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Rene
User seit: 25.08.2006 Beiträge: 3171
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Verfasst am: 05.06.2019 00:17 Titel: Les Créatures (F/SWE 1966, A. Varda) |
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gesehen am 04.06.2019 (Kino: Ponrepo, Prag); 3/5
In all ihren Filmen zeigt Agnès Varda eine unverhohlene Neigung zum Schematisieren, Systematisieren, zu mechanisch wirkenden Strukturen. In „La pointe courte“ hielt man die Aufgliederung des Films in die Probleme der Fischer von Sète auf der einen und die eines städtischen Paars auf der anderen Seite für Unbeholfenheit des Anfängers. „Cléo de 5 à 7“ war trotz der rigorosen Zeiteinteilung nicht annähernd so extrem wie „La Mélangite“ , den sie eigentlich hatte drehen wollen: zehn Jahre aus dem Leben eines jungen Burschen, dargestellt von fünf Schauspielern, die verschiedene Wesenszüge repräsentieren sollten, fein säuberlich verteilt auf zwei verschiedene Schauplätze, zwei Orte am Meer, das „freundliche und miese“ Sète auf der einen Seite und das „unheilbringende und schöne“ Venedig auf der anderen. Mit „Le Bonheur“ verhielt es sich ähnlich wie mit „Cléo“: Varda drehte ihn zunächst an Stelle von „Les Créatures“. Da seine Form so ungewöhnlich wie ambivalent war, gab es Möglichkeiten, den Systemzwang der Autorin zu übersehen und Interpretationsmöglichkeiten zu finden, die Varda selbst am meisten zu überraschen schienen. In aller Unschuld akzeptierte sie sie, unterstrich aber weiter ihre Intentionen und kassierte damit prompt den Vorwurf des Opportunismus. Mit „Les Créatures“ waren keine Missverständnisse mehr möglich. Die Katze war aus dem Sack.
Varda verstößt gleich dreifach gegen die herrschenden Regeln und demonstriert damit auf gleich drei verschiedenen Ebenen Naivität, die als unverzeihlich gilt. Einmal betont sie auf ungebührlich triviale Weise den Bastelaspekt jeder Fiktion. Jahrhunderte der Kunsterziehung haben uns gelehrt, dass die Kunst spontan, organisch zu wirken habe, dass man ihr die Mühe des Gemachten nicht anmerken dürfe. Varda gestattet sich, hohe Themen und Vorstellungen auf niedrigster Ebene einfach zu wiederholen. Wenn damals bei Bergman der Tod und der Ritter ums Leben Schach spielten, dann muckten zwar auch ein paar Leute auf. Aber es waren nicht dieselben, die es empörend platt fanden, wenn in Vardas Film ein Kriminalschriftsteller, der seinen Vornamen mit Edgar Allan Poe gemein hat, mit Nachnamen Piccoli heißt und von Michel Piccoli dargestellt wird, das Schicksalsspiel spielt mit einem bösen pensionierten Ingenieur, der mit Lautréamonts bürgerlichem Namen Ducasse heißt. Dieser Ducasse hat mit allen möglichen technischen Mitteln ein scheußlich kompliziertes Sciencefiction-Schachspiel erfunden. Die Figuren sind die Menschen seiner Umgebung, die er mittels elektromagnetischer Mittel in Rage bringen kann, dann färbt sich die Leinwand rot, oder in freundliche Stimmung, dann sieht man auf der Leinwand la vie en rose. Der Einsatz des Spiels guter Piccoli:böser Ducasse oder, wenn man will Kunst:Wissenschaft ist Piccolis stumme und schwangere Frau. Sie hat ihre Stimme durch einen Autounfall verloren, den ihr Mann verschuldete, als sie auf dem Weg in die Ferien waren, nach Noirmoutiers, einer Insel vor der Vendée, auf der sie nun, auch außerhalb der Saison, leben. Sie erwartet ihr Kind und er geht mit einem Roman schwanger. Die Beziehungen zu dem erwähnten Ducasse sind überhaupt nur fiktiv, denn Piccoli ist nicht nur Piccoli, sondern auch noch der Held seines eigenen Romans, und was man auf der Leinwand sieht, sind – nicht sehr säuberlich getrennt - gewissermaßen Vardas und Piccolis Hirngespinste.
