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Heat (USA 1995, M. Mann)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 30.10.2006 12:16    Titel: Heat (USA 1995, M. Mann) Antworten mit Zitat

gesehen am 28.10.06 (DVD) und 30.06.2012 (BD); 5/5

Reduziert man "Heat" auf die Grundelemente der Story, so findet man nichts als Bestandteile jahrzehntelanger Genre-Konvention: Figuren auf beiden Seiten des Gesetzes, die einem inneren Zwang gehorchen, der sie an den Rand gesellschaftlicher Normen treibt, gleichgültig, ob sie der Durchsetzung des Rechts oder dem illegalen eigenen Gewinn dienen, und Situationen gegenseitiger Konfrontation, die nur eine Handbreit von der Anarchie entfernt sind. Die Handlung von "Heat" könnte nichts anderes als die dutzendste Variation kinoüblicher Action-Muster sein, wäre sie nicht konsequent in eine andere Richtung inszeniert. Man muss weit zurückgehen in der Geschichte des Polizei- und Gangsterfilms, um Parallelen für die existentielle Dimension zu finden, in die Michael Manns Film vordringt, und fühlt sich mehr als einmal an die Filme von Jean-Pierre Melville erinnert. Mann, der mit "Thief" (1980) und "Manhunter" (1986), einem talentierten Vorläufer von "Silence of the lambs" (1991), seinem heutigen Sujet nähergekommen ist, qualifiziert sich mit "Heat" endgültig als einer der großen Regisseure der gegenwärtigen Hollywood-Szene, zumal er den effektvollen, aber modischen Schnickschnack seiner Fernsehproduktionen ("Miami Vice", "Crime Story") endgültig hinter sich zu haben scheint.

Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen auf gegensätzlichen Seiten des Gesetzes. Neil McCauley ist ein Gangster der Spitzenklasse, der mit einem kleinen eingeübten Team riskante, aber um so einträglichere Überfälle ausführt; Polizeileutnant Vincent Hanna verfolgt die Rechtsbrecher mit derselben Professionalität und psychischen Intensität, mit der die Gangster ihrem gesetzlosen Handwerk nachgehen. Neil wird mit einem minuziös organisierten Anschlag auf einen Wertpapiertransport vorgestellt, bei dem ein zusätzlich angeheuerter Ganove von der Waffe Gebrauch macht und sich dadurch Neils Zorn zuzieht. Damit ist die Rolle des Judas eingefädelt, der Neil letztlich zum Verhängnis werden soll. Doch bis es soweit ist, gestattet sich "Heat" mehr als einen Blick auf das Seelenleben seiner konträren und doch so ähnlichen Helden, lässt er sich Zeit dafür, die wohlbekannte Außenschicht abzutragen, um danach zu suchen, was diese Menschen bewegt, was sie zu dem gemacht hat, was sie sind.

Wo immer man hinschaut, auch bei den sich langsam entschlüsselnden Privatverhältnissen, finden sich an der Oberfläche nur sattsam bekannte Situationen: der Polizist, der unfähig ist, eine dauerhafte Beziehung zu unterhalten; der Gangster, der genau in jenem Moment scheitert, als er sich für eine Frau und für ein anderes Leben entscheidet; die Frau, die ihrem mit kriminellen Aktivitäten abgelenkten Mann nicht die Treue hält. Doch je länger der Film dauert, um so weniger stört diese Klischeehaftigkeit, weil Manns Inszenierung dem Zuschauer das Gefühl vermittelt, dass die Genremuster von der Wirklichkeit längst überholt worden sind. Es ist ein riskantes Konzept, nach dem der Film funktioniert, und das bei weniger überzeugender Realisation leicht ins Gegenteil hätte umschlagen können. Das, was einst das Kino ausmachte, was der Zuschauer beim Verlassen des Theaters als kunstvolle Scheinwelt hinter sich lassen konnte, konstituiert sich als Bestandteil der Realität vor den Kinotüren. Was Mann erzählt, ist nicht mehr die erfundene Geschichte von Neil und Vincent, es wird vielmehr von einer Szene zur nächsten die Geschichte einer mehr und mehr kriminalisierten Umwelt, in der die Vorstellung vom individuellen Glück längst einer vermessenen Illusion gleichkommt.

