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Otto e mezzo (I 1963, F. Fellini)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 29.08.2006 10:13    Titel: Otto e mezzo (I 1963, F. Fellini) Antworten mit Zitat

gesehen am 28.08.2006, 14.09.2009, 05.03.2010 (DVD) und 18.05.2010 (BD); 5/5

Der Film beginnt mit einem Alptraum: ein Mann mit schwarzem Hut (ein Merkmal des Regisseurs Federico Fellini selbst) sitzt in seinem Wagen, der in einem Stau eingeklemmt zu sein scheint. Stumm betrachten ihn die Menschen aus den anderen Autos, plötzlich dringt Qualm in das Wageninnere, die Angst vor dem Eingesperrtsein verstärkt sich zur Vorstellung des Erstickens. Durch das geöffnete Seitenfenster kann er gerade nch entkommen und schwebt zum Himmel auf. Hoch über dem Meerestrand wir er an einer langen Schnur gehalten und dann - in die Tiefe fallend - heruntergeholt. Der Sturz endet mit dem Erwachen im Bett eines Kurhotels, die eintretenden Ärzte, die Schwester unterhalten sich mit ihm: Der Regisseur Guido Anselmi befindet sich in einer Krise. Sein Produzent erwartet einen neuen Film von ihm; Anselmi hat keine genaue Vorstellung, was er drehen soll. Vorläufig entscheidet er sich für einen utopischen Film und lässt eine riesige Raketen-Abschussrampe bauen. Aber Anselmi hat auch Schwierigkeiten im Privatleben. Seine Gesundheit ist angeschlagen, er befindet sich in einem Sanatorium; außerdem hat er eine langjährige Geliebte, deren Existenz er gerne leugnet, seine Frau Luisa sagt ihm die Wahrheit über seinen Egoismus und seine Selbstgefälligkeit, und sein „Traumbild“ Claudia entpuppt sich als clevere Schauspielerin, die zunächst einmal ihren Manager nach der Gage für ihre Rolle fragen lässt. Guido wird von Erinnerungen an seine Kindheit überfallen, hat seltsame Träume, in denen sich Erlebtes mit Vorstellungen von seinem Film mischt. Auf einer Pressekonferenz am Fuß der Abschussrampe verkündet er, dass er seinen Film nicht drehen kann. Aber dann tauchen plötzlich einige Zirkusmusikanten auf; die Teilnehmer der Pressekonferenz formieren sich zu einem Reigen; Anselmi gibt Regieanweisungen und tanzt schließlich selbst mit. Offenbar beginnen die Dreharbeiten für seinen Film...

Äußerlich ein Film über die Lebens- und Schaffenskrise eines Filmregisseurs, bei näherer Besichtigung indes spielt es keine Rolle, dass es sich um einen Regisseur handelt. „Otto e mezzo“ (Achteinhalb) erzählt von der Krise eines Menschen, der nicht weiter weiß, dessen Überlebenstechniken ihm nicht mehr helfen, dessen Kreativität erloschen zu sein scheint. Folgerichtig kommt ihm der sichere Sinn für die Außenwelt abhanden, immer häufiger überlagern Träume und Erinnerungsphantasien die Wahrnehmung „objektiver“ Realität, am Ende kann man zwischen beidem nicht mehr unterscheiden, die Anzeichen sprechen dafür, dass das ganze letzte Viertel des Films eine reine Projektion der Innenwelt nach außen darstellt. Der Titel "Achteinhalb" leitet sich übrigens daher ab, dass dies der achteinhalbte Film des Regisseurs sei, ein kürzerer Episodenfilm eingerechnet, die Zählung bleibt jedoch umstritten.

Vor den Beginn der Arbeit an „Otto e mezzo“ fällt die Begegnung Fellinis mit den Werken von C. G. Jung, vermittelt durch einen befreundeten Analytiker. Seither entdeckte Fellini Träume und ihre Symbolik als zweite Wirklichkeit, die vielleicht sogar weniger scheinhaft und illusionär als die erste zu sein verspricht. Mit dem neorealistischen Konzept im engeren Sinne hat „Otto e mezzo“ kaum mehr etwas zu tun, denn der Film will gerade das, was sonst in der Psyche einer Person verborgen, ihr selbst unbewusst bleibt, zu Tage fördern und sichtbar machen. Nicht nur die Inszenierung wird freier, bricht den linearen Erzählstrang, wechselt zwischen den verschiedenen Sphären wie Traum, Tagtraum, Erinnerung und scheinbar realen Eindrücken, auch die Alter-ego-Figur des Guido wird nuancierter angelegt als es noch mit Marcello in „La dolce vita“ (1960) geschehen ist. Mastroianni fasst oft mit den Fingern an den Mund, gleichsam ein Indiz seiner Unsicherheit, er will sich verhüllen und verbergen hinter seiner Brille, mit der er ständig spielt und einen zweifachen Blick übt, über den Brillenrand hinweg, durch die Brille hindurch. In seinem Haar sind weiße Strähnen, die Anzeichen des unabwendbaren Alters. Die Haltung des müden Betrachtens verleiht seinen Zügen eine gewisse Weichheit, Passivität, die mit seiner Empfänglichkeit für Traumsphären korrespondiert. Die Frauen rücken in Großaufnahmen so nahe heran, dass sich das Typologische und Individuelle ihrer Züge erkennen lässt.