Aber nicht nur, dass Varda ihre ungehobelten Erfindungen, diesen Ausverkauf in Fiktion, so ungeniert vorträgt! Bei aller Künstlichkeit geht es in diesem Film auch noch – wie in allen Filmen Vardas – ums „einfache Leben“, um Ferien am Meer zum Beispiel, um Krebse, Fische und Fischsuppen, um eine einfache junge Frau, die sich umbringt, weil ihr Mann sie mit einer schrecklich komplizierten betrügt. Piccolis Frau vermengt in immer weißen kindlichen Kleidern mit einfachen Gesten Mehl und Eier zu immer neuen Kuchen. Neun Monate lang scheinen die beiden in immer dem gleichen verliebten Ton miteinander zu verkehren – dem bloß Authentizität an der Basis mangelt, denn ihr Vertrauen in ihn ist erschüttert, seit er den Unfall provozierte, und sein Verhalten wird forciert von Gewissensbissen. Der Schluss scheint wieder alles ins Lot zu bringen. Er beendet seinen Roman an einem Tag, an dem sie durch die Geburt eines Sohnes die Sprache wiederfindet. Der Film endet mit dem Bild des schreienden, nicht gerade schönen Neugeborenen. Das Glück scheint vollkommen. Man kann aber dieses Neugeborene auch verstehen als bleibende Erinnerung an neun stumme Monate, die der Mann verursacht hat. Er brauche das schnelle Autofahren, hatte er anfangs behauptet, das bringe ihn auf gute Ideen.
Die amerikanische Kritikerin Susan Sontag zitiert in ihren "Anmerkungen zu Camp“ einen Satz aus „A woman of no importance“ von Oscar Wilde: „Ich schwärme für einfache Genüsse, die sind die letzte Zuflucht der Komplizierten.“ Auch Vardas Filme kreisen um die Polarität von Einfachheit und Kompliziertheit. Nur ist bei ihr der Anlass dazu gerade nicht die Sorge um die Stilisierung der eigenen Person, die Bemühung um splendid isolation des elitären Individuums im Zeitalter der Vermassung. In der artifiziellen Einfachheit ihrer Filme stellt sich die Sehnsucht nach einem Paradies dar, dessen Verlust man erst dann empfinden kann, wenn es einem als solches ins Bewusstsein kommt. In den frühen Filmen der Varda vor allem, zumal in den den späteren, geht es stets um Varianten verlorener Unschuld. Von François aus „Le Bonheur“ sagt sie, sein Glück sei, dass er sich im Zustand der „weltlichen Gnade“ befinde: er kenne kein Schuldgefühl. Agnès Varda hat ein besonders stark ausgeprägtes Bewusstsein davon, dass, seitdem es ihr Medium gibt, mit der Möglichkeit, die Welt abzufotografieren, die Natur nicht mehr die ist, die sie früher war, und sie lehnt es mit ihrer entschlossenen Option für Künstliches, Mechanisches und Fabriziertes ab, sich der Listen zu bedienen, die ihr Medium ihr anbietet, um den Riss, der entstanden ist, zu verdecken. In „Salut les Cubains“ hat sie 1500 auf Kuba gemachte Fotos aneinander gesetzt und gerade durch den „unnatürlichen“ Rhythmus eine Vorstellung des natürlichen vermittelt, wie kein imitierender es vermöchte.
