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El laberinto del fauno (MEX/E 2006, G. del Toro)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 25.02.2007 06:38    Titel: El laberinto del fauno (MEX/E 2006, G. del Toro) Antworten mit Zitat

gesehen am 24.02.2007 (Kino, ZKM Karlsruhe); 3/5

Märchen sind verschlüsselte Ratgeber für Kinder, die helfen sollen, die Werte der erwachsenen Welt verstehen zu lernen. Aber auch Eintrittskarten in ein Universum, in das sich die kindliche Seele zurückziehen kann, wenn sie sich bedroht fühlt. Beide Ebenen spricht Guilermo del Toro an, wenn sich seine Geschichte mit Bildern aus den Albträumen der Menschheit entfaltet.

Die Uhr war zerschlagen und funktioniert doch noch: vorsichtig hantiert Capitan Vidal (Sergi López) am Innenleben jener Uhr, die sein Vater zu Boden warf, als er gewaltsam ums Leben kam. Die Uhr, das zeigt sich im Laufe des Films, ist für Vidal ein Erinnerungsstück, das seinen Vater, die Erinnerung an seinen Vater und damit die männliche Blutlinie am Leben hält, zugleich aber auch eine Mahnung, an die eigene Sterblichkeit zu denken und dafür zu sorgen, dass das eigene Andenken in der männlichen Blutlinie bewahrt wird. Immer wieder gerne sind es Uhren und Uhrwerke, die in Guillermo del Toros Filmen auftauchen und die grausamsten Charaktere antreiben – ganz konkret wie in del Toros weithin unterschätztem Fantasy-Spektakel "Hellboy" (2004) bei Karl Ruprecht Kroenen, dessen Herz durch eine Apparatur ersetzt wurde, die einem Uhrwerk ähnelt, oder metaphorisch wie jetzt bei Capitan Vidal in "El laberinto del fauno" ("Pans Labyrinth"). Beide Figuren, das ist natürlich kein Zufall, sondern ein wiederkehrendes Thema in del Toros Arbeit, sind Schergen des Faschismus, deren Brutalität und Gefühllosigkeit im mechanischen Ticken des Uhrwerks gespiegelt wird. Vidal gehört zu General Francos Armee und hat 1944 – der Spanische Bürgerkrieg ist eigentlich schon zu Ende – sein Lager in einer einsamen Mühle aufgeschlagen, um von dort aus einige versprengte Rebellen in den Bergen zu bekämpfen. Obwohl sie hochschwanger und die Reise sehr mühevoll ist, lässt er seine Ehefrau Carmen (Ariadna Gil) nachkommen, da er möchte, dass sie bei der Geburt seines Kindes bei ihm ist – er erwartet wie selbstverständlich einen Sohn. Carmen wird von ihrer elfjährigen Tochter aus erster Ehe, Ofélia (Ivana Baquero), begleitet, die über ihren Stiefvater nicht sehr glücklich ist. In der Mühle werden die Neuankömmlinge von der Haushälterin Mercedes (Maribel Verdú) und dem Arzt des Hauses, Doktor Ferreiro (Alex Angulo), umsorgt. Mercedes und Ferreiro sympathisieren allerdings, wie Ofélia bald herausfindet, mit den Rebellen und versorgen sie mit Proviant, Medikamenten und Informationen.

Diese Geschichte allein würde für manchen Film genügen, aber del Toro hat ein großes Herz fürs Übersinnliche. Schon in "The Devil’s Backbone" (2001), den man als stilistische Fingerübung für "El laberinto del fauno" verstehen kann, verband er die im Spanien der Franco-Zeit angesiedelte realistische Erzählung mit einer Geistergeschichte und knüpfte daraus einen spannenden und zugleich poetischen Film über Schuld, Sühne und Verantwortung. In "El laberinto del fauno" sind es nicht die Seelen von Verstorbenen, die Ofélia heimsuchen, obwohl Vidals Entschlossenheit zu Mord genug unruhige Gespenster hervorbringen könnte. Stattdessen taucht das Mädchen in eine Parallelwelt ein, voll von märchenhaftem Licht, verwunschener Prinzessinnen und geflügelter Feenwesen, in der aber auch Kinder unversehens zur Mahlzeit beim Festbankett werden können. In den dunklen Räumen der alten Mühle und den Schatten des direkt benachbarten uralten Irrgartens geschieht der Übergang zur Welt des Phantastischen zuweilen ganz plötzlich. Ein angsteinflösendes Insekt verwandelt sich in eine schlanke Fee, und ein knorriges Gewächs beginnt sich zu bewegen: als Ofélia sich in das verwachsene Labyrinth vorwagt, wartet dort ein Faun (Doug Jones) auf sie, der ihr offenbart, sie sei eine Prinzessin aus einer unterirdischen Welt, die inzwischen vergessen habe, woher sie ursprünglich stammt. Drei Aufgaben stellt er ihr dann nacheinander, um ihren Charakter zu überprüfen.

