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Unforgiven (USA 1992, C. Eastwood)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 26.02.2007 23:10    Titel: Unforgiven (USA 1992, C. Eastwood) Antworten mit Zitat

gesehen am 26.02.2007 (DVD) und 26.09.2010 (BD), 18.02.2011 (Kino: Filmclub 813); 4/5

Wyoming, um 1880: Ein sesshaft gewordener ehemaliger Revolverheld erliegt der Versuchung des Geldes, das auf zwei Männer ausgesetzt ist, die eine Prostituierte misshandelt haben, und kehrt für ein paar Wochen zu seiner vergessen geglaubten Vergangenheit zurück. Big Whiskey heißt das armselige, halbfertige Grenzkaff. Es muss so heissen: Die Mörder trinken, um töten zu können. Und dann trinken sie noch mehr, um damit fertigzuwerden. So viel, dass sie bereit sind, wieder zu töten. Es wird viel getrunken in Big Whiskey. "Unforgiven" spielt nach der ersten Erschließung des Westens, als sich die Zivilisation langsam zu formen beginnt. Die ehemaligen Revolverhelden sind alt und müde geworden. Manche haben sich auf die Seite des Gesetzes geschlagen wie einst Billy The Kids Widersacher Pat Garrett (so wie Little Bill), andere haben sich bei Firmen anstellen lassen (English Bob tötete Chinesen für die Eisenbahn), wieder andere haben sich im Hinterland verkrochen, so wie Bill Munny und sein alter Kumpel Ned. Ihre Legenden leben alleine weiter, denn sie sind das Resultat von Mythenbildung. Als wir den so berüchtigten Bill Munny zum ersten Mal sehen, versucht er gerade die Schweine in seinem kleinen Koben zu bändigen - ohne Erfolg. Das Schießen wie das Trinken, die zwei Routinen von Westernmännlichkeit hat er sich abgewöhnt, er fällt fast vom Pferd, als er es zum ersten Mal seit langem wieder besteigen will, und als er versucht, eine Dose auf geringe Entfernung zu treffen, braucht er ein Gewehr, weil ihn das Geschick im Umgang mit dem Revolver verlassen hat.

Aber eigentlich beginnt alles bei den Frauen. Die einzigen Frauen in Big Whiskey sind die Nutten. Delilah macht den Fehler, einen ihrer Kunden auszulachen ("his pecker was so little... she didn´t know better", sagt Strawberry Alice (Frances Fisher), die Anführerin der Prostituierten, später - der Anfang des Blutvergiessens nimmt seinen Ausgangspunkt in einer lächerlichen Kränkung männlicher Eitelkeit). Man zerschneidet ihr das Gesicht - die Frauen sind nicht mehr wert als Vieh; diese Tradition des alten Westens hat man behalten. Konsequenterweise sollen ein paar Pferde den Gesichtsverlust ersetzen (der Chef des Bordells ärgert sich über den Vorfall mehr insofern, als er eine Einnahmequelle verloren hat, nichts weiter) - "We´re whores, no horses", antwortet Alice. Die Frauen wissen, dass sie Ausgestossene sind, aber sie haben noch einen Funken Ehre (tatsächlich sind sie das moralische Zentrum des Films: Als später das Töten beginnt, schneidet Eastwood immer wieder auf die Reaktionen der Umstehenden - die Prostituierten sind die Einzigen, die Entsetzen zeigen). Der einzige Widerstand, der ihnen möglich ist, ist aus ihrem mühsam Ersparten ein Kopfgeld zusammenzukratzen. Die Mörder lassen nicht lange auf sich warten.

Und das Töten ist das zentrale Bild von "Unforgiven" ("Unverziehen", nicht "Erbarmungslos", wie der deutsche Titel irreführenderweise behauptet - es gibt keine Erlösung von der Schuld der Vergangenheit). "Is she dead?", fragt Little Bill, als er das Puff betritt, um nach der verletzten Hure zu sehen. "No, she´ll live", lautet die Antwort, und der Tonfall macht klar, dass das eigentlich das schlimmere Schicksal ist. Auch Bill Munny wird von den Geistern des Todes gejagt: Seine Frau, die ihn reformiert hat, ist gestorben, und obwohl er seine "wicked ways" seither verleugnet, klebt das Blut seiner Opfer noch immer an seinen Händen. Die Fabel hinter Unforgiven ist einfach: Ein amerikanischer Mörder, der zum normalen Bürger werden will, und feststellen muss, dass er dazu verdammt ist, auf ewig ein Mörder zu bleiben. Und das Morden hat seinen Glanz verloren.

