Foren-Übersicht
Wünsche, Anregungen, Diskussionen, das alles hier im Forum!
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Throne of blood (J 1957, A. Kurosawa)

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch
Zurück :: Weiter  
Autor Nachricht
Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 24.02.2007 16:07    Titel: Throne of blood (J 1957, A. Kurosawa) Antworten mit Zitat

gesehen am 18.02.2007 (DVD) und 23.01.2012 (Kino: JKI Köln); 4/5

Shakespeares Macbeth in einem mythischen japanischen Mittelalter: Bei ihrer Rückkehr nach einer siegreichen Schlacht zum Schloss ihres Herrn verirren sich die beiden Samurai Washizu und Miki im Spinnwebwald und begegnen dort einem Geist, der ihnen die Zukunft weissagt: Washizu soll zunächst Kommandant des nördlichen Schlosses werden und schließlich Tsuzuki, seinen Herrn, als Herrscher des Schlosses im Spinnwebwald beerben; Miki werde Kommandant der ersten Festung und sein Sohn später wiederum Nachfolger Washizus. Der erste Teil der Prophezeiung erfüllt sich noch am gleichen Tag als Lohn für den Sieg. – Asaji, Washizus Frau, drängt zum Mord an Tsuzuki, ehe die Prophezeiung ruchbar werde. Washizu tötet seinen Herrn und lenkt den Verdacht auf die Wachen, die von Asaji mit einem Schlafmittel betäubt worden sind. Washizu zieht mit dem Leichnam Tsuzukis zum Schloss im Spinnwebwald. Vor diesem öffnet Miki die Tore. Die beiden verständigen sich; Miki erkennt Washizu als Herrn an, dieser erklärt Mikis Sohn zu seinem Erben. Asaji verlangt auch die Ermordung Mikis, sie selbst erwarte ein Kind. Miki wird schließlich getötet, sein Sohn kann entkommen. Inzwischen haben sich Washizus Gegner verbündet; sie erobern sämtliche Befestigungen bis auf das Schloss im Spinnwebwald. Washizu sucht den Geist des Waldes auf, um sein künftiges Schicksal zu erfahren. Er könne nur dann besiegt werden, so vernimmt er, wenn der Wald auf das Schloss, gegen ihn, vorrücke. Mit dieser Botschaft gewinnt er das Vertrauen seiner schwankenden Gefolgschaft zurück. – Beim Sturmangriff auf das Schloss tarnt sich das gegnerische Heer listenreich mit Hilfe der Bäume: durch starken Nebel wirkt es auf Washizus Krieger tatsächlich so, als bewege sich der Wald auf das Schloss zu – sie wenden sich gegen ihn. Von zahllosen Pfeilen durchbohrt, stürzt er vor ihnen in den Staub.

An "Throne of blood" (Kumonosu-jo) scheiden sich die Geister. Noël Burch hält ihn für den vollkommensten Film Kurosawas, Michel Estève rühmt im gleichen Sinne seine spezifisch kinematografischen Qualitäten, die in als ein „Schlüsselwerk“ Kurosawas auswiesen: er sei „eines der schönsten realistischen Poeme, die versucht haben, die Entfremdung eines Mannes durch die selbstgewählten Kräfte des Bösen auszudrücken. Dagegen schreibt Michel Mesnil: „Die Schönheit von "Throne of blood" ist reiner Formalismus, eine Art Selbstmord des Ästhetischen. Es gibt keinen dekorativeren, kälteren, leereren Film als diesen.“ Ähnlich urteilt der Amerikaner David Desser: „Der Film mag ... auf der rein formalen Ebene spektakulär wirken, aber es fehlt ihm das menschliche Element.“ Während die Kunstleistung des Films unbestritten ist, entzündet ich der Streit an seinem Rang als Kunstwerk. Die Kontroverse wird entsprechend weniger mit ästhetischen als mit kunstphilosophischen Argumenten ausgetragen. Das ist insofern naheliegend, als "Throne of blood" selbst eine intellektuelle Reflexion über die Geschichte und den Menschen in ihr anbietet, ein Denkbild, in dem sich Abstraktion und Konkretheit durchdringen. Wieder einmal erweist sich Kurosawa, wie schon an "Rashomon" bemerkt, als ein „director of ideas“.