In „Les Créatures“ häuft sie die unglaublichsten Erfindungen. Edgar Piccoli kann - wie im Märchen oder viel mehr noch: wie vor dem Sündenfall – mit Tieren sprechen. Aber diese Eigenschaft ist es auch, die ihn trennt und unterscheidet von den anderen Bewohnern der Insel – genau wie die Schwangerschaft seine Frau zwar in einen gesteigerten Naturzustand versetzt, der sie aber nur wieder von ihrer Umgebung absondert. Geburt, aber auch der Tod sind in der Welt der Varda so wichtig, weil sie als äußerste Punkte gleich frei sind von den Regeln und Konventionskonstruktionen, die das Leben überziehen und komplizieren.
Solange das Ehepaar Piccoli mit seinen diversen Kindern schwanger geht, ist der Film unterlegt mit kreißender Computermusik von Pierre Barbaud. Als dann die Kinder geboren sind, setzt triumphierende Barockmusik (Purcell) ein, als ob die gute Fee der teuflischen Verwirrung ein Ende gesetzt habe und die Dinge wieder in die einzig richtige Ordnung, in den einzig richtigen Ablauf zurückgekehrt seien. Auch das ist noch einmal eine Geste der Trauer um eine verlorene Harmonie, aber wie alles bei Varda gemischt mit nicht zu überhörender Selbstironie: die Zeiten für solche Erfindungen sind vorbei. Die Sehnsucht nach ihnen darstellen, ganz offen und ohne Rücksicht auf herrschende Konventionen, Traditionen häufen, unterschiedslos, vorurteilslos, dieser Mut wird bei Varda belohnt, durch ihn gelangt sie zu einer zweiten Naivität. Neues ist zu erkennen am Horizont einfach dadurch, dass sie Vorhandenes, unkonventionell programmiert, wiederholt.
Man hat diesem Film immer wieder seine miserabel erfundene Geschichte mit ihren mannquinhaften unoriginellen Figuren vorgehalten und der Varda noch unterstellt, sie errechne sich mildernde Umstände für ihre Fiktion, indem sie einen windigen Kriminalschriftsteller zum Koautor ihrer Geschichte mache. Aber gerade der schlechte Geschmack, den Varda mit diesem Film, nach allgemeinen Konsensus, wiederholt bewiesen haben soll, macht sie dem François aus „Le Bonheur“ verwandt. Wie François auf moralischem Sektor, kennt Varda auf dem ästhetischen keine Schuldgefühle. Nur hat sie sich damit aus dem allgemeinen Kunstbetrieb hinauskatapultiert.
„Les Créatures“ bedient sich nicht nur utopischer Konstruktionselemente, er ist eine Film-Utopie, deren Verständnis Schwierigkeiten bereitet, weil uns weitgehend die Fähigkeit zu jener Erlebnisweise abgeht, die Susan Sontag in dem erwähnten Aufsatz beschreibt, die in Amerika stets entwickelter zu sein scheint – zweifellos, weil man dort ein selbstverständlicheres Verhältnis zu den Produkten der Kulturindustrie hat. Der Kenner des „Camp“, schreibt Sontag, verstehe es, Dinge auf ausgefallene Weise zu besitzen, in seinen Augen beflecke der bloße Gebrauch den Gegenstand seines Vergnügens nicht: „Die Camperfahrungen basieren auf der großen Entdeckung, dass die Erlebnisweise der hohen Kultur keinen Alleinanspruch auf Kultur hat. Camp erklärt, dass guter Geschmack nicht einfach guter Geschmack ist, ja, dass es einen guten Geschmack des schlechten Geschmacks gibt.“
Der Film ist voll von ähnlichen, aber nicht identischen Schachbrettmustern, die ihre äußerste Ausprägung finden in flirrenden Zeitrafferaufnahmen vom Meer in der Sonne. Das ist nicht nur eine Ovation an Popmode, sondern auch Selbstdarstellung einer Ästhetik, die das Privileg des Originals liquidiert. _________________ "Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion." |
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