Es gab schon einmal eine Ära im amerikanischen Western, die schonungslos von seinem verfaulten Kern erzählte. Nachdem Mitte der 1960er Jahre der Italowestern (welchem Eastwood seinen Durchbruch verdankt) auf subversive Weise die Moral des Edelwesterns endgültig eingerissen hatte, beschäftigten sich die Filmemacher mit der düsteren Seite des amerikanischen Heimatgenres: Das Sterben gealterter Legenden (Don Siegels "The Shootist"), die Vernichtung der Indianer (Arthur Penns "Little big man"), der amerikanische Westen als Analogie zu Vietnam (Peckinpahs "The Wild Bunch") - aus dieser Zeit, lange bevor sein Autor David Webb Peoples (zum Beispiel mit "Blade Runner") bekannt wurde, stammt auch das Drehbuch zu "Unforgiven". Eastwood wollte es schon damals verfilmen und die Rolle des Kid spielen. Als das nicht zustande kam, wartete er zwanzig Jahre, um alt genug zu sein, und spielte dann Bill Munny. Damit führt er nicht nur fort, was sein Werk so einzigartig macht (die ständig erweiterte Dekonstruktion seines Leinwandimages), er setzt auch einen Schlusspunkt unter ein totgesagtes Genre - nicht zufällig endet der Film an einem verlassenen Grabstein und ist Eastwoods Mentoren, Siegel und Sergio Leone gewidmet. Vor dem Hintergrund der frühen 1970er und späten 1960er Jahre erhalten auch einige Details des Films einen völlig anderen Bezug. Zum Beispiel English Bob, der englische Möchtegern-Gentlemankiller. Dessen Ankunft im Film ist ein langer Monolog über die Vorteile der Monarchie: Einen Präsidenten erschiesse man schon mal schnell, bei königlichem Blut aber würde man zögern (die Kennedy-Attentate schwingen noch nach). Gleichzeitig bringt uns das zu einer weiteren Qualität von Eastwoods spätem Schaffen als Regisseur in den 1990er und 2000er Jahren - hatte er auch schon früher den Western mehrfacher Revision unterzogen, so war er nun soweit, auch grosse Ensemblefilme zu drehen (früher waren die Nebenfiguren oft nur Staffage rund um die Geschichte des Helden) - Unforgiven ist so ein Prachtstück einer Gruppenleistung, in dem jeder Figur Raum gelassen wird. Es gibt da eine wundervolle Einstellung von English Bob, als er per Kutsche in Big Whiskey eintrifft, und so mitgerissen ist von seinen prahlerischen Erzählungen, dass er mit dem Finger wie ohne es zu merken auf ein paar vorübergehende Chinesen zielt. Eine spielerische, nicht unelegante Erinnerung an seine Zeit als gedungener Mörder bringt den Charakter auf den Punkt, Richard Harris´ Erscheinungsbild mit englischer Würde und verschlagenen Falten ist ohnehin ideal.

Aber nicht ganz: Bobs Biograph W.W. Beauchamps, der seine Taten in Groschenheften ( "The Duke Of Death" ) verewigt, muss, nachdem er und Bob wegen Waffenbesitzes von Little Bill inhaftiert wurden, so einiges über seinen Auftraggeber erfahren. Etwa von dessen berühmter Auseinandersetzung mit "Two Gun Corcoran". Den hat Bob nicht, wie behauptet, heldenhaft im Duell getötet, sondern nur durch einen Glücksfall bei einer sturzbesoffenen Auseinandersetzung (wieder um eine Frau) glücklich erwischt, nachdem dessen einzige Pistole (seinen Spitznamen hatte er wegen der Länge seines Gemächts) bei einer Ladehemmung explodierte. Bob torkelte zum wehrlosen Mann und schoss ihn durch die Leber (immer wieder führt "Unforgiven" das Töten und das Trinken zusammen). Wie Gene Hackman als Little Bill diese Geschichte mit einer Mischung aus Abscheu, Spott ("The Duck Of Death") und Genuss zum Besten gibt, ist eine Glanzleistung für sich. Überhaupt zählt Hackmans Charakter zu den faszinierendsten im Film. Little Bill ist den schlauesten Weg unter den ehemaligen Kopfgeldjägern gegangen: Er darf weiter töten, nur eben im Namen des Gesetzes. Nominell ist Hackman der Schurke des Films, aber seine Figur ist ein ausgefeiltes, rundes Ganzes. Zum einen ist auch bei ihm eine gewisse Müdigkeit festzustellen (er versucht zuerst, die entstehenden Probleme pragmatisch zu lösen, bevor sein Hang zur Gewalt wieder mit ihm durchgeht), und wie alle anderen Mörder des Films hat er einen Traum von der Normalität. Seiner ist der Schönste, weil er der Lächerlichste ist. Er hat sich selber eine windschiefe Hütte zusammengezimmert (es regnet durch hundert Löcher), vor der er einmal pfeiferauchend im Schaukelstuhl sitzen will, und den Sonnenuntergang geniessen. Sie ist sein ein und alles, sie ist das Gespött des Dorfes.