Das Überraschende, ja Befremdliche an "Throne of blood" besteht darin, dass Kurosawa, stilistisch wie inhaltlich, seinen Humanismus, seinen Subjektbezug, seine Orientierung am Verwandlungs- und Entdeckungsreichtum des Lebens völlig preisgegeben hat. Sie sind in der Welt des Spinnwebwaldes schlechthin abwesend, der ihr reines Negativ bildet – und vielleicht gerade in dieser Abwesenheit, gleichsam in Form eines unterbliebenen Entwicklungsprozes¬ses, doch auch „da“. Dem Regisseur, der seine Filme aus Gegensätzen zu konstruieren liebt, deren heimliche Identität er in Spiegel- und Doppelgängermotiven aufdeckt ("Stray Dog"; "Kagemusha") oder die er in inneren Erleuchtungen ("Hidden Fortress"; "Ikiru") und spontanen Akten der Selbstüberwindung ("Rashomon") wieder relativiert und auflöst, kann eine solche dialektische Denkfigur gar nicht so fern liegen. (Wie überhaupt dialektisch geschulte Köpfe bei ihm auf ihre Kosten kommen.)
Der Film beginnt und endet mit dem Blick auf eine kahle Gebirgslandschaft. Reste von Befestigungsmauern säumen den Bergkamm, Nebel kriecht hoch, ein steinernes Mal beschwört Erinnerung. Chorgesang setzt ein und erzählt, dass an dieser Stelle einst ein mächtiges Schloss gestanden habe, in dem ein berühmter Krieger lebte, Machtgier führte ihn in den Tod, aber sein Geist irrt weiter umher. Der Nebel verdichtet sich, und wenn er wieder zerfließt, wird das Schloss im Spinnwebwald sichtbar. Im Schlussbild ist es wieder verschwunden, der Chor nimmt die Eingangszeilen auf und endet diesmal mit der Mahnung (in der Übersetzung Donald Richies): „Still his spirit walks, his fame is known,/ For what once was is now yet true,/ Murderous ambition will pursue...“ (Die deutsche Fassung gibt sich theologischer: „Der Pfad des Bösen ist der Weg der Verdammnis. Unaufhaltsam ist ihr Lauf.“) Prolog und Epilog schließen sich zyklisch zusammen; wenn der Film beginnt, ist das Drama schon abgelaufen; es kehrt wieder, rollt vor dem Zuschauer ab und setzt sich in endlosen Wiederholungen fort.

Kurosawa, der sich im übrigen eng an Shakespeare hält, verfilmt nicht einfach Macbeth: er erzählt das mythische Geschehen, das er darin entdeckt, entkleidet von der inneren Zerrissenheit der Tragödienfigur, die in Gewissensqualen und metaphysischer Verzweiflung Verbrechen auf Verbrechen häuft und so in den Untergang treibt. Von der Monstrosität Macbeths hat Washizu wenig geerbt. Es wäre schon zuviel, ihm persönlichen Ehrgeiz zuzuschreiben, ein psychologisches Motiv, das in der entpersonalisierten Welt von "Throne of blood" gar keine Stelle hat. Washizu findet sich vielmehr in einen Zirkel der Gewalt verstrickt, in dem er tötet, um nicht getötet zu werden.
In "Throne of blood" herrscht mythischer Wiederholungszwang. Auch Tsuzuki ist ein Usurpator, durch einen Mord an die Macht gekommen und Washizu verdankt schon seinen Aufstieg zum Herrn des nördlichen Schlosses der gescheiterten Rebellion seines Vorgängers., der sich seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen hat. Der Geist im Spinnwebwald, der in einer spinnwebgleichen Hütte haust, an einem Spinnrad sitzt und den Faden der Geschichte aufspult, enthüllt ihm die Mechanik dieser Welt, ebenso wie Asaji mit ihrer messerscharfen Logik deren Sprachrohr ist. Diese mythische Perspektive liegt sowohl der Übertragung des Theaterstücks in den Film wie der des Geschehens von Schottland nach Japan zugrunde und hat so „einen der seltenen Fälle kongenialer Literaturverfilmung“ ermöglicht.

