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Yojimbo (J 1961, A. Kurosawa)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 18.04.2007 10:11    Titel: Yojimbo (J 1961, A. Kurosawa) Antworten mit Zitat

gesehen am 15.02., 07.04.2007 und 18.10.2009 (DVD); 4/5

Ein herrenlose Samurai kommt in ein Dorf in dem zwei rivalisierende Banden um die Herrschaft kämpfen. Nachdem er sich mit der Situation vertraut gemacht hat (Toshiro Mifune in der Rolle des Sanjuro hat in den ersten 15 Minuten des Films kaum Text und beschränkt sich auf einen Beobachterstatus), entwickelt er einen Plan, wie das Dorf von den kämpfenden Banditen befreit werden kann. Er beginnt, die eine Bande gegen die andere auszuspielen, mit dem Ziel, dass sie sich gegenseitig auslöschen. In die Quere kommt ihm dabei der misstrauische Unosuke (Tatsuya Nakadai), Bruder eines der Bandenchefs und mit einer modernen Waffe, einer Pistole, ausgestattet. Mit seiner Hilfe trägt seine Seite den Sieg davon, und Sanjuro muss selbst in den Kampf eingreifen. In einem letzten Gefecht besiegt er Unosuke und dessen Bande und befreit das Dorf, das durch die vielen Kämpfe inzwischen fast menschenleer ist.

Eine der großen Verlockungen des populären Kinos ist das Versprechen, Klarheit zu schaffen. Der Detektiv findet den Mörder, der gute Westerner tötet den bösen Westerner, die Liebenden sinken sich in die Arme und bleiben sich ewig treu. Das sind altmodische Geschichten, in denen sich das Vertrauen auf eine fest gefügte moralische Ordnung ausspricht; es gibt sie kaum noch. Andere Genres wissen auch von dem Reiz der Verwirrung Gebrauch zu machen. Der Horrorfilm lockt in die dunklen Bezirke der Psyche, die Komödie stellt die Welt auf den Kopf, der Film Noir öffnet die Falltüren künstlicher Paradiese. Sie sind moderner, auch synthetischer, und an den Lösungen, die sie anbieten, haftet der Schatten des Zweifels. "Yojimbo", der sich unverhüllt auf Genremuster bezieht, wartet mit einer weiteren Variante auf. Er projiziert eine moderne Sensibilität in eine Geschichte, die dennoch das Bedürfnis nach Klarheit, Transparenz, Ordnung befriedigt. Diese Mischung erwies sich als außerordentlich erfolgreich. "Yojimbo" wurde nicht nur der finanziell einträglichste Film Kurosawas, sondern auch der Ursprung eines neuen Subgenres: Sergio Leone übernahm die Handlung des Films, entkleidete sie ihres „exotischen“ Schauplatzes – Japan – und machte daraus "Für eine Handvoll Dollar" (1964), den ersten in einer Reihe der sogenannten Italo-Western.

Kurosawa hat den Ausgangspunkt des Films – die Empfindung eines modernen Dilemmas und dessen wunschgerechte Auflösung – sehr deutlich beschrieben. „Es geht um die Rivalität von zwei Seiten, und beide Seiten sind gleich schlecht. Wir kennen das alle. Wir stehen in der Mitte und es ist unmöglich, zwischen den Übeln zu wählen… Ich selbst habe immer gewünscht, diesem sinnlosen Schlachten von Bösem gegen Böses ein Ende zu setzen, aber wir sind zu schwach dazu: ich konnte es nicht. Deshalb ist der Held des Films anders als wir. Er bringt es fertig, aufrecht in der Mitte zu stehen und dem Kampf Einhalt zu gebieten.“ Die Originalität von "Yojimbo" liegt wenigstens teilweise in der Ersetzung des naiven Konflikts von Gut und Böse durch eine einheitlich schlechte, verdorbene und nur noch des Untergangs werte Welt, welcher der Held gegenübertritt – eine Konstruktion, die unverkennbar die „schwarze“ Weltsicht von "The bad sleep well" fortsetzt, mit dem Unterschied, dass der Samurai sich nicht mit einer solch hamlet-artigen Psyche herumschlagen muss wie Nishi.

