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Brokeback Mountain (USA 2005, A. Lee)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 24.02.2007 18:32    Titel: Brokeback Mountain (USA 2005, A. Lee) Antworten mit Zitat

gesehen am 23.02.2007 (DVD); 4/5

Larry McMurtry, der ein unglaubliches Gespür für das Unsichtbare hat, der immer auch das im Blick hat, was anderen entgeht, fasziniert hier nicht die kühne homosexuelle Beziehung, die für die meisten Betrachter im Zentrum stand. Sondern die Frauen der beiden Cowboys. Er glaube fest, sagt er, wenn man etwas herausfinden oder überprüfen wolle über Emotionen, müsse man zu den Frauen gehen.

"This thing", nennt Ennis Del Mar einmal das, was zwischen ihm und Jack Twist ist. Denn die beiden haben keine Sprache für ihre Liebe. Wie auch, wenn das, was diese Männer verbindet, in ihrer Welt, ihrer Zeit noch nicht einmal wirklich denkbar scheint? Es fehlt, mehr noch als an den Worten, an einem Konzept dafür. "If this thing takes hold of us..." geht Ennis' Satz weiter: Dieses "Ding" ist etwas, das sie überfällt, das von ihnen Besitz ergreift. Es ist größer als Worte, als Konzepte und stärker als seine Undenkbarkeit, so lange die beiden alleine sind. Der Titel des Films bezeichnet den einzigen Ort, an dem sein kann, was nicht sein darf. Als einsame Schafhirten auf dem titelgebenden Berg kommt es 1963 zum ersten Mal über sie, in einer kalten, besoffenen Nacht im engen Zelt. "Brokeback Mountain" ist kein so romantischer Film, dass er verleugnen würde, dass Liebe zunächst einmal sehr viel mit Lust zu tun hat. Und mit Einsamkeit. Es ist eine ungemein körperliche Szene, diese erste gemeinsame Nacht von Ennis (Heath Ledger) und Jack (Jake Gyllenhaal). Eine Szene, in der man das nackte Begehren spürt - ein sexuelles Begehren so sehr wie ein seelisches: Ein fast brutales Aufeinandertreffen der Leiber, auf der Suche nach Befriedigung, aber auch nach schlichter Nähe. Aber vor allem Ennis hat eben keine Worte, hat kein Konzept für das, was er da sucht und findet. Ennis redet überhaupt nicht viel. Und er scheint zu hoffen, dass dieses undenkbare "Ding" nicht wirklich da ist, so lange er nicht darüber spricht, er es einfach nur geschehen lässt. Solange Jack und er nicht explizit anerkennen, was sie tun. Und solange sonst keine Zeugen dafür da sind.

