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Cruel story of youth (J 1960, N. Oshima)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 28.03.2019 15:46    Titel: Cruel story of youth (J 1960, N. Oshima) Antworten mit Zitat

gesehen am 28.03.2019 (BD); 3/5

Einrahmen sollte man den Film, vorher sich Richard Brooks‘ „Blackboard Jungle“ anschauen und nachher „À bout de souffle“ von Godard. Für Videofreaks eine Kleinigkeit. Sie könnten aktiv in ihr Verhältnis zu Bildern eingreifen. Sie könnten mit selbstproduzierten Verfremdungseffekten Realismusillusionen brechen. Denn auch bei der Ähnlichkeit wichtiger Elemente, zu konsumieren wie ein Halbstarkenfilm ist dieser nicht. Die jungen Leute in Petticoats und Waikikihemden, mit eckigen, tiefdunklen Sonnenbrillen und toupierten Haaren, zu dritt vorn in den Autos sitzend, sind amerikanisiert. Aber das ist nicht der Punkt. Der Jugendfilm ist das einzige genuine Genre der 1950er Jahre und zusammen mit Cinemascope die letzte Erfindung des abgewirtschafteten, vom Fernsehen bedrohten Mediums. Erst mit der Jugendbewegung der späten fünfziger Jahre ist der Krieg endgültig vorbei. Die Generation, deren Denken und Handeln von ihm bestimmt war, ist abgehängt von auftrumpfenden jungen Menschen, deren Welt anders ist.

Oshima war damals schon fünf Jahre Assistent bei der Shochiku, der konservativsten unter den japanischen major companies. Sie wollte durch Jugendthematik sich nicht verjüngen, sie wollte nur wieder bessere Profite. Der damals 27-jährige Oshima schien der geeignete junge Mann bei der Hand. Aber für ihn ist „der Akt des Filmens in dieser Welt ein grundsätzlich krimineller“. So wurde sein Film über die gewalttätige Jugend nicht ein nach bewährten Methoden verfilmtes zeitgenössisches Sujet, sondern eine Symbiose. Aus einer Jugendlichengeschichte, die ein Aufschrei ist gegen das alte, unter amerikanischem Einfluss sich restaurierende Japan und Oshimas Aggression gegen die traditionellen japanischen Kinowerte.

Der Film ist so brutal inszeniert, wie seine Geschichte schreiend pessimistisch ist. Ein Schülerpaar lebt, um miteinander leben zu können, vom Liebesbedürfnis derer, die Geld haben und es für Liebe ausgeben. Ihr eigenes Verhältnis, um es von dem abzusetzen, was die Alten tun, trägt alle äußeren Zeichen von Vergewaltigung und Grausamkeit. Die beiden Jungen enden gewaltsam, nicht tragisch. Der Schluss ist in seiner Stilisierung möglicherweise eine Parodie des in der japanischen Literatur und im Film so beliebten Doppelselbstmords.

Als die Nouvelle Vague die schweren Studiokameras gegen die Handkameras vertauschte, machte sie sich frei, sagt Oshima, bei uns in Japan ist die Lage so ernst, dass auch die Handkamera vor den beiden jungen Leuten wie von schweren Ketten gezogen sich bewegt. Die Geschichte der beiden unengagierten jungen Leute spielt nicht vorm Hintergrund der Studentenbewegung und der Demonstrationen gegen den japanisch-amerikanischen Beistandspakt: der Hintergrund ist innerstes Motiv. Oshimas Fiktion verhält sich anders, als wir dieses Verhältnis zu denken gewohnt sind, zur Realität. Für ihn ist japanisches Kollektivbewusstsein noch immer so stark geprägt von feudalistischer Vergangenheit, dass nur eine individualistische Revolte die Ketten brechen kann. Den Protest bedingt nicht die Furch vor dem Verlust japanischer Identität, sondern mehr die Angst vor der Rückkehr staats- und familiengläubiger und militaristischer Neigungen.

Cinemascope war immer ein brutales, menschenfeindliches Format. In dem Sinn macht es sich Oshima zu Nutze. Plakative Bilder, extreme Großaufnahmen, an- und abgeschnittene Gliedmaßen hauptsächlich. Die vom Cinemascope betonte horizontale Linie, die westliche Regisseure wie Nicholas Ray auf neue Filmgedanken brachte, ist bei Oshima betont Bett- und Schlafperspektive. Dazu wird Rock ’n’ Roll zum idealen Maß der Möglichkeiten des neuen Formats. Genau zwei Armlängen ist das Bild breit – wenn ein Paar sich tanzend voneinander entfernt, die Arme auf volle Länge ausgerollt.

Durch Bewegung derealisiert Oshima Handlung. Und durch Farben auch, die Farbe ist und nicht bloß natürlicher Reflex von Realität. Ein Schauplatz, eine Landschaft aus Flözhölzern, umgelegte Bäume, abstrahiert sich durch die Bewegung im Bild und das gleichzeitige Beigebleichwerden in ein hingemaltes Schriftzeichen. Wenn Oshima die Lust ankommt, lässt er alle Rücksichtnahmen auf Dramatik fahren und zeigt in einer endlosen Einstellung jugendlich-zornigen Lebenshunger. Nackte Realität, das kann für Oshima, östlichem Formenverständnis folgend, sehr wohl ein Zeichen sein. Weshalb der Film auch ganz generell, ganz unjapanisch ein Film über Jugend ist, die nur als Elan, Impuls, Vitalität existiert, deren Positives in der Negation den adäquaten Ausdruck findet.

Abgelöst oder eingetaucht der Geschichte des Films zu folgen, lässt er nicht zu. Makoko, die auf Sex gespannte Schülerin, fragt sich, fragt uns, fragt ihren Freund, für was sie dessen Äußerungen zu nehmen habe. Ob das vielleicht die Zeichen sind, die Liebe bedeuten? Ihr Körper, von ihm als Köder ausgesetzt, um Geld aus Männern herauszuschlagen, biete ihm gleichzeitig die Möglichkeit, ihr zu zeigen, was er einzig für sie tun könne, erklärt er ihr, und schließlich kommt von ihm der Satz, den sonst im Kino immer die Frauen sagen müssen, dass er sich billig dabei vorkommt. Der Körper als Köder, da ist Teil der Geschichte und Teil des Films, mit dem Oshima ausstellt, was er über sein Medium weiß. Das Spielen, Vorgeben, Ausprobieren kann unvermittelt umschlage in blutigen Ernst. Das Imaginäre und die Realität sind keine getrennten Sphären, sie sind in einer Ebene. Vorstellungen, bei den Japanern, haben einen Platz in der Realität. Das weiß ein jeder, der ihre Geistergeschichten kennt. Es gibt kein Jenseits. Oshima nimmt den Film her zu „dokumentarischem Surrealismus“, als ein Feld, auf dem am besten sich dartut, wie ein ins andere sich wandelt. Dass Erwachsenwerden Stagnation bedeutet.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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