Foren-Übersicht
Wünsche, Anregungen, Diskussionen, das alles hier im Forum!
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

The Godfather (USA 1972, F. Coppola)

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch
Zurück :: Weiter  
Autor Nachricht
Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 02.11.2006 15:37    Titel: The Godfather (USA 1972, F. Coppola) Antworten mit Zitat

gesehen am 01.11.2006 (DVD) und 14.03.2016 (BD); 5/5

Im Grunde begann der Film bereits, bevor überhaupt einer daran dachte, ihn zu machen: In dem Roman von Mario Puzo, der dem ersten Teil zu Grunde liegt, warten auf dem Hochzeitsfest zu Beginn vier Männer darauf, zu ihrem Paten vorgelassen zu werden – zu Don Vito Corleone. Sie wissen, „ein Sizilianer (darf) traditionsgemäß am Hochzeitstag seiner Tochter niemandem eine Bitte abschlagen.“ Diese Chance wollen sie sich nicht entgehen lassen. Einer von ihnen heißt Coppola. Eine seltsame Verzahnung von Fakten und Fiktionen, von Lappalien und Legenden umgab das Filmprojekt „The Godfather“ von Anfang an. Die Anekdoten über das Drumherum füllen inzwischen Bücher. Und der Streit um die Wirkung von Roman und Film wird nie ein Ende finden.

Die Geschichte sei auf das Genaueste recherchiert, hieß es, erdacht und erzählt von einem, der das Vertrauen eines Mafia-Paten besessen habe. Manche sahen deshalb darin nicht mehr als eine bloße Glorifizierung des organisierten Verbrechens. Andere erkannten hinter der Geschichte das beispielhafte Porträt zweier Kapitalisten – des patriarchalischen Weisen in Vito, der alles allein für die Familie tut, und des eiskalt kalkulierenden Managers in Michael, der einfach alles dem Geschäft opfert. Manche beklagten, besonders da die Opfer der Mafiosi im Alltagsgeschäft ausgespart bleiben, die Gefahr der Verharmlosung: die Verklärung familiärer Innigkeit am Rande und die Verherrlichung des skrupellosen, starken Mannes dahinter. Andere betonten den mythischen Aspekt, die meisterliche Variation des Genres, die alle bisherigen Variationen einschließt und zugleich transformiert. Wobei der gewalttätige Kampf um Reichtum und Macht als Metapher genommen ist für den american way zu Karriere und Erfolg. Pauline Kael schließlich bezeichnete die Filme „The Godfather“ und „The Godfather, part II“ als „peaks“, als Höhepunkte ihrer Erfahrung als Kinogängerin. „They belong to us.“ Sie seien „our gangster epic, our immigration epic, our national passion.“

Der Autor des Romans wie der Autor des Films strickten unterdessen ihre eigenen Legenden. Zwei Meldungen hielten sich Anfang der 1970er Jahre besonders hartnäckig: Puzo habe den Roman geschrieben, um endlich Geld zu verdienen. Und Francis Ford Coppola habe den Film gemacht, um das Kapital für Filme zusammenzubekommen, die ihm am Herzen lägen. Beide hielt dieses ökonomische Kalkül nicht davon ab, diesem Gangster-Epos ein visionäres Bild ihres Landes einzuschreiben. Was sie allerdings erst nach ihrem Erfolg konzidierten. Puzo beharrte stets darauf, dass schon in seinem Roman „Parallelen zu Vietnam und zur Hochfinanz“ vorhanden gewesen seien. Und Coppola erklärte, ihm sei es nie nur um eine Gangster-Story gegangen, sondern „um eine Dynastie, die persönliche Untertanentreue von der Familie fordert, welche die Verpflichtung dem Staat gegenüber übersteigt“, um die Geschichte „dieses Vaters und seiner Söhne“, um „Fragen der Macht und der Nachfolge“; auh um „die Mafia und Amerika“, die beide ihre Hände mit Blut besudelt(en) bei dem, was notwendig war, um ihre Macht und ihre Interssen zu beschützen.“

