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The new world (USA 2005, T. Malick)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 14.02.2007 22:28    Titel: The new world (USA 2005, T. Malick) Antworten mit Zitat

gesehen am 10.02.2007 (DVD) und 12.10.2008 (Kino: Filmforum NRW) und 15.01.2017 (BD); 3/5

Als "kolonialistischen Softporno" hat Klaus Theweleit "The New World" beschimpft. Dieses Urteil ist nicht einfach richtig oder falsch, es ist vielmehr der schärfstmögliche Widerspruch zu dem Projekt, um das es sich bei Malicks Film handelt. Dieses Projekt ist so simpel wie maßlos: die Darstellung der Unschuld, und zwar am Nullpunkt der amerikanischen Zivilisation, wie wir sie kennen, in der Begegnung der Ureinwohner mit den ersten Besiedlern. Es ist das Jahr 1607, aber im Grunde ein Jahr Null.

Oder nicht die Darstellung, sondern die Herstellung, denn das Projekt ist kein historisches - es nutzt nur die nahe liegende historische Gelegenheit -, sondern ein philosophisches. Und ein philosophisches eher als ein (film)ästhetisches, darin liegt eine entscheidende Krux der Unternehmung. Was Malick inszeniert ist eine tota allegoria der Unschuld der Welt an ihrem, oder jedenfalls: einem, über alles historisch Besondere eben aufs Grundsätzliche hinausweisenden Ursprung. "Tota allegoria" heißt nun, dass Malicks Film, "The New World", sich darstellt als geschlossenes Übertragungssystem von Bedeutungen, in dem nichts nur das meint, was es ist und alles, was man sieht, mehr meint als es ist. Der Wind in den Halmen, das Lächeln der Frau, deren Namenstaufe so lange aussteht, die Weißen, die Roten, das Huhn und die See: alles es selbst und noch mehr, die Unschuld, die Liebe, Mutter Natur.

Die Bedeutungen, die Malick allegorisch hineinträgt, wir sollen sie fühlen. Das versteht sich nicht von selbst und führt - sehr konsequent - zu einer bestimmten Form von Überwältigungsästhetik. Und die ist, was nur auf den ersten Blick überrascht, in schlichter Weise konventionell. Das betrifft vor allem James Horners Musik, die mit unablässiger Pasticheproduktion beschäftigt ist. Der Rahmen ist dabei eng gesteckt, von früher bis später Romantik, Chopin bis Bruckner und Wagner in etwa, letzteres für den Aufschwung ins Sakrale, der ein ums andere Mal nicht ausbleibt.

Bezeichnend, dass er bis zu, grob gesagt, Mahler nicht mehr gelangt. Denn hier beginnt die Zitathaftigkeit, die Möglichkeit einer Übernahme, die einklammert und in Frage stellt statt einfach nur hinauszuweisen ins Gefühlte einer anderen Welt. Die Überwältigung zur Unschuld, auf die Malick hinauswill, ist teuer erkauft. Mit dem Verzicht auf Witz und Ironie, auf Reflexion und Bewusstsein von Form und ästhetischer Tradition. "The New World" reicht über die Formensprache Hollywoods keineswegs hinaus.

Unschuld, als in konventioneller Herstellung behauptete, ist mitunter so fad wie der Puritanismus, der mit ihr hier einhergeht. Denn irgendwann gibt es zwar ein Kind, aber Sex hatten die Eltern im Bild jedenfalls nicht.

Und dennoch: Es bleibt für den, der es mag, die Möglichkeit, der Überwältigung sich nicht gänzlich zu entziehen. So teuer die Unschuld erkauft sein mag, in den Grenzen, die Malick ihr zieht, hat sie ihre vom Kitsch schlichter Machart im großen und ganzen doch unterscheidbaren Reize. Der Mut und die ja fraglos sehr bewusste Entschlossenheit, mit dem hier den Theweleits dieser Welt die nackte Schulter gezeigt wird, verdienen einen gewissen Respekt.

Zu wahrer Größe läuft der Film auf, wenn das Mädchen aus der neuen Welt, das vom Tabakfarmer zur Frau gemacht wurde, nach London kommt, um bei Hofe seine Aufwartung zu machen. Da steht sie dann auf einmal in einem englischen Garten zwischen gestutzten Bäumen und geometrisch angelegten Rasenstücken, deren Kontrast zur wildwüchsigen Natur in ihrer Heimat geradezu erschütternd ist, und alles, was der Film erzählen will, fließt in diesem Bild zusammen. Es ist gar nicht so, dass der Film nicht für die Schönheit dieses Arrangements empfänglich wäre, aber es wird auch klar, um welchen Preis sie nur zu haben ist. Der Effekt ist so verblüffend, dass man sogar Mozarts Klavierkonzert in A-Dur als beinahe unnatürliche Zähmung der Klänge empfindet, die der Film sonst bereithält, wie das Zwitschern der Vögel oder den Wind in den Gräsern.

Und doch wird man denen, die glauben, das Paradies, falls das Kino es herstellen kann, müsse so aussehen wie "The New World" nun aussieht, widersprechen. Jean-Luc Godard hat seinen ein Jahr zuvor veröffentlichten Film "Notre Musique" als Triptychon gestaltet, mit Darstellung des Paradieses am Schluss. Dies Paradies, als Vision, ist ohne die Hölle der Kriege, die Hölle des Wissens, das wir haben von den Verbrechen der Menschheit, so Godards These, nicht zu haben. Das Paradies bei Godard ist ein Ausblick wider besseres Wissen. Aus dieser Perspektive ist Malicks Unschuld einfach falsch. Das Auge des Betrachters kann und darf den Kolonialismus so wenig vergessen wie den nahe liegenden Sexismus des Kamerablicks. Dies Vergessen wäre dann die Reinform ästhetischer Ideologie. Und "The New World" nichts weiter als ein kolonialistischer Softporno.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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