Aber auch Little Bill kann seine Vergangenheit nicht verleugnen: Um den neuen Frieden zu sichern, prügelt er zwei Männer halb tot und ermordet einen Dritten. Er hat die Macht, die Gewalt legal auszuleben: Schusswaffen verbietet er in Big Whiskey, denn er ist das Gesetz und als solches im alleinigen Besitz des Waffenscheins (lies auch: Kriegstechnologie; was offensichtlich vor dem Hintergrund von Vietnam ins Drehbuch einging - die selbsternannte Weltpolizei USA als Erbe der Frontierideologie, wurde ausgerechnet in den Händen des alteingesessenen Konservativen Eastwood zum einzigen Hollywoodfilm, der während des Golfkriegs ein Statement zur amerikanischen Aussenpolitik abgab - und er schenkt sich dabei nichts: Wenn Bill Munny am Ende wieder völlig zum versoffenen Killer regrediert ist und nichts anderes mehr herausbrüllen kann als "I´ll motherfucking kill everything in sight", flattert zum einzigen Mal die Amerikaflagge deutlich sichtbar hinter dem Helden. Einen ähnlich bösartig-klarsichtigen Revisionismus zeigt auch eine spätere Szene mit Morgan Freeman, die nicht zufällig unangenehme Ku-Klux-Klan-Assoziationen wachruft: Das Zusammenspiel von Gesetz und Rassismus, damals mit Bezug auf die Rassenunruhen der 60er, in den 90ern Rodney King). In Gestalt von Little Bill und Beauchamps erzählt Unforgiven auch seine Variante von der falschen Legendenbildung des Westens: Der Schreiber ist nicht der sonst so gern gesehene aufrechte Journalist, sondern ein mickriger Groschenautor, der sein Fähnchen nach dem Wind hängt, der Vertreter des Gesetzes hat mit Recht und Ordnung wenig am Hut, er greift nur durch, um Ruhe zu haben und seinem Hang zur Brutalität zu frönen.