"If this thing takes hold of us at the wrong moment..." lautet Ennis' - Jahre später gesprochener - Satz weiter: Denn einmal zurück aus der Bergeinsamkeit reicht Schweigen nicht mehr, um mit diesem ominösen, starken, gefährlichen "Ding" umzugehen. Schon der ferne Blick eines Außenstehenden reicht, um die Idylle zu bedrohen - Ennis' und Jacks Arbeitgeber Joe Aguiree (sehr prägnant: Randy Quaid) erhascht einmal mit dem Feldstecher verdächtige Momente der Nähe, und er wird den beiden Männern danach keine zweite Chance mehr geben, über ihren Job hier zusammenzufinden. Dabei sind das noch harmlose Konsequenzen. Ennis vergleicht in dem Dialog seine und Jacks Liebe mit einem Rodeo-Ritt: Wenn sie einmal wirklich aus dem Gatter gelassen wird, dann gibt es keine Zügel der Welt mehr, mit denen sie unter Kontrolle zu bringen wäre. Und das Ende eines solchen Ritts kann tödlich sein, in einer Welt, in der Väter ihre kleinen Söhne zur massakrierten Leiche eines Homosexuellen mitnehmen, um ihnen zu zeigen, was mit Männern passiert, die anders sind, als sie in diesem Land zu sein haben. Nach ihrer ersten Vertreibung aus dem Paradies von Brokeback Mountain müssen Jack und Ennis sich den Raum für ihre Liebe heimlich von der Welt abtrotzen. Beide heiraten, zeugen Kinder. Und Ennis, der große Verschweiger, Verdränger, Sich-den-Realitäten-Füger, würde es wohl auch gut sein lassen mit stillem Unglück bis zu seinem Lebensende. Es ist Jack, der die Beziehung mittels einer Postkarte wieder aufnimmt. Jack, der eher bereit ist, die Dinge an- und auszusprechen. Jack, der schlicht auch mehr ununterdrückbares Verlangen nach den körperlichen Aspekten der Liebe hat. Der sich möglicherweise deswegen traut, zu träumen von einer Welt, die zumindest soweit anders wäre, dass er und Ennis ständig zusammenleben könnten, egal wie abgeschieden und heimlich. Die Welt ist so wenig nach diesen Träumen geraten wie Ennis - der wort- und mutlose Ennis, dessen (Auto-)Aggression sich anstaut und immer wieder in Schlägereien entlädt. Und Jack (so wenig wie der Film) ist nicht so romantisch, dass er seine Wünsche auf Dauer ganz verleugnen könnte. Die zwei, drei Mal im Jahr, an denen er sich mit Ennis "zum Angeln" auf dem Brokeback Mountain trifft, können seine Sehnsucht nicht stillen. Jack sucht in Mexiko Strichjungen auf, und er sucht gelegentlich Affären mit anderen Männern. Es sind die zwei Szenen, in denen er mit jemanden unterschwellig mit dieser Absicht spricht - einmal in einer Bar mit einem Rodeoclown, einmal mit dem Ehemann einer Freundin seiner Frau -, diese Szenen sind es, die eindringlicher als alles andere spürbar machen, auf welchem Minenfeld sich ein Mann wie Jack in dieser Gesellschaft bewegt: Es darf da nichts über den Hauch einer Andeutung hinausgehen, ein Blick, eine Pause, eine Betonung kann schon zuviel sein. Und umgekehrt gilt es, jedes mögliche Zeichen des ebenso zur Subtilität verdammten Anderen richtig zu deuten, nichts überzuinterpretieren, aber auch nichts zu verpassen. Selten hat ein Film die Hölle so präzise als stillen Mikrokosmos gezeichnet.

"Ein Film über schwule Cowboys", so lautet die gängige Kurz-Beschreibung von "Brokeback Mountain". Das ist sachlich freilich nicht falsch, aber es führt doch in die verkehrte Richtung. Zum einen, weil das Wort "Cowboys" ohne weitere Präzisierung die falschen Assoziationen weckt: Nein, "Brokeback Mountain" ist nicht wirklich ein Western - es geht ihm nicht einmal ex negativo, als Folie, von der er sich abheben könnte, vordringlich um das Genre und dessen Mythologie. Ennis und Jack sind gestrandete Nichtmehr-Cowboys des 20. Jahrhunderts, schlichte Gelegenheits- und Wanderarbeiter. Dass ihre Liebe in das klassische Western-Männerbild so gar nicht passt, macht alles nicht leichter, aber es ist nicht das grundsätzliche Problem. Es ist nicht dieser Punkt, auf den der Film besonders stark abheben würde - die Intoleranz, die er zeigt, reicht tiefer, ist viel universaler. (Es gehört, nebenbei bemerkt, leider zu den brutal heilsamen, augenöffnenden Wirkungen des Films, dass die Reaktionen auf ihn einem nicht nur die erwartungsgemäß virulente Bigotterie in manch fundamental-"christlichen" Regionen der USA bewusst machen, sondern auch die erschreckende Homophobie einiger vermeintlich aufgeklärter, vernunftbegabter Mitteleuropäer im eigenen Bekanntenkreis.) Zum anderen klingt "Ein Film über schwule Cowboys" im Zusammenhang mit all den Preisen, darunter drei prestigeträchtige Oscars, die der Film überraschenderweise einheimste, so sehr nach einer klassischen Hollywood-Problemstellung. Das klingt so sehr nach einem zu bearbeitenden Thema; nach einer noblen Causa, der sich filmende Gutmenschen mit den brav-behäbigen, sicheren dramaturgischen Mitteln des liberalen US-Message-Dramas annehmen. Aber genau das ist "Brokeback Mountain" eben nicht. Es ist ein Film über eine unmögliche Liebe - das ist sein wahres Thema. Dass die Liebenden schwul sind, und dass sie Cowboys sind, das interessiert ihn, weil eben dies ihre Liebe unmöglich macht, aber nicht als symbolträchtiger Eigenwert.