Wiederholung prägt nicht nur die Logik der Handlung, sondern auch die ästhetische Feinstruktur von "Throne of blood". Zusammen mit der Ritualisierung der Bewegungen und der stilistischen Reduktion von Dekor und Schauplatz ergeben sie jene Symmetrien, jene Formalisierung und Geschlossenheit des Films, die sowohl Bewunderung als Distanz hervorrufen. Schon zu Beginn erscheinen nacheinander vier Boten, knien vor Tsuzuki nieder und berichten vom Fortgang der Schlacht, in der Washizu und Miki sich auszeichnen. Der Ritt der beiden Samurai durch den Spinnwebwald, zentriert um die Begegnung mit dem Geist, folgt dem Muster einer Variation des Gleichen, der symbolischen Geometrie eines Spinnennetzes entsprechend, in dem sie sich verfangen haben; allein zwölf Mal tauchen sie aus einer weißen Nebelwand auf, wenden ihre Pferde und verschwinden wieder. Wiederholung schlägt sich nicht nur in solchem Nebeneinander, sondern auch in der monotonen Vervielfachung gleicher oder ähnlicher Bildelemente nieder, die Anonymisierung der Handelnden und die Verdinglichung ihres Daseins spiegelnd: sei es die symmetrische Anordnung der Berater Tsuzukis oder die der Gäste auf Washizus Bankett, sei es die gleichförmige Masse der Krieger in ihren Rüstungen, die Masse der Bäume, die auf das Schloss zuschwanken, oder der Hagel an Pfeilen, mit denen Washizu überschüttet wird und die aus ihm ein groteskes, halbmobiles Nadelkissen machen.

"Throne of blood" verwandelt das Sichtbare in ein Netz von Zeichen; Zeichen, die nicht dem Ausdruck der Wirklichkeit dienen, sondern an die Stelle des Wirklichen getreten sind. Die Ordnung der Zeichen hat jede Intention verdrängt. Man kann versuchen, sie zu entziffern, aber man entrinnt ihrer Logik nicht. Washizus Handeln folgt einem Text, der schon geschrieben ist. Das hat nicht mit der Vorstellung von Vorsehung oder Schicksal zu tun. Es geht vielmehr um die Macht des Vor-Geschriebenen. Die Wege im Spinnwebwald, so heißt es, sind so angelegt, dass der, der ihnen folgt, sich verirrt. Wer sich auf ihnen fortbewegt, kann ihre labyrinthische Verschlungenheit nur verdoppeln.

Es ist bekannt, dass Kurosawa bei der Inszenierung von "Throne of blood" auf Formen des No-Theaters zurückgegriffen hat. Das beschränkt sich nicht auf die Schauspielführung, auf die Stilisierung von Gesten, Gang und Mimik, etwa in den Szenen zwischen Asaji und Washizu, auf die Ausdruckslosigkeit von Stimme und Maske (die synchronisierte deutsche Fassung vermittelt davon nur einen unvollkommenen Eindruck). Tatsächlich bestimmt die formale Grundhaltung des No den Film im Ganzen. Er stellt Handlungen und Vorgänge nicht (kinorealistisch) dar, sondern sie erstarren zu deren zeichenhafter Repräsentation. Im No-Theater sind Stil und Geschichte eins. Der Mord an Tsuzuki etwa vollzieht sich nicht als szenische Aktion. Kurosawa zeigt nur den Moment seines Vollbrachtseins. Im „verbotenen Zimmer“ des nördlichen Schlosses, in dem der vorige Kommandant Selbstmord verübt hat, geht Asaji ruhelos auf und ab. Blut verfärbt fleckig die Wände, das Blut des Toten, das sich nicht abwaschen ließ. Washizu betritt den Raum, mit starrem Blick, die blutigen Hände umkrampfen eine Lanze; Asaji versucht vergeblich, sie aufzubrechen. Die Szene strahlt eine düstere Gewalt aus, ohne dass man Gewalt gesehen hätte.