Es sind nicht so sehr die wenigen Sequenzen kraftvoll und perfekt konstruierter Action, es ist die Philosophie der Charaktere, aus der sich das eigentliche Drama zusammensetzt. "I do what I do best" ist beider Definition ihres Lebens und ihrer "Karrieren", was nichts anderes bedeutet, als daß die wirklich Erfolgreichen in jedem Metier nur noch dem Anspruch auf Perfektion gehorchen. Auch blutige Geschäfte, auch Geschäfte, die anderen das Leben kosten, werden dann mit höchster Präzision und Akribie ausgeführt. Jenseits der Maßstäbe von Menschlichkeit und Moral ist alles zum "Business" geworden. Ein "Geschäft", in dem auch das Überleben zum kalkulierten und (meist) kalkulierbaren Faktor wird: Schließe dich nie jemandem zu eng an, und sei jederzeit imstande, mit allem in höchstens 30 Sekunden Schluß zu machen. Treibt man sie innerlich in die Enge, geben die Helden des modernen Dschungels noch gerade zu, daß es die Angst ist, die sie scharf macht, doch es ist längst nicht mehr die Angst vor der Verantwortung oder vor der persönlichen Entscheidung, es ist nur noch die animalische Angst vor der Zwanghaftigkeit ihrer Handlungen und Reaktionen.

Mehr, als man es von einem Actionfilm gemeinhin erwarten sollte, ist "Heat" in seinen Proportionen aufs Äußerste kalkuliert. In gleichem Maße, in dem die Schichten des landläufigen Gangster- und Polizistenprofils wie Folien abgeblättert werden, baut sich eine zweite, existentielle Ebene auf, die fast genau zur Halbzeit des Films in einer Begegnung der Kontrahenten gipfelt, um danach in eine dritte, fatalistische Ebene überzugehen. Die Außergewöhnlichkeit des Schauspieler-Duos De Niro und Pacino hilft dabei nicht unwesentlich mit. Nur einmal haben die beiden bisher gemeinsam in einem Film mitgewirkt, in Coppolas "The Godfather, part II" (1974), doch selbst darin waren sie nicht zusammen auf der Leinwand zu sehen. Auch Michael Mann hält sie den ganzen Film über auseinander - bis auf jene dadurch in ihrer Dramatik noch gesteigerte Begegnung in der Mitte des Films. Schicksalhaft vertrauen Neil und Vincent einander an, wie ähnlich sie sich sind, daß sie aber dennoch keinen Augenblick zögern würden, den anderen zu erschießen, sollte es einmal notwendig werden.

Es sind Szenen wie diese und Einstellungen von überraschender kontemplativer Qualität, die ungewöhnlich starke Präsenz der Frauen, Unterspielungen sonst eher übertrieben extrovertierter Genre-Figuren und ins Chaotische generalisierte Schußwechsel zwischen Gangstern und Polizei, die das Geschehen vom üblichen Actionfilm mehr und mehr wegführen und die Handlung unmerklich zum Synonym für das Leben am Ausgang des 20. Jahrhunderts werden lassen. Die Schwenks über das nächtlich erleuchtete Los Angeles verlieren in ihrem Kontext alles Pittoreske, der Blick aus Neils unmöblierter Wohnung über die Unendlichkeit des Pazifiks vermittelt nichts als das Gefühl des Zurückgeworfenseins in die eigene Isolation, und die Nachtigallen, die über dem letzten langen Dialog Neils mit seiner Geliebten zu hören sind, klingen alles andere als romantisch. Uninteressiert an moralischen Kategorien wie Gut und Böse, immer deutlicher sich konzentrierend auf die Menschen und auf die (unausweichlichen) Folgen ihres Handelns, endet der Film mit einer Einstellung von erschütternder Konsequenz: im Sterben streckt Neil seinem Verfolger die Hand hin, die Vincent zu einem ersten und letzten Händedruck ergreift. Humanitas in einer enthumanisierten Welt.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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