In gewisser Weise wirkt der Film fast naiv: Er lässt sich kein großes Bewusstsein dafür anmerken, dass seine Geschichte ein Thema sein könnte. Und gerade das macht ihn groß: Dass er nicht viel argumentiert und dramatisiert, sondern einfach zeigt. Dass der Film selbst die Liebe, von der er handelt, nicht ästhetisch stigmatisiert, indem er ihre vermeintliche Andersartigkeit herausstellt. Sondern dass er sie grundsätzlich einfach wie eine Liebesgeschichte behandelt - nur eben eine, die keinen Platz an ihrem Ort, in ihrer Zeit findet. "Brokeback Mountain" dreht sich um das große Thema praktisch aller Filme von Ang Lee: Der Widerspruch zwischen dem Begehren, Sehnen von Menschen und der Gesellschaft bzw. Ära, in der sie leben. Ob "Das Hochzeitsbankett", "Sense and Sensibility", "The ice storm" oder "Tiger & Dragon" - immer geht es um die Komplikationen, die sich ergeben, weil das, was vermeintlich natürlich zwischen zwei Menschen entbrennt, quer steht zu den Regeln, mit denen ihre Welt Liebe und Lust normiert, kanalisiert, kontrolliert. (Und nicht immer, weil die gesellschaftlichen Erwartungen zu restriktiv sind - in "Ice Storm" ist der Zwang zur Permissivität nicht minder bedrückend.) "Brokeback Mountain" teilt die große Qualität aller Werke dieses taiwanesischen US-Amerikaners: Sein Blick auf die dargestellte Welt ist der eines mitfühlenden Außenseiters. Seine Filme durchzieht stets ein unterschwelliges Gefühl von Fremdheit. Es ist nicht die Aura von üblichen "historischen" Filmen, die bei ihm Kostüme und Dekors verströmen - es ist eher die Aura von einem Stück Anthropologie, Archäologie: Ein sehr genaues, nie aufdringliches, leicht neugierig-befremdetes "so hat es damals ausgesehen...", "so lebten die Menschen, und vielleicht verhielten sie sich gerade deswegen so...". Und dennoch hat diese merkliche Distanz nie etwas Kühles, hat nie die gnadenlose Schärfe beispielsweise eines Stanley Kubrick (auf seine ganz andere, grundsätzlich pessimistischere Weise auch einer der großen Humanisten des Kinos). Sein Abstand hindert Lee nie daran, dennoch große Empathie zu hegen für seine Charaktere. Vielleicht ist sogar gerade dieser Abstand die Grundvoraussetzung für sein Mitgefühl: Lee nähert sich seinen Figuren von außen, er nimmt sich die Zeit, sie in ihrer ihm fremden Gesellschaft und Epoche zu begreifen - und weil er so die soziale, historische Bedingtheit ihres Handelns nachvollziehen kann, kann er sie wirklich verstehen. Und weil er sie versteht, kann er ihre Gefühle teilen.

Mehr noch als an Ennis und Jack kann man dies an den Frauenfiguren des Films verfolgen. Sie haben, keine Frage, die undankbarsten Rollen in diesem ungerechten Drama erwischt: Es ist nicht ihre Schuld, dass ihre Männer und ihre Welt so sind, wie sie sind. Dass auch Männer, die mit Frauen als Lebens- und Liebespartnerinnen eigentlich nichts anfangen können, sich gezwungen sehen, dennoch grade dies zu suchen. Und dass diese Männer selbst ihnen gegenüber nicht ehrlich sein können, sie den Schein leben müssen. Dennoch haben die Frauen ein Stück weit die Antagonisten abzugeben in dem unschönen Schauspiel. Denn sie sind es nunmal, mit denen diese Männer zusammenleben müssen, ohne es zu wollen. Sie verlangen - zunächst ohne das selbst zu ahnen - nach all dem vorgestäuschten Begehren, den widerwillig gespielten Zeichen von Liebe und "Normalität". Was "Brokeback Mountain" nicht zuletzt zu einem Meisterwerk macht ist, wie er mit diesen Frauen umgeht. Er schafft es, sie zugleich mit einem ihrer Subjektivität Raum gebenden Blick und durch die Augen seiner eigentlichen Protagonisten zu sehen. Ohne, dass er ihre Geschichten, ihr Perspektive auserzählt, lässt er einen doch spüren, was für eine Hölle das Ganze auch für sie sein muss. Auch sie sind Opfer, auch ihre Leben wird zur Lüge gemacht.