Coppolas „The Godfather“ ist End- und Höhepunkt eines Genres, das – wie sonst nur der Western – stets eine amerikanische Erzählung war: Stoff und Stil zugleich – Rede über das Land und Mythos des Landes zugleich. Gangster-Storys „als Kunsterlebnis“, so Robert Warshow, sind „jedem Amerikaner vertraut. (...) Es gibt fast nichts, was wir besser verstehen, fast nichts, auf das wir bereitwilliger und wacher reagieren. (...) Auf eine Weise, die wir nur schwer definieren können und nur ungern definieren mögen, spricht der Gangster für uns; er verleiht jenem Teil der amerikanischen Psyche Ausdruck, der die Beschaffenheit und die Ansprüche des modernen Lebens (...) zurückweist.“ Warshow differenzierte scharf zwischen Kriminellen und Gangstern. Während die Realität nur Kriminelle hervorbringe, seien Gangster Geschöpfe der Fantasie: „das, was wir sein wollen, und das, was wir zu werden fürchten.“ Diese Unterscheidung, so simpel sie klingen mag, scheint noch heute notwendig, damit die Darstellung einer brutalen, zynischen Welt nicht verwechselt wird mit ihrer Verherrlichung, damit Coppola nicht vorgeworfen wird, was er selbst als Vorwurf intendierte. In seiner „Godfather“-Saga mischte er an keiner Stelle eindeutige Antworten auf seine Geschichte bei, er versuchte nur – so verdichtet wie möglich – das Auf und Ab eines Imperiums zu gestalten; und darüber Einblick zu geben in die Mechanismen der Ausübung und Bewahrung von Macht.

Die Zeitspanne, über die das Geschehen in „The Godfather I-III“ sich erstreckt, umfasst das gesamte 20. Jahrhundert.
1901: Kurze Impressionen, welche die Kindheit von Vito Andolini, der später Vito Corleone heißt, prägen – die Ermordung von Vater und Mutter, die eigene Flucht, die Ankunft in Amerika (Anfang von Teil II).
1917-1920: Vitos Aufstieg zur Macht (zweite Ebene von Teil II).
1945-47: Gefährdung und Wiederherstellung der Macht Michael Corleone (Teil I).
1958: Michael auf dem Gipfel seiner Autorität/im Tief der Familienband (erste Ebene von Teil II).
1979/80 Erneuter Höhepunkt von Michaels Einfluss, erneute Gefährdung durch internationale Intrigen, Wiederherstellung der Macht durch Vincent (Teil III).

Der erste Satz von „The Godfather“, noch aus dem Off zu hören, lautet: „I believe in America.“ Ein Mann bittet um Hilfe bei einer Schmach, bei der ihm eigentlich niemand helfen kann. Nur, so hofft er, sein Pate. Er glaube an Amerika, doch nun wolle er Vergeltung für die Entehrung seiner Tochter. Amerika aber weigere sich, sie ihm zu gewähren. Die Erfahrung, im Gerichtssaal „wie ein Idiot“ gestanden zu haben, als die Täter zur Bewährung frei kamen, bringt ihn dazu, um Hilfe zu bitten von einem der für Gerechtigkeit jenseits allen Rechts sorgt.

Die extrem lange Rückfahrt der Kamera, die diese Szene einfängt, ist eine der abenteuerlichsten Bildentwürfe des neueren Hollywood-Kinos. Sie nähert sich – durch einen distanzierenden Blick. Sie entfernt sich von der Klage, vom kraftlosen Jammern – und rückt der Gewalt näher, indem sie, je weiter sie zurückfährt, mehr von dem Adressaten des Wehgeschreis zeigt. Wobei sie allerdings keineswegs „eine Entfernung in etwas hinein“ artikuliert, wie Robert Phillip Kolker in „A cinema of loneliness“ schreibt, sondern einer der wichtigsten visuellen Strategien des Genres zitiert – wie sie von Sternberg bis Ray und von Hawks bis Fuller immer wieder, variiert, eingesetzt wurde: die der indirekten Darstellung.

