Foren-Übersicht
Wünsche, Anregungen, Diskussionen, das alles hier im Forum!
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Caché (F/Ö/D 2005, M. Haneke)

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch
Zurück :: Weiter  
Autor Nachricht
Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 16.02.2007 18:41    Titel: Caché (F/Ö/D 2005, M. Haneke) Antworten mit Zitat

gesehen am 12.02.2007 (DVD); 4/5

Die Rue des Iris in Paris, die man in der ersten Einstellung von „Caché“ zu sehen bekommt, gibt es tatsächlich. Es ist eine kleine Straße im 13. Arrondissement, die in einem Bogen auf die Rue Brillat-Savarin zuführt, in einer ruhigen Gegend mit gemischtem Publikum, Mietern, Hausbesitzern, Klein- und Großbürgern. An der Straßenecke steht, genau wie im Film, ein zweistöckiges Stadthaus mit Atelierfenstern und weißem Vorbau. Oder besser: Es steht in Michael Hanekes Film genauso da wie in der Wirklichkeit. Nur dass es in „Caché“, je länger man es betrachtet, unmerklich zu zittern scheint.

Der Film lässt sich Zeit. Minutenlang betrachtet er nur das Haus und die Straße davor, die parkenden Autos, die Blumen auf einem nahen Balkon. Vogelzwitschern; ein Radfahrer fährt vorbei; ein Mann tritt aus der Tür. Dann sagt eine Frauenstimme: „Das Band läuft über zwei Stunden.“ Die Stimme zerstört die Illusion, dies hier könne eine Geschichte wie alle anderen sein. Es ist der erste tiefe Riss in diesem aus Rissen und Brüchen komponierten Film – und der nachhaltigste. Kurz darauf sieht man, wie das Band zurückgespult wird: Jetzt löst sich das Haus selbst in flirrende Fetzen auf. Es ist ja nur ein Bild, möchte man sich selbst beruhigen; aber das ist in „Caché“ kein Trost.

Nun treffen wir die Bewohner des Hauses. Es sind Georges (Daniel Auteuil) und Anne Laurent (Juliette Binoche), ein Fernsehmoderator und eine Verlagslektorin, mit ihrem zwölfjährigen Sohn, Pierrot. Zwei erfolgreiche Medienleute mit intellektuellen Ansprüchen; zum Abendessen im Bücherzimmer trinken sie Bordeaux. Jemand hat ihnen ein Video geschickt, auf dem ihr Haus zu sehen ist. Ich sehe euch, heißt das. Aber wer sieht wen? Kurz darauf erhält Georges einen Umschlag, in dem eine Art Kinderzeichnung steckt: ein Gesicht, aus dem Blut quillt. Heißt das: „Ich töte euch“ ? Oder, wie es die Geschichte später nahe zu legen scheint: „Ich töte mich und ihr schaut zu“ ?

Hanekes Filme wie „Code Inconnu“, „Funny Games“, „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ oder „Bennys Video“ und nun auch „Caché“ – der Film, der all das, was der Österreicher in den vorangegangenen Filmen einzeln entwickelt hat, zu einem Meisterwerk zusammenzuführen scheint –, sind keine Filme, die mit überflüssigen, konsumistischen, fallweise zynischen oder lächerlichen Bildern zu tun haben. Sein Kino ist kein Rummelplatz der Selbstvergessenheit. Mit "Caché" betritt Haneke das Terrains, auf dem es nicht mehr genügt, ihn als filmischen Moralisten zu bezeichnen. Denn er moralisiert nicht nur, sondern schlägt auch zu, er baut seine Kirche im Herzen der Hauptstadt des Feindes und erklärt ihm den Krieg. Dass Hanekes Kino eine natürliche Nähe zum Attentat hat, konnte man am deutlichsten in „Funny Games“ erkennen, dem Film, der zugleich am allernächsten an der ästhetischen Entgleisung war, weil er den Zuschauer mit Gewaltbildern bombardierte, deren Wirkung ihm selbst entglitt. Davon kann in „Caché“ keine Rede sein. Hier ist alles im Gleis, eiskalt austariert und zugleich menschlich verständlich und der Schockmoment, den man vom ersten Augenblick an erwartet, kommt so unvermeidlich und doch so überraschend, dass man sich beim Zuschauen selbst instinktiv an die Kehle greift. Ach, es ist ja nur ein Film. Aber das ist in „Caché“ kein Trost.