Da ist Alma (Michelle Williams), Ennis' Frau: Selbstverständlich musste Ennis, der große Verdränger, sich die arglosere Frau aussuchen, musste sich und ihr mehr weismachen, dass es eine gewöhnliche Liebe und Ehe zwischen ihnen ist. Und wie Ennis hat auch Alma keine Worte, kein Konzept, in die zu fassen wäre, als sie unbemerkt die beiden Männer zum ersten Mal beim leidenschaftlichen Kuss beobachtet. Es ist klar, dass sie in dem Moment eigentlich alles weiß. Aber auch sie macht lange nach dem Prinzip weiter, dass nicht existiert, was man nicht beim Namen nennt. Es gibt wohl keine grausamere Szene des Films als jene, in der Alma Ennis im Ehebett sagt, dass sie keine weiteren Kinder von ihm will, weil sie nicht sieht, wie er für sie finanziell sorgen könnte. ("Brokeback Mountain" ist auch, und das sollte man nie außer Acht lassen, ein Film über die ökonomischen Zwänge einer Gesellschaft.) Worauf Ennis dankbar von ihr ablässt, im offensichtlichen Glauben, ihnen damit beiden einen Gefallen zu tun. Auch Alma ist ein Mensch, der allein gelassen wird mit der Sehnsucht nach sexueller Erfüllung und nach seelischer Nähe. Aber so unbeholfen und unscheinbar sie zunächst auch wirkt: Sie ist die eine Figur in dem Film, die den Mut hat, die Lebenslüge zu beenden, so weh es auch tut. Sie lässt sich scheiden, findet einen anderen Mann - den der Film auch als eher unbeholfen, spießig, unscheinbar zeichnet, aber (so lässt der nur kurze Eindruck, den man von ihm bekommt, zumindest vermuten) als doch möglicherweise schlicht anständigen Partner für sie. Ennis, der Verdränger, ist einer, der die Dinge gern erst dann kapiert, wenn es zu spät ist. Und der aus dem Debakel mit Alma all die falschen Lehren zieht. Auch seine nächste Beziehung, zu Cassie (Linda Cardellini), lässt er gegen die Wand fahren. Und gibt sich dabei noch als der große, schweigsame Held, gibt sich selbstmitleidsvoll als derjenige, der das Opfer gebracht hat. (Denn Ennis, wie gesagt, belügt sich mit seinen Beziehungen zu Frauen auch stets ein Stück weit selbst, benutzt sie nicht schlicht als Tarnung nach außen.) Auf die Idee, Cassie zu sagen, was Sache ist, kommt er nicht - wahrscheinlich, weil er es selbst ja nicht weiß oder wissen will. Indem er sie aber einfach sitzen lässt, unterschätzt er sie maßlos. Es wäre wohl für sie eh kein großer Spaß gewesen, mit ihm zusammen zu sein, meint er später vermeintlich großherzig als Erklärung. Worauf sie mit einem Satz erkennen lässt, wie viel tiefer das war, was sie für ihn empfand: "You think a woman falls in love with fun?"