Auffällig ist die Bildgliederung, die „Otto e mezzo“ charakterisiert: im Vordergrund oft ganz nahe Körper, angeschnitten, von vorne oder von hinten zu sehen, in der Tiefe andere Menschen, meist unscharf bleibend, scharfe Profile abgesetzt gegen Lichträume. Der Wechsel des Kameramanns ist bezeichnend. Fellini hatte bis dahin, seit „I Vitelloni“ (1953) fast ausschließlich mit Otello Martelli als Kameramann zusammengearbeitet. Das war zugleich die Zeit der Außenaufnahmen, der Fabeln, die eine bestimmte Härte des äußeren Lebens vermitteln sollten. Mit Gianni Di Venanzo gewinnt Fellini eine andere Bildästhetik: da Träume sich fließend verwandelnde Schauplätze in einem „Weltinnenraum“ suchen, herrschen von nun an die künstlichen Szenerien vor. Di Venanzo lässt in vielfach dunkel gehaltene Zimmer einzelne Lichtstreifen durch Jalousien oder Fensterläden einfallen, scharfen Lichtbahnen gleichsam, er moduliert Helligkeit und Dunkelheit, verleiht beidem den Anschein des Unwirklichen, dem grellen Überstrahlen am Tage, den Dämmerregionen, aus denen einige hellere Zonen ausgespart sind. Die subtile Licht- und Bildgestaltung einer Art Bewusstseinsbühne oder Seelentheater erlaubte es Fellini, konsequenter als zuvor Ursymbole für Urerfahrungen zu setzen: Das wärmende Feuer, das flutende Wasser, der kalte Wind (die Luft), die riesigen Betten, die Räume als Höhlen waren fortan Leitmotive im fellinischen Kosmos.

Die Erzählstruktur des Films "Otto e mezzo" stellt nicht nur für den Zuschauer eine Herausforderung dar – sie hat auch Kritiker, Filmanalytiker und sogar Fellini selbst immer wieder zu Stellungnahmen provoziert, in denen eine Beschreibung der Strukturierungsprinzipien der Erzählung angestrebt wird. Berghahn sieht in "Otto e mezzo" literarische Verfahren filmisch realisiert: „Sein Erzählgestus ist so alt wie die Literatur. Jeder Romanautor, der Sprache besitzt und nicht nur Sachmitteilungen aneinanderreiht, verfährt mit Worten wie Fellini mit Bildern: metaphorisch.“ Budgen sieht den Film eher als eine Beschreibung denn als eine Erzählung. Harcourt argumentiert in dieselbe Richtung, wenn er einen Vergleich mit Gemälden anstellt: „The discursive element in painting is automatically less than it can be in literature and the speculative element in interpretation correspondingly that much more.“ Er sieht in "Otto e mezzo" (und anderen Filmen Fellinis) das Leben als Weg dargestellt, wobei die Kreisförmigkeit die Protagonisten wieder da enden lässt, von wo sie einst ausgegangen waren. Den Zuschauer diesen Weg mitgehen zu lassen, ihn denselben Martern auszusetzen, ruft nach Peri beim Rezipienten einen Zustand der Meditation hervor. Perry betont, dass 8½ nur bedingt mit Modellen der Filmerzählung, die sich an einem äußeren Handlungsverlauf orientieren, erfassbar ist: „It leaps from event to event according to internal principle and not external narrative convention, and it confounds the world of the dreamer with the dream he is dreaming.“ Costello spricht von einem Kaleidoskop im Kopf des Regisseurs. Fellini sucht den Vergleich bei einem anderen Metier der bildenden Kunst, wenn er seinen Film als Skulptur bezeichnet. Bereits 1960, in einem Brief an Brunello Rondi, nannte Fellini sein Filmprojekt ein „phantastisches, verzaubertes Ballett, ein magisches Kaleidoskop... Aber auch das sind noch Wörter, die zu tausend Missverständnissen Anlass geben können.“
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 11.04.2019 23:38, insgesamt 16-mal bearbeitet
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