Dieser Held ist nicht einfach ein verwegener Draufgänger, der kraft seiner Kampfkunst sogar einen technisch überlegenen Gegner ausmanövriert. Kurosawa hat zu Recht den Erfolg des Films statt auf die Attraktion der Kampfszenen auf den Charakter dieser Figur zurückgeführt. Sie verkörpert durchaus nicht die gleiche Moral wie der Held des Westernfilms, dem "Yojimbo" so nahe kommt wie kein anderes jidai-geki Kurosawas. Der „Leibwächter“ kann es an Bosheit mit seinen Gegnern jederzeit aufnehmen; wenn der Kampf einmal ins Stocken gerät, ist er es, der neue Auseinandersetzungen provoziert, und die Ordnung, die er herstellt, ist die des Todes. „Jetzt wird Ruhe herrschen in dieser Stadt“, sagt er am Ende und das ist nach der Ermordung fast aller Bewohner der schiere Zynismus. Moralisch gefärbte Bewertungen solcher Art verlieren freilich in der mörderischen, sich selbst zerstörenden Welt des Films ihren Sinn. Sein Zynismus ist keine Äußerung der Verachtung oder des Amoralismus, sondern er entspringt der desillusionierten Anerkennung der Dinge, wie sie sind. Der Samurai hat das Spiel durchschaut und er richtet sich nach seinen Regeln. Er räumt auf und er räumt ab. Er nimmt Geld, aber er lässt sich nicht korrumpieren. Seine Stärke beruht auf seiner Distanz, auf der Unabhängigkeit, die er sich bewahrt.

Toshiro Mifune ist in "Yojimbo" eine perfekte Verkörperung der Freiheit – Freiheit in reiner, mythischer Form. Das sieht dem klassischen Westernpathos zum Verwechseln ähnlich. Aber im Western ist Freiheit eine fundamentale Überzeugung, für die der Held einsteht und deshalb eine überaus ernste Sache, fast ein Heiligentum. In "Yojimbo" ist es die Möglichkeit, jede Überzeugung in den Wind zu schlagen – und zu lachen. Sie hat mehr mit Nietzsche zu tun als mit den Menschenrechten, ist eher ein Stil, eine Haltung, ein Gestus des Seins als ein moralisches Gut. In dieser Form hat sie sich am deutlichsten in einem hinreißenden Moment des Films niedergeschlagen. Mifune ist zum Show-down angetreten, ihm gegenüber hat sich die Reihe seiner Gegner aufgebaut; der hochdramatische Augenblick der Entscheidung ist da, den auszukosten und zu verlängern kein Western versäumt. In klassischer Westernikonografie wirbelt de Wind Staub auf, langsam nähern sich die feindlichen Parteien. Aber dann macht Kurosawa sein eigenes Spiel. Mifune gibt sich einen Ruck – mit einer typischen Schulterbewegung, mit der er das Gewicht der Welt abzuschütteln scheint, verfällt er in jenen tänzerischen, schwingenden Schritt, der in diesem Film seinen Gang charakterisiert – und ein Lächeln geht über sein Gesicht, entwaffnend, ein magischer Impuls.

Nur einmal gib der Held von "Yojimbo" seine Distanz preis, verrät innere Teilnahme, lässt sich von einem spontanen mitmenschlichen Motiv treiben; er befreit die gefangene Frau und vereint sie wieder mit Mann und Kind. „Ein Hauptproblem des Menschen besteht darin, dass es fast unmöglich ist zu vermeiden, sich auf andere Menschen einzulassen.“ Auch der so kühle und beherrschte Samurai kann sich diesem Zwang nicht völlig entziehen und es ist Kurosawas bittere Ironie, dass er für sein Mitgefühl bitter bestraft wird. Die Dankbarkeit der Geretteten, die er sich vorausahnend verbeten hat, wird ihm zum Verhängnis. Die diabolische Logik des Films sorgt dafür, dass dem Helden nichts gefährlicher wird als eine Regung der Hilfsbereitschaft, die seine zynische Maske lockert. Er wird ertappt wie ein armer Sünder und muss für den Beweis seiner Tugendhaftigkeit fast mit dem Leben bezahlen.

In solchen Umwertungen gibt sich Yojimbo als schwarze Komödie zu erkennen. Kurosawas pessimistische Beschreibung des Weltzustands hat die Züge einer grimmigen Groteske angenommen. "Yojimbo" ist bevölkert von einer Galerie monströser Gestalten; die Psyche der Drahtzieher ist auf die Eindimensionalität von Hass, Bosheit und Machtgier geschrumpft, die sie blind macht für ihr Verhängnis; Mifune selbst ist eine zweideutige Mischung aus Racheengel und Clown, der ständig auf einem Zahnstocher herumkaut; die Grausamkeit, die den Film beherrscht, hat etwas von übermütigem Grand Guignol: schon bei der Ankunft des Helden läuft ihm ein Hund mit einer menschlichen Hand im Maul über den Weg, und die Kampfszenen wickeln sich in Form eines so graziösen wie blutigen Balletts ab. Auch in Yojimbo bedient sich Kurosawa formalisierender, nicht-realistischer Verfahren, bei allem Realismus im Detail. Zudem ist der visuelle Stil des Films von einer rigorosen Geometrisierung der Einstellungen geprägt. Die Kamera Kazuo Miyagawas folgt bevorzugt den rechtwinkligen Raumachsen in strengen Frontal- und Seitenansichten oder teilt das Blickfeld durch Fenster- oder Türbegrenzungen in rechteckige Felder auf. Vor diesem Hintergrund von systematischer Verrücktheit und visueller Regelhaftigkeit hebt sich das Freiheitsversprechen des Films um so verlockender ab.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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