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The Dreamers (GB/F/I 2003, B. Bertolucci)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 01.05.2007 12:51    Titel: The Dreamers (GB/F/I 2003, B. Bertolucci) Antworten mit Zitat

gesehen am 20.04.2007 (DVD); 3/5

"Non, je ne regrette rien" singt Edith Piaf, und man darf sicher sein, dass dieses Bekenntnis auch für Bernardo Bertolucci gilt. In "Die Träumer" erklingt das berühmte Chanson ganz am Ende eines Films, der voller Rock und Pop ist, die Wildheit des Pariser Mai '68 rekapituliert, aber in einer Weise, wie man es noch nie gesehen hat.

Ein Amerikaner in Paris: Man begegnet Matthew (Michael Pitt), der auch Off-Erzähler ist, zunächst als staunendem Beobachter des Geschehens. Gleich zu Beginn trifft er die schöne Isabell (Eva Green) und deren Bruder Theo (Louis Garrel), beide Kinder aus liberalem Intellektuellenmilieu. Kino, Politik und Lebensgefühl verschmelzen schon in diesen ersten Szenen wie in den Gesprächen der Twens; schnell freunden sie sich miteinander an, und als die Eltern der Geschwister für längere Zeit aufs Land fahren, wird Matthew eingeladen, in die Wohnung einzuziehen. Nun beginnt eine merkwürdige menage á trois. Viel Action gibt es nicht, und doch passiert eine Menge. Vor allem schaut der Film seinen Figuren beim Leben zu: Aufstehen, baden, essen, lieben, reden, Filme gucken. Ganz unverklemmt schildert "Die Träumer" das Leben in der Wohnung gerade zu Beginn als paradiesischen Zustand der Seligkeit. Dabei ist dies weit entfernt von der hysterischen Sexualität, die 30 Jahre zuvor "Ultimo Tango a Parigi" (1972) prägte und zu einem der wichtigsten Dokumente der Epoche machte. "Dreamers" ist nun die gelassene Reflexion über sie. Die erwähnte menage á trois ist dabei eine geistige, die Kinoerfahrung deren Vermittlungsinstanz.

Bertolucci inszeniert die Erotik des Kinos schwelgerisch und im guten Sinne nostalgisch - als Erinnerung an Filme, die nicht Unterhaltung und Eskapismus im Sinn haben, sondern Befreiung. Immer wieder schneidet Bertolucci kurze Originalszenen ein, spielt nach oder parodiert, und bei aller offenkundigen Verehrung holt die Regie dabei die Idole vom Sockel, versucht vorsichtige Umdefinitionen »heiliger« Szenen - etwa von Greta Garbo als "Queen Christina". Hauptfunktion von all dem bleibt es, einen anderen Umgang mit Kino vorzuführen. Die drei denken Kino, leben Kino, sind Kino. Noch wichtiger für Bertolucci: Das Kino etwas mit Verführung, mit Sex zu tun hat.

Der Regisseur erzählt den Mythos 1968 als Geschichte einer eher privaten, oberflächlich betrachtet unpolitischen Entdeckungsreise. Elegant werden innere und äußere Vorgänge miteinander verschränkt. Fast der ganze Film verharrt kammerspielartig im bürgerlichen Salon, als dem eigentlichen Ausgangspunkt der Revolte. So sympathisch die drei in ihrer Neugier und Entdeckungslust, auch in ihrer Dekadenz sind, so präzis zeigt Bertoluccis trotzdem auch Tristesse: Trauer und Sehnsucht liegt in allen Blicken. Und konsequenterweise endet es fast mit dem letzten bürgerlichen Ausweg: dem Selbstmord. Aber da fliegt gerade noch rechtzeitig ein Pflasterstein durchs Fenster, ein Luftzug weht den Dunst aus dem Salon, und lässt den Lärm der Straße hinein. Die drei ziehen hinaus, und verlieren sich in der Menge. Noch hier wird das Abgegriffene vermieden, mit dem man 1968 in immer wieder den gleichen Bildern schildert; nur beiläufig beschwört der Film die Ikonen jener Epoche, auch musikalisch, indem er zwar die Doors und Hendrix spielt, aber unbekanntere Songs.

Fabio Cianchettis Kamera zieht den Zuschauer in das Kammerspiel der drei Figuren hinein, in die großbürgerliche, beinahe labyrinthische Wohnung - nicht als Voyeure, sondern vielmehr als unsichtbare Teilnehmer, die unmerklich von Distanz auf Nähe wechseln. Charakteristisch für Bertolucci ist der Blick (oder das Starren?) durch Türen, Fenster, Glasscheiben und Vorhänge - der manchmal "verstellte" Blick. Das Set-Design von Jean Rabasse schließt sich hier an mit dem weitläufigen elterlichen Appartment mit seinen Korridors, hohen Räumen und endlosen Bücherregalen - der Kaninchenbau eines Bohemien, das die intellektuelle Kultiviertheit der Eltern, die schwere Bürde ihrer heranwachsenden Kinder, spiegelt. Das Zimmer der reif wirkenden Isabell ist dann eine Offenbarung ihrer (Noch-)Jungfräulichkeit: ein aufgeräumtes, ordentliches Kinderzimmer mit gemachtem Bett und Teddy-Bären.

Wohltuend verzichtet "The Dreamers" darauf, den Aufbruch als Spinnerei Irregeleiteter abzutun, oder ihn wieder einmal in Extremismus und Terror enden zu lassen. Bertolucci nimmt das Pathos der "68er" wohltuend ernst, ohne umgekehrt in depressive Geschichtslektionen zu verfallen; vielmehr bleibt der ganze Film bis zum Ende unvorhersehbar, findet immer wieder neue Wendungen. Am Ende steht der Auszug aus dem Paradies, der auch einer ist aus der Verwechslung von Kino und Leben, die Befreiung von einer Bürgerlichkeit, nach der sich heute viele zurücksehnen. Bertolucci hält ihnen den Spiegel vor, unserer sehr heutigen Weltflucht in die Salons und Kinosäle. Aber er will etwas zeigen, nichts beweisen. Dabei ist er als Filmemacher so stark, wie seit "1900" (1976) nicht mehr. Und noch wenn alles charmant mit "Non, je ne regrette rien" ausklingt, gibt er sich noch einmal ganz preis. Was will man von einem Filmemacher mehr verlangen?
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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