Die demütigen Worte dieses Bittstellers, verstärkt durch seine unterwürfige Haltung, demonstrieren bereits, noch bevor der Pate zu sehen ist, dessen Macht und Autorität. Und die Kamera akzentuiert dies. Über die Angst des Opfers konturiert sie die Stärke des Mannes im dunklen Vordergrund, über die Schwäche der Wehklage beschwört sie die Kraft der Tat. „The Godfather“ erzählt von einem Generationswandel, der auch mit einem Wandel in Taktik und Methode einhergeht. Was Coppola als Studie über die Macht äußerster Gewalt präsentiert. Die indirekten Momente von Gewalt, die über ein Netz geliehener „Freundschaft“ über einen Stadtbezirk oder eine ganze Stadt sich erstrecken, die den Frieden suggerieren, während doch der Konkurrenzkampf tobt (der die direkte Unterwerfung), werden abgelöst durch einen offenen Krieg. Der Film enthüllt dann die Konstituenten dieser Situation: Dass jedem Frieden zwischen Gangstern stets der offene Krieg vorausgeht – und jeder späteren Befriedung wieder folgen wird. Auf dieser Ebene wiederholt der 15 Jahre später entstandene schwache dritte Teil nur, was in den beiden ersten Filme zuvor bereits entwickelt wurde; der dritte Film ist das Remake als bloßer Reflex.

Jenseits dieser Themen reflektiert „The Godfather“ die mythischen Grenzen des Genres; auch, indem er einige Subgenres integriert – die Familien-Burleske à la Capra in der Hochzeitssequenz, den Horrorfilm in der Hollywood-Sequenz, die Gewalt-Studie à la Tuttle in der Mordsequenz, das Melodram in der Sizilien-Sequenz und das Spannungsdrama à la Griffith im Showdown. Coppola nutzt die Vielfalt seiner Episoden, um die Strenge seines innersten Anliegens zu verdichten – die Regeln des Erzählens als Momente des Erzählten selbst deutlich zu machen. Auch, um sein experimentelles Spiel über das Anziehende des Abstoßenden voranzutreiben. Im Grunde erzählt „The Godfather“ die Geschichte einer Wiedergeburt. Die Macht des Imperiums steht zunächst in voller Blüte. Ausdruck dafür: die große Hochzeit zu Beginn, die schon erste Risse und Konflikte zeigt; und mehr noch: die Hollywood-Sequenz, die ganz für sich die mythische Stärke des Paten ausdrückt, ohne sie zu demonstrieren. „An offer you can’t refuse“: Das ist die Maxime eines Mannes, der bereit ist, immer bis zum Äußersten zu gehen, damit er seinen engen Rahmen weiter festigt. Vitos Wissen um die Menschen gipfelt in seinem Standpunkt, dass „auch der kleinste Mann, wenn er seine Augen offen hält, sich am Mächtigsten rächen kann.“ Durch Verrat und eine kurze Unachtsamkeit gerät das Imperium in Gefahr; schließlich in eine tiefere Krise. Die Befreiung davon bringt allein die Tat: dem Morden ist nur durch weiteres Morden zu entgehen.

Die „Godfather“-Filme sind ein unentwegtes Hin und Her zwischen Geschäftlichem und Privatem, zwischen Gewalt und Gefühl. Wobei sie die gegenseitige Zerstörung des einen durch das andere zeigt. Michael kann nicht mehr auseinanderhalten, was Vito noch trennte: Firma und Familie. Für ihn gibt es weder Gewalt mit Gefühl noch Gefühl mit Gewalt: nur wenn er eines ausschließt, hat er im anderen Erfolg. Wenn er am Ende seiner Frau Kay die Tür vor der Nase verschließt, nimmt er den Fortgang der Dinge symbolisch vorweg: Indem er seine Gefühle blockiert und zurückdrängt, kann er als Don mit Stärke regieren.

Die Integration der beiden wichtigsten Sujets des Kinos ineinander: love story und success story, sie ist es auch, welche die Universalität dieses Gangster-Epos erklärt. Der Drehbuchautor John Berger hat in seinem Verständnis von Film auf die Stärke des Universalen verwiesen. Wodurch das Allerschwierigste ganz einfach wird; das Entfernteste ganz nah; oder das Allerfremdeste ganz vertraut. „Was im Kino bewahrt wird, wenn es ihm gelingt, Kunst zu werden, ist ein unwillkürlicher Zusammenhang mit der gesamten Menschheit. Es ist keine Kunst von Prinzen oder Bürgern. Das Kino ist volkstümlich und immer in Bewegung. Im Kino-Himmel lernen die Menschen, was sie hätten sein können, und entdecken etwas, das über ihr eigenes Leben hinausgeht. In unserem Jahrhundert des Verschwindens ist das eigentliche Thema des Kinos die Seele, ihr bietet es eine umfassende Zuflucht. Dies ist, so glaube ich, der Schlüssel zu der Sehnsucht, die es ausdrückt, und zu dem Reiz, den es für uns hat.“
_________________
"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 15.03.2016 01:21, insgesamt 10-mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Gast