Del Toro und sein Kameramann Guillermo Navarro ("From dusk till dawn"), mit dem der Regisseur schon seit Jahren zusammenarbeitet, haben Ofélias Welt – Realität wie Traum – mit viel Sinn für Farben und Beleuchtung in Szene gesetzt. Auch im tiefsten Dunkel leuchten immer wieder einzelne Farbfetzen auf, erst in den Momenten höchster Not und Verzweiflung verwandelt sich die Dämmerung in ein schier undurchdringliches dunkles Blau, aus dem nur noch die Phantasie einen Ausweg bietet. Die Bildsprache des Films ist nicht gerade subtil: Die furchterregende Figur des bleichen und blinden Monsters in Ofélias Prüfung ist nicht nur eine Hommage an Francisco Goyas Bildnis des Gottes Saturn, der seinen Sohn frisst; in der Tafel voller verdorbener Leckereien, die der Unhold darbietet, reflektiert der Film auch die falschen Verheißungen faschistischer Regimes: Draußen auf dem Berghof spielen sich Francos Truppen als Volks-Versorger auf und verteilen Brot, doch der Preis für einen vollen Magen ist die Freiheit des Individuums. In der Unschuld des kindlichen Geistes, verkörpert durch Ofélia, liegt einerseits die Gefahr der Verführbarkeit, andererseits aber auch die Chance einer Utopie: die Befreiung von der lähmenden Geißel der Diktatur in naher Zukunft.

Die seltsamen Wesen, denen das Mädchen begegnet, sind so faszinierend wie beängstigend und zwiespältig, und genau in dieser Schwebe bleibt die ganze Geschichte: selbst in den Momenten, in denen der Film äußerste Brutalität oder zumindest viel Blut zeigt, wenn etwa Vidal einen Rebellen foltert oder eine ihm zugebrachte Schnittwunde selbst verarztet, bewahrt sich der Film eine eigentümliche Poesie, dass man kaum hin- und doch kaum wegsehen mag. Der Film ist, wie del Toro seine Märchen mag: blutig und grausam, voll von schwarzer Schönheit und Entscheidungen, die Mut und Willenskraft erfordern. Del Toro ist Mexikaner durch und durch, und das bedeutet auch, dass der Tod in seinem Werk eine andere Schwerkraft besitzt als anderswo. Vielleicht liegt es daran, dass er früher in einem Leichenschauhaus gearbeitet hat und sein Heimweg an den Toten vorbeiführte. Aber auch sonst ist die Gewalt in seinem Leben durch die mexikanische Realität präsenter als bei anderen, weil ihm selbst schon einmal eine Pistole an die Schläfe gehalten wurde und sein Vater entführt und 72 Tage festgehalten worden war, während er in Hollywood an dem Horrorthriller „Mimic“ arbeitete. Man kann das seinen Filmen ansehen, weil die Art und Weise, wie sie von der Gewalt erzählen, von einer schmerzhaften Eindringlichkeit ist, die nichts mit den üblichen Spiegelfechtereien des Genres zu tun hat. In „El laberinto del fauno“ sieht man etwa, wie dem bösen Franco-Offizier erst mit einem Messer der Mundwinkel aufgeschnitten wird und wie er dann später den Schnitt mit Nadel und Faden vor dem Spiegel selbst wieder zunäht. Das Wunder aber ist, dass all dies im Dienste einer Geschichte steht, welche die Genregrenzen von Horror oder Fantasy weit hinter sich lässt.

"El laberinto del fauno" ist weniger ein Fantasy-Film, sondern eher eine Parabel über den spanischen Bürgerkrieg, und del Toro lässt uns am Ende keine Illusionen eines Happy Ends - auf die gewonnene Schlacht der Widerstandskämpfer in diesem Film folgten schließlich dreißig Jahre Diktatur. Im unsentimentalen Sinn für das Unabänderliche des schlechten Ausgangs - schließlich wäre alles andere Geschichtsfälschung - zeigt sich del Toros Sensibilität. Auch nimmt er seine junge Protagonistin und ihren Eskapismus auf seltene Weise ernst. "El laberinto del fauno" fasziniert somit einerseits wegen seiner visuellen und atmosphärischen Originalität, andererseits aber auch wegen des tiefschwarzen Pessimismus, der jeden Fantasy-Kitsch im Keim erstickt. Am Ende haben sich die menschliche Fantasie, aber auch Mut und Leidenschaft der brutalen, traurigen und ernüchternden Realität entgegengestellt.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 01.03.2014 17:14, insgesamt 10-mal bearbeitet
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michi
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Beiträge: 73
Wohnort: Gernsbach

BeitragVerfasst am: 25.02.2007 12:55    Titel: Michi Antworten mit Zitat

Dat muss ich mir unbedingt auch angucke....!
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