in dem die Illusionierung den Vorrang hat. Farocki favorisiert nur eine andere, ebenso genuine Möglichkeit des Kinos. Die Montage ist ein Mittel aktivierender Fiktion. Dann denken die Bilder.

Farocki produziert ganze Kolonnen von kombinierbaren Paaren wie Text/Bild, lesen/sehen, Arbeit/Liebe, Foto/Film, die scharf konturiert nebeneinander bestehen und nie fusionieren. Als Synthese allenfalls ein zweideutiges Bild. Das Blut einer Terroristin vermischt sich mit dem des CIA-Agenten Bruno Ganz. Es sind demonstrative Bilder, früher sagte man Lebende Bilder, die den Strom der üblichen, die uns bewegen, momentan blockieren. Verbildlichungen, die nachzudenken zwingen und zum Abwägen Anlass geben. Zwischen den informativen, den gespiegelten, den fotografierten entstehen indirekte.

Die Situationisten, die der Film gelegentlich zitiert, riefen schon 1968 auf, sich den Medien zu verweigern. Ihre „Kunstfeindlichkeit“ begründeten sie damit, dass in der heutigen Gesellschaft, als einer Gesellschaft des Schauspiels, die Zirkulation der Bilder die letzte Warenraffinesse sei.

Filme wie dieser richten sich gegen den Imperialismus der einzig gängigen Fiktionsbilder und gegen die vermeintlich dokumentarischen, an deren Wahrheitsmonopol auch längst niemand mehr glaubt. Ein gefangener GI im Film, der von sich behauptet, vom Krieger zum Philosophen geworden zu sein, sagt, dass die Bilder in unserer Gesellschaft nicht den Platz hätten, der ihnen ihrer Wichtigkeit nach gebührte. Das ist eine Forderung nicht nach mehr Bildern, sondern nach einem anderen Platz für sie im Zusammenhang.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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