Doch die entfesselte Elementarbrutalität ist Bill Munny selbst, der einen umgekehrten Passionsweg durchschreitet. Aus dem alten Gerümpel im Schweinekoben, das in einer fast schon bigott anmutenden Reformation lebt, schält sich langsam das wahre Antlitz hervor. Obwohl "Unforgiven" wie die meisten Filme seines Regisseurs in prächtigen, eindrucksvoll eingefangenen Landschaften spielt, ist er durch und durch schäbig, weil es seine Charaktere sind (auf andere Art als Leones Italowestern, wo das gleiche gilt, aber aufgrund von Budgetbeschränkung und zynischer Coolness). Die Rachemorde an den beiden Cowboys zählen zu den armseligsten der Filmgeschichte: Der Erste (der gar nicht weiss, wie ihm geschieht: Er war ja nur zufällig mit im Bordell) kriecht mit verletztem Bein auf den schützenden Felsen zu, während der eingerostete Munny aus sicherer Entfernung mehrere Versuche braucht, um ihn (am Bauch) zu treffen; der Andere wird ganz würdelos (und unbewaffnet) von Kid im Plumpsklo erledigt. Das gönnt "Unforgiven" vielleicht auch seine einzig positive Note: Der kurzsichtige Kid, der ironischerweise davon träumt, nach altem Mythos ein gefürchteter Revolverheld zu werden, wird mit der armseligen Wirklichkeit nicht fertig und schlägt einen neuen Weg ein. Die Whiskeyflasche, aus der er trinkt, um mit dem Töten fertigzuwerden, gibt er an Bill weiter wie eine Staffette: Wenn der für den Showdown in einer regennassen Nacht in die Hauptstrasse einreitet, wird sie leer zu Boden fallen - der Mörder ist bereit. Den Rückfall ins Blutgeschäft spielt Eastwood mit gewohnter Zurückhaltung und Knorrigkeit: Bill ist wie alle Eastwoodhelden ein Mann weniger Worte, aber zugleich ein abgehalftertes Wrack. Im "neuen" Westen hat der gunfighter seinen Sinn verloren (Munny scheint kaum fähig, seine zwei Kinder zu ernähren) und wie ein monströses Relikt kriecht Eastwood hinter seinem Visier auf die Befreiung zu: Mit ungelenker Grazie schleppt er sich zu seiner Bestimmung, durch pathetischen Schüttelfrost und nachtschwarze Bilder, bevor er seine Maske fallen lassen kann und in den Grund seines Wesens zurückfällt. Der Rausch des Mordens steht am Ende des Films, und es ist das einzige, was seinem Helden bleibt, weil er nie etwas anderes gelernt hat. Nach der Apotheose des Tötens in einer donnergeschüttelten Dunkelheit verschwindet er buchstäblich.

Eine Reise ins Herz der Finsternis ist "Unforgiven": Wie schon in zahlreichen vorigen Filmen Eastwoods versinkt die Leinwand streckenweise in einer Dunkelheit, der das Fernsehbild kaum gerecht werden kann (hier geht er damit noch weiter als in "Bird" und "Pale Rider": "Unforgiven" schlägt den Westernhelden als Ursuppe des Noir-Serienkillers vor). Ein einziges Mal, in der schönsten Szene des Films, erstrahlt alles im Licht: Mit einem Schnitt, der den Zuschauer blendet, führt einen Eastwood nach der Züchtigung Munnys durch Little Bill in einer Regennacht, die den Showdown vorwegnimmt, in ein weisses Winteridyll, wo der Verletzte sein positives Spiegelbild trifft (ansonsten erzählen die Doppelungen des Films nur von den negativen Seiten, in ihrer Gegenüberstellung der Männer, die das Morden verinnerlicht haben - Little Bill, Munny, English Bob - oder Vertretern einer neuen Ära, die lieber verlogenen Träumen der Vergangenheit nachlaufen - Kid und Beauchamps). Es ist die zerschnittene Nutte Delilah, die Munny gesund pflegt. Sie bietet Munny an, ebenso wie seine Kumpane, "advance payment" in Form von Naturalien anzunehmen (zugleich ihre einzige Möglichkeit, Zuneigung zu verschenken). Munny weist sie zurück, und sie glaubt, es ist, weil sie entstellt ist. Doch es ist sein letztes Festklammern an die Erinnerung an seine Frau, die ihn zu ändern versucht hat, und der er die Treue halten will. "We both have our scars, but you are beautiful", sagt er später, wie um Vergebung bittend, zu Delilah. Er hat erkannt, dass er den Mörder in sich nicht verleugnen kann. Einen "angel" nennt er sie, als er sie zum ersten Mal sieht, und auf seine Art hat er recht: Immer fassungsloser sieht Delilah dem tödlichen Treiben zu, das sie nichtsahnend, zutiefst verletzt ausgelöst hat, aber es ist zu spät, die Maschinerie aufzuhalten. Ein zweites Mal wird ein Engel erwähnt in Unforgiven, als Munny durch den strömenden Regen nach Big Whiskey reitet: Wo sich seine Partner mit Schnaps gegen die Kälte helfen, lehnt er noch ab - er will nicht mehr in den Kreislauf des Tötens zurück. Von Fieberanfällen gebeutelt hat er die Vision des "angel of death". Er beschreibt ihn den beiden anderen, aber das Schrecklichste hat er ihnen nicht gesagt, und er wird am Ende mit einem kalten, schmerzlichen Massenmord den Beweis antreten: Er hat sein eigenes Gesicht gesehen.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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