BeitragVerfasst am: 02.11.2006 18:29    Titel: Re: Der Pate (USA 1972, F. Coppola) Antworten mit Zitat

[quote="Rene"]gesehen am 01.11.06 (DVD); 5/5

Allerheiligen, Feiertag in Baden-Württemberg, und da ich bereits joggen gewesen war, konnte ich mir gewissenlos einen Klassiker genehmigen: "Der Pate", den ich schon x-mal gesehen habe, schaute ich mir gestern einmal mit Audio-Kommentar von Regisseur Coppola an. Was er zu sagen hat, war nach so vielen Sichtungen des Films natürlich sehr interessant. Meine Besprechung wird entsprechend lang ausfallen; vorab kann ich sagen, dass dieser Film ein "Must-See" ist (Daniela hat ihn auch schon gesehen und ist ein Fan!).

Über “Der Pate” ist, ähnlich wie über “Citizen Kane” und “Psycho” so erschöpfend viel diskutiert worden, dass der Titel selbst denen bekannt ist, die ihn noch nie gesehen haben. Zusammen mit der Fortsetzung, „Der Pate, Teil II“ zwei Jahre später, handelt es sich wohl um den anspruchsvollsten und scharfsinnigsten amerikanischen Mainstream-Film der siebziger Jahre (und der Filmgeschichte?). „Der Pate“ ist, an der Oberfläche, eine recht simple Geschichte über eine glückliche Familie, die „nebenbei“ das ganz normal-kriminelle Dasein eines Verbrechersyndikats führt – eine Sichtweise, die leicht in die Irre führen kann. Es ist nebenbei sehr schwierig, den ersten Teil isoliert vom zweiten Teil zu betrachten, denn der zweite Teil ist ein seltenes Beispiel für eine Fortsetzung, die das Original beinahe übertrifft, zumindest aber enorm bereichert.
„Der Pate“ ist eine Familien-Saga über den (fiktiven) Corleone-Clan in New York. Angeführt von Familienoberhaupt Don Vito Corleone (gespielt von Marlon Brando), sind die Corleones die mächtigste der fünf großen Familien, die das illegale Geschäft und andere zwiespältige Aktivitäten im New York der Nachkriegszeit kontrollieren. Es geht natürlich um die Mafia, obwohl wir dieses Wort nicht ein einziges Mal hören werden. Anfangs scheint alles wunderbar zu sein. Corleones Tochter Connie (Talia Shire) heiratet, ihr älterer Bruder Sonny (James Caan) wird schon als Nachfolger seines Vaters „eingelernt“ und der jüngste Sohn Michael (Al Pacino) ist gerade aus Europa als Kriegsheld zurückgekehrt. Aber die Dinge sind nicht so harmonisch wie es scheint; die anderen Familien werden unruhig, als sie erkennen, dass Vitos Macht verblasst, weil er das Drogengeschäft des ehrgeizigen Thronfolgers Solozzo (Al Lettieri) ablehnt. Don Vito überlebt schließlich einen Mordanschlag, seine Söhne rächen in der Folge in einem äußerst blutigen Familien-Krieg ihren Vater und versuchen dabei, ihre Machtposition wieder zu stabilisieren. Die Nebenhandlungen umfassen u.a. Sonnys ungestüme Art, die zum Disaster führt, Michaels hoffnungsloser Versuch, sich vom Familiengeschäft zu distanzieren und ein Leben mit seiner Freundin Kay (Diane Keaton) zu beginnen und die Versuche des dritten Sohnes der Familie, Fredo (John Cazale), seine eigene Identität innerhalb der Familie zu finden.