„Caché“ (Versteckt) deutet auf etwas Verborgenes und tatsächlich hat Georges Laurent, der smarte Moderator einer Literatur-Talkshow mit hohen Einschaltquoten, ein düsteres Geheimnis, das tief in seine Kindheit zurückreicht. Wir erfahren davon durch seine Träume. Diese Traumbilder sind die einzigen, die in „Caché“ ganz filmisch wirken, unkorrumpiert durch Fernsehästhetik und Videoeffekte, durch Studioatmosphäre und Wohnzimmermuff. Sie zeigen einen Jungen auf einem Bauernhof, der einem Hahn den Kopf abschlägt und mit dem blutigen Beil auf die Kamera zugeht, einen Jungen, der Blut spuckt und später von zwei Fremden in einem grauen Auto abgeholt wird. Georges hat das Leben dieses Jungen zerstört, aber das Wissen um seine Tat ist in ihm vergraben wie eine Filmkassette im Archiv. Erst die anonymen Videos und die Zeichnungen, die sie begleiten, holen es wieder hervor. Ein Bild ruft das andere, auch wenn der Urheber der Bänder, anders als in einem handelsüblichen Thriller, bis zuletzt unklar bleibt. Und die Bilder schreien so laut, dass Georges Laurent ihren Lärm am Ende nur noch mit Schlaftabletten ertragen kann, so dass er nicht mehr bemerkt, wie seine Frau und sein Sohn sich von ihm entfernen. Es ist, als brütete sein Unterbewusstsein selbst das Unheil aus, „out of the past“, so wie ein existentieller film-noir-Klassiker heißt. Haneke zeigt diesen Georges vielschichtig: smarter, beherrschter Erfolgsmensch, aber zunehmend verunsichert, misstrauisch und abgespannt gegenüber seiner Familie und Umgebung.

Hanekes Formbewusstsein ist makel- und schnörkellos, sein Instinkt bei der Besetzung der Rollen untrüglich – zum Beispiel auch bei Maurice Bénichou, der Georges Gegenspieler interessanterweise weich und freundlich verkörpert (im Gegensatz zu der drohenden, unruhigen Aggressivität Daniel Auteuils – in einem Hollywoodfilm wäre es genau anders herum: Opfer sympathisch, Täter aggressiv). So dreht Haneke perfekt stilsichere und handwerklich saubere Filme über unreine und zutiefst verunsichernde Themen. Der Philosoph und Soziologe Adorno, den Haneke verehrt, hätte gesagt: Sein Kino spiegelt die Antinomie moderner Kunst. Es ist so still, damit es lauter schreien kann.

Am Ende entkommt auch „Caché“ nicht der Zweideutigkeit allem Ästhetischen. Der Film ist auch auf eine Weise gelungen, die man genießen, mindestens nachempfinden kann. Die Unerbittlichkeit, mit der Haneke seine Enthüllungsgeschichte vorantreibt, die fragmentarische Präzision der Videobilder und die innere Glaubwürdigkeit der Figuren sind hier nicht nur eine Frage der Moral, sondern auch eine des Könnens, der Kunst. Und in dieser Disziplin muss sich "Caché" nicht verstecken. Noch die letzte Einstellung seines Films, die vor der Schule von Georges’ Sohn Pierrot spielt, ist so mustergültig komponiert, dass man ihren eigentlichen Inhalt fast übersieht. Erst auf den zweiten Blick erkennt man das Drama, auf das sie hindeutet. Ein Schock, in Schönheit gehüllt, das ist Michael Hanekes Film.
_________________
"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de