Und dann ist da Lureen (Anne Hathaway), Jacks Frau: Bei den beiden hat man von Anfang an den Eindruck eines etwas abgekarteteren Spiels, eines etwas einvernehmlicheren Zweckbündnisses. Sie haben materiell keine Sorgen, Lureen ist die Tochter eines reichen Landwirtschaftsmaschinen-Händlers. Und Jack als ihr Ehemann scheint für sie gegenüber ihrem Vater eine nicht minder nützliche Rolle zu spielen als sie für Jack. (Großartig aber der Moment, wenn Jack einmal aus seiner braven, duldsamen Rolle ausbricht und den großspurigen, widerlich gönnerhaften und dominanten Vater heftig zusammenstaucht - und Lureen darob für einen Augenblick ein begeistertes Grinsen entkommt.) Das Unglück der beiden wirkt weniger tief, aber der Preis dafür ist eine noch größere Leidenschaftslosigkeit des Lebens. Sie spielen die Lüge perfekter, und man kann nur vermuten, wieviel Lureen in Wahrheit ahnt - sie scheint zu schlau, um den Tatsachen gegenüber wirklich blind zu sein. Lureen zieht - wahrscheinlich sogar aus freiem Willen - die Lebenslüge konsequent durch. Sie verschwindet immer mehr hinter ihren Geschäftsaufgaben und der Maske ihres Make-ups. Und am Ende ist ihr sogar Jack zu einer offensichtlich vorfabrizierten, erbarmungslos beschönigten, offiziellen Geschichte verkommen, die sie am Telefon abspult - während ihre Augen verraten, dass sie spätestens jetzt alles weiß. Es sind Momente wie der zuletzt beschriebene, in denen sich die Größe von "Brokeback Mountain" am deutlichsten zeigt. Denn der Film hat eine andere, viel wunderbarere Art von Wortlosigkeit als sein Protagonist Ennis: Auch er spricht die wesentlichsten Dinge meist gerade nicht aus - aber er ist sich ihrer voll bewusst und findet Wege sie auszudrücken, die gerade durch ihre Indirektheit umso eindringlicher sind. Der Film erzählt einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren - episodisch, schlaglichtartig, überwiegend wohltuend ohne die handelsübliche, übertriebene dramatisch/dramaturgische Zuspitzung. Und dabei sind die Zwischenräume, die Auslassungen mindestens ebenso wichtig wie das explizit Gezeigte. Ang Lee versteht sich schon immer besonders darauf, mit gerade in ihrer Unaufdringlichkeit ehrfurchtgebietender Präzision und Menschlichkeit Details so zu zeigen, dass man auf das verborgene Ganze selbst sehr weitgehend schließen kann: Man ergänzt es im Kopf, und wird dabei doch kaum merklich mehr von Lees Kunst als der eigenen Phantasie geleitet.

Eine Szene, für die dies besonders gilt, ist der Besuch von Ennis bei Jacks Eltern kurz vor Ende - die vielleicht stärkste Szene des ganzen Films. Es ist eine Szene, die die Sprachlosigkeit aller Beteiligten auf die Spitze treibt, auch wenn in ihr durchaus geredet wird: Es ist vollkommen klar, dass die Eltern beide Bescheid wissen. Aber es ist ebenso eindeutig, dass weder sie noch Ennis bereit oder auch nur fähig sein könnten, das unleugbar Wahre offen zum Ausdruck zu bringen. Aber es gibt da einen entscheidenden Unterschied in dieser Haltung, den Lee genial schlicht in eine unbewegte Einstellung fasst - vorne links stehend die Mutter, rechts im Mittelgrund am Tisch sitzend der Vater: Der Vater ist zerfressen vom Hass auf das, was er nicht akzeptieren kann und will; er bringt nur bitter verklausulierte Sätze und ein verächtliches Spucken über die Lippen für seinen Sohn und dessen naturgegebenes Begehren. Die Mutter hingegen braucht einfach keine explizite Sprache, um ihre ganz anders gearteten Gefühle darin zu fassen, sie tut es indirekt und mit Gesten. Und das ist das Überwältigendste und Schönste an "Brokeback Mountain" : Die plötzliche Erkenntnis, dass auch Toleranz, Akzeptanz, Liebe ganz schlicht, natürlich und... - wortlos sein können. Am Ende bleibt bleibt Ennis alleine zurück, weder besser dran, noch schlechter als zuvor, ein einsamer Cowboy ohne Heim und Hof. Lees Abschlussbilder machen denn auch wenig Mut, aber sie sind treffend, stimmig: der verschlossene Ennis sperrt den offeneren Jack symbolisch zu seiner Liebe in den Kleiderschrank. Da ist er gut verwahrt und vor weiteren Übergriffen geschützt, an der gemeinsamen Liebe "in the closet", im Verborgenen, hat sich damit aber nichts verändert. Die Welt bleibt wie sie war: starr, gnadenlos und eng.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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