Der erste Satz des Films, noch im Off gesprochen, ist wahrscheinlich der Schlüssel zum Film – „I believe in America. America has been good to me.” Francis Coppola und Mario Puzo, der Regisseur und der Autor, fragen uns zweierlei hier: erstens, was ist “Amerika” und, noch wichtiger, woran genau glaubt man dabei? Bonassera, der diese Worte spricht, stattet Don Vito einen Besuch ab und bittet diesen, die Männer zu bestrafen, die seine Tochter vergewaltigt haben und mit einer milden Strafe vor Gericht davonkamen. Mit anderen Worten, er glaubt nicht an Amerika, er glaubt an Corleone. Coppola führt uns in eine Familienwelt ein, in der wir uns selbst als Zuschauer wohl fühlen sollen – dabei vergisst man leicht, dass das Geschäft der Corleones mit Mord, Körperverletzung und Korruption zu tun hat. Coppola legt nahe, dass die Geschäfte des organisierten Verbrechens und die des Staates in Amerika während des 20. Jahrhunderts ein und dieselbe Sache sind – eine unerhörte Schlussfolgerung für einen Mainstream-Film und eine offene Kritik am amerikanischen Kapitalismus. Die Corleones legen ein Lippenbekenntnis zu Freiheit und Unabhängigkeit ab, doch in Wahrheit handeln sie widersprüchlich dazu: sie machen Profit aus dem Elend oder den Schwächen anderer. Es erscheint uns zunächst so, als würden sie nur Freunden zu ihrem natürlichen Recht verhelfen oder gekrümmten Richtern oder Senatoren ein wenig Unterstützung zukommen zu lassen. Doch wie der Film fortschreitet, erkennen wir allmählich, wie genau die Macht der Corleones funktioniert.
Was den Film so faszinierend macht, ist die Art wie Coppola es vermeidet, über seine zentralen Charaktere ein Urteil abzugeben. Die Zuschauer müssen vielmehr ihre eigenen Schlüsse ziehen, und so ist es kaum verwunderlich, dass viele den Film mögen, da sie das Gefühl hatten, Teil einer so eng zusammengerückten Familie zu sein. Eigentlich sind es ja ganz nette Kerle, auch wenn sie hin und wieder einen Mord begehen. Das Böse, repräsentiert durch die Corleones, ist überall vorhanden, durchdringt die amerikanische Gesellschaft wie ein bösartiger Tumor, der auch die gesunden Teile des Körpers befällt. Selbst innerhalb dieser angeblich glücklichen Familie ist alles mehr oder weniger auf Lügen und Betrug aufgebaut, Gewalt wird zur Erhaltung der Ehre und des Respekts notwendig gemacht. Spätestens gegen Ende des Films, wenn Michaels (Selbst-)Zerstörung mit einer simplen, aber doch schweren Lüge gegenüber Kay beginnt, kann mit Sicherheit niemand mehr die Scheinheiligkeit dieser Ehrenhaftigkeit anzweifeln.
Die große Leistung Coppolas begründet sich vor allem durch die einzigartige Besetzung der Rollen. Marlon Brando, vielleicht der beste amerikanische Schauspieler, spielt diesen korrupten, alt und müde erscheinenden, in seiner Macht nachlassenden und dennoch sympathisch-fürsorglichen Mann mit seiner mächtigen Körpersprache, mit seinen Augen genau so wie mit den legendären Wattetüchern, die er sich in die Backen stopfte, um wie eine „Bulldogge“ (Brando) auszusehen. Mit angerauter, fast leiser Stimme, vermutlich von etlichen Espressos und Grappas heißer gespühlt bzw. durch die Verletzung verschlimmert, wägt er seine Worte und Blicke sorgfältig ab, und obwohl er für mehr als ein Drittel des Films schwer verletzt das Bett hütet, dominiert die Erinnerung an die frühen Szenen mit seiner enormen Präsenz auch noch später. Wenn er wieder zurückkehrt, ist seine Statur gebeugt und vermindert, aber Augen und Stimme bleiben kraftvoll – Vitos Frustration darüber, dass er nicht in der Lage ist, den Teufelskreis, der nach dem Anschlag auf sein Leben in Gang gesetzt wurde, zu stoppen, ist auf seltsame Weise berührend, besonders wenn er sieht, wie sein Lieblingssohn Michael zunehmend in die Familiengeschäfte verstrickt wird. Brandos Darstellung – beeindruckender um so mehr, weil er damals erst Ende vierzig war – oder besser: seine Präsenz gibt dieser fesselnden Saga eine shakespearesche Erhabenheit – eine Qualität, die auch Pacino in den nachfolgenden Filmen liefern konnte.