Neben diesen Theater-Zeichen spielt die Zeichensprache der Natur eine zentrale Rolle. Natur ist nicht einfach Schauplatz, sondern Ausdrucksträger – wenn auch nicht im Sinne westlicher Kunstkonventionen als Stimmungselement, Gegenwelt zur Sphäre des Menschlichen oder triebhafte Urgewalt. Sie geht in das Zeichengefüge des Films als Konfiguration ein, als Bedeutungsfeld ohne materielle Substanz. So ist der Spinnwebwald Agent des Verderbens, das Washizu ereilt, die Falle, der er nicht entrinnt, zweideutiges Omen seines Schicksals, schließlich Element des Aufruhrs, der über ihm zusammenschlägt. Ein Pferd, das kopflos (unbeherrscht) über den Hof galoppiert, präfiguriert Mikis Tod, ebenso wie die Vögel in die Räume des Schlosses eindringen, ehe noch Washizus Gegner angegriffen haben. Es wäre ein Missverständnis, darin das Wirken magischer Kräfte zu erblicken, als habe Kurosawa die Befangenheit eines vorrationalen Gesellschaftszustandes darstellen wollen. Spinnwebwald, tierische Vorboten wie Geistererscheinungen sind vielmehr Schöpfungen der Imagination, in denen sich das Geschehen von "Throne of blood" zum visuellen Vorgang verdichtet, gleichrangig mit den Handlungen der Personen; zwischen beiden herrscht eine Beziehung wechselseitiger Transformation.

Von der Verwandlung in eine Ausdrucks- und Zeichenwelt ist der gesamte filmische Raum betroffen. Er enthält nichts, was ihn bewohnbar machen würde. Die Leinwand ist von allem Zufälligen entleert. Die Bäume des Waldes erscheinen auf ihr Geäst skelettiert, das Schloss steht in einer felsigen Ödnis auf schwarzer Vulkanerde, die kein pflanzliches Leben kennt (Kurosawa hat es eigens an den Hängen des Fujiyama errichten lassen); die Innendekoration beschränkt sich auf wenige Requisiten: Matten zum Niederknien, ein glänzend schwarz lackiertes Gefäß, in dem Asaji das Blut von ihren Händen zu waschen sucht, ein Paravent aus filigranen Holzstäben, der ein zartes Strichmuster in die Leere schreibt. In ihr entfaltet sich der Prunk der schweren, stoffreichen Gewänder und das massive Ornament der Rüstungen, unter denen die Körper verschwinden. Nur an solcher Bewappnung und an Schwertern, Lanzen, Pfeilen und Bögen, den Gerätschaften des Todes, herrscht kein Mangel.

„Während unsere Kunst alles daransetzt, den Romangestalten „Leben“ und „Wirklichkeit“ zu verordnen, führt das Japanische schon aufgrund seiner Struktur diese Gestalten auf die Qualität von „Produkten“ zurück oder hält sie darin fest; es hält sie in der Qualität von Zeichen, die von ihrem referentiellen Alibi par excellence, dem der lebenden Sache, abgeschnitten sind.“ Nach dieser Beobachtung von Roland Barthes zur japanischen Sprache wäre "Throne of blood" Kurosawas japanischster Film, eine perfekte Einschmelzung des Shakespeare-Stoffes in die ästhetische Tradition der eigenen Kultur. Aber Kurosawa, der seine kulturellen Wurzeln im Kontext einer universellen Kultur reflektiert, verfolgt mehr als nur das Ideal ästhetischer Vollendung. Unter dem Zugriff einer Formalisierung, welche die „referentielle“ Instanz des Lebens ausgrenzt, verwandelt sich Macbeth in den Totentanz von "Throne of blood". Und das Schattenspiel der Zeichen verliert unter der Berührung mit dem Material einer fremden Kultur seine ästhetische Unschuld. Kurosawa enthüllt sein Geheimnis: es ist der Traum, den die Gewalt ausbrütet und immer wieder zu träumen gezwungen ist. In "Kagemusha", der in die japanische (Kriegs-)Geschichte zurückgeht, und in "Ran", der sie – wiederum unter Bezug auf Shakespeare – ins Apokalyptische vergrößert, wird Kurosawa auf die Formensprache von "Throne of blood" zurückgreifen.
_________________
"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 21.12.2011 16:21, insgesamt 3-mal bearbeitet
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen     Foren-Übersicht -> Rene's Filmtagebuch Alle Zeiten sind GMT + 2 Stunden
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group
Deutsche Übersetzung von phpBB.de