Über Brando hinaus kann sich die gesamte Besetzung auszeichnen: James Caan ist exzellent als der unberechenbare Sonny, der sichtlich bestrebt ist, in die (für ihn zu großen) Fußstapfen seines Vaters zu treten – seine temperamentvollen Ausbrüche gehören zu den aufregendsten Momenten des Films. Im Vergleich zu Caan spielt Pacino den wesentlich ruhigeren, balancierten Michael, der sich vom strahlenden College-Boy und Kriegshelden zum kühlen Strategen wandelt. Pacino gehört zweifellos die beste Szene im Film, wenn er bei einem Treffen mit Solozzo in einem Restaurant diesen und einen Polizisten kaltblütig erschießt (man achte auf Pacinos Augen). Gegen Ende, wenn Michael Nachfolger seines Vaters als Familienoberhaupt wird, kann man geradezu hören, wie seine Worte an Gewicht zunehmen. Wenn er zu Fredo sagt: „You are my brother, Fredo, but don’t you ever side with anybody against the family again“, dann läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Die Darstellung des Michael Corleone in der gesamten Triologie ist wahrscheinlich die beste Leistung Pacinos in seiner Karriere. Hervorzuheben ist auch Robert Duvall als Tom Hagen, ein ungeheuer kontrollierter Charakter, der nie verrät, was er wirklich denkt. Nicht wegzudenken aus dem Film sind auch Talia Shire, Diane Keaton, John Cazale, Al Lettieri als Solozzo und Sterling Hayden als der bestechliche Cop.
Es fällt schwer, einen anderen Hollywood-Film aus dieser Zeit zu nennen, der so makellos inszeniert ist - für Coppola, etwa dreißig Jahre alt damals, war es immerhin der erste große Film als Regisseur. Nur 62 Drehtage und jede Menge Druck von Seiten des Studios hatte Coppola als schlechte Voraussetzungen, doch sein Talent hat sich letztlich durchgesetzt. Sein natürliches Verständnis für Spannungsaufbau, Rhythmus und Tempo ist genau richtig: über lange Dialogszenen bereitet er Momente von schockierender Gewalt vor. Er arbeitet mit Überblendungen und dokumentarischem Material um Zeit zu überbrücken und verwendet harte Schnitte bei Gleichzeitigkeit. Auch die sehnsüchtig-melancholische Sizilien-Passage passt sehr gut in den Film: sie schafft einen Ausgleich gegenüber der klaustrophobischen Schwere und den zahlreichen, sehr grellen (und brutalen) Gewaltszenen. Über die Hochzeitssequenz zu Anfang baut sich die Struktur auf: verführerisch zeigt uns Coppola die glücklich vereinte Familie in nostalgischem Flair, stellt gleichzeitig die Charaktere und deren Bedeutung innerhalb der Familie vor, um dann schrittweise dieses Gefühl zu widerlegen, beginnend bei der berühmten Pferdekopf-Szene bis hin zu der brillant montierten Parallelsequenz gegen Ende, die eine katholische Taufe den Rache-Morden der Corleones gegenüberstellt.
Auch die technische Eleganz des Films macht es schwer, irgendwelche Schwachpunkte zu finden. Coppolas Zusammenarbeit mit Kameramann Gordon Willis, in Fachkreisen “Prince of Darkness” genannt, ist zurecht legendär. Willis benutzte derart wenig künstliches Licht, dass die Paramount-Bosse überzeugt waren, niemand würde etwas erkennen können, aber dieser dunkle visuelle Ton ist genau richtig für den Film und sein Milieu. Es ist ein einfaches und kompromissloses Konzept: die Dunkelheit des kriminellen Familiengeschäfts im Vergleich zur Helligkeit auf der Hochzeit, wo man sich der Öffentlichkeit als integer präsentiert. Auch das Produktions- und Kostümdesign, für das Dean Tavoularis („Apocalypse Now“) veranwortlich zeichnete und das mit einem äußerst niedrigen Budget auskommen musste („Der Pate“ war tatsächlich ein Low-Budget-Film!), fängt erstaunlich perfekt das Zeitgefühl des New Yorks der späten vierziger Jahre ein.
Vielleicht kann ich meine Freunde einmal zu einer "Paten"-Nacht überreden.[/quote]
Nach oben
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de