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Rene
User seit: 25.08.2006 Beiträge: 3171
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Verfasst am: 18.06.2019 08:26 Titel: Liebelei (D 1933, M. Ophüls) |
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gesehen am 17.06.2019 (DVD); 4/5
Liebelei ist nicht die adäquate Bezeichnung für das, was die beiden Hauptfiguren Christin und Fritz in Ophüls‘ Film verbindet. Das ist eindeutig die große Liebe – und zwar auf beiden Seiten. Der Titel scheint nichts weiter als das erste Versatzstück eines Wiener Dekors. Die Wortbedeutung hat Ophüls offensichtlich nicht gekümmert, nur sein Klang, seine Melodie und was sie evozieren.
Das ist in dem Stück von Arthur Schnitzler anders: da hängt das „süße Mädel aus dem Volke“ ihre ganze Liebe an den reichen Bürgersohn, für den sie aber nur ein angenehmer Zeitvertreib ist. Schnitzlers Stück spielt, mit Ausnahme des eines Aktes im Boudoir von Fritz – davon heißt es ausdrücklich, es sei elegant und behaglich –, in der Wiener Vorstadt, in der Wohnung von Christins Vater. Als das Stück zum ersten Mal vor dem Kaiser aufgeführt wurde, gab es einen Skandal. Sicher nicht nur wegen seiner expliziten Kritik am Bürgertum. Theatererfahren wie die Wiener Gesellschaft war, wird ihr die Umkehr der üblichen Bühnenposition aufgefallen sein. Gewöhnt war man Haupt- und Staatsaktionen mit großen Gefühlen, die in den eigenen Kreisen spielen; Probleme auf Dienstbotenebene dienten nur zum Divertissement. Schnitzlers Stück zieht nun aber seine ganze Kraft daraus, dass es bis zu einem gewissen Grad die Form wahrt: Schnitzler umgibt seine Erfindung mit dem Air von Belanglosigkeit und Pittoreskem, an das man bei dieser Art von Geschichten gewöhnt war. Aber gerade dadurch bekommt Christins Selbstmord am Schluss ein doppeltes Gewicht.
Vom Schnitzlerischen Sujet ist bei Ophüls nichts mehr geblieben. Ihm ging es nicht um Hierarchieprobleme der österreichischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende 1900. Die hatte die Geschichte, als er 1932 das Stück verfilmte, längst gelöst. Was Wien für ihn bedeutete, als er 1926 für ein Jahr als Regisseur an die Wiener Burg verpflichtet wurde, schreibt er in seiner Autobiographie: „Ich kam mir überhaupt vor, als ob ich nicht in eine Stadt gereist wäre, sondern in ein Kapitel von Schnitzler oder in einen Akt von Raimund. Alles war unwirklich.“ Wenn schon die Realität ihm erschien wie Theater, dann kann ein Stück von Schnitzler ihm folgerichtig nur potenzierte Irrealität bedeutet haben. In seinen Erinnerungen heißt es weiter mit Bezug auf die Schauspieler des Burgtheaters: „Die Phantasie dieser Schauspieler war nicht meine Phantasie. Meine war durch Maschinenstädte gegangen, ihre blühte aus dem sterbenden Wien.“
Auskunft darüber, was ihn denn eigentlich an dem Schnitzlerstück interessierte, gibt der Film durch seine Abweichungen von der Vorlage. Zunächst einmal verlegt er die entscheidenen Orte der Handlung in eben das Milieu zurück, das Schnitzler mit Absicht umgangen hatte: in die Oper (mit Auftritt des Kaisers), in pompöse Adelspalais‘, ins Offizierskasino. Fritzens Zimmer ist dagegen, anders als im Stück, ärmlich wie eine Studentenbude, noch trostloser Christins Vorstadtwohnung. Zusammen mit dem Umstand, dass die Gefühle, die die beiden füreinander haben, gleich groß sind, verweist das darauf, dass es Ophüls an der Darstellung der Höhen und Tiefen der Wiener Gesellschaft nicht gelegen war; diese ist in die Fläche gerückt, nur noch Hintergrund, in ihrer totalen Durchgeformtheit phantastisches Paradigma für jede Form von Gesellschaft, die zu unbeweglich ist zu reagieren, wann immer Veränderung von ihr erwartet wird.
„Liebelei“ ist nicht ein Film gegen bestimmte Formen einer bestimmten Gesellschaft, sondern ein Film gegen unzeitgemäße Formen überhaupt. Es ist ein Film, in dem die Jungen gegen die Alten stehen und mit der ganzen Bewegung ihrer Gefühle anrennen gegen die unnachgiebigen Grenzen überkommener Formen. Schnitzlers Stück spielt im Frühling. Ophüls‘ Film im Winter. Die Winterlandschaft lässt ihn das Zauberhafte, Unwahrscheinliche der Gefühle der jungen Leute zum Ausdruck bringen, aber auch die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe: während einer langen, gleitenden Schlittenfahrt von Fritz und Christin wirken verschneite kleine Tannen an ihrem Weg wie Grabsteine aufeinem mit Schnee bedeckten Friedhof. Die Verschränkung und Verklammerung von Starre und Bewegung in dieser einen Sequenz spiegelt deren Verhältnis im ganzen Film. Zwar sind die jungen Leute des Films nicht erfolgreich in ihrer Revolte, dafür aber ist die Erscheinungsform von Ophüls‘ Film wie ein Versprechen. In „Liebelei“ heben sich ganz schwerelos die Grenzen der Räume. Der Film schwebt in einem Gleichgewicht, das nicht aus einem Moment der Ruhe kommt, sondern aus ständiger Bewegung.
Er sei, hat Ophüls gesagt, durch die Maschinenstädte gegangen, deshalb könnte er die kalte Pracht der Wiener Tradition nicht mehr ertragen. In seinem Film sucht man vergeblich nach direkten Zeichen dieser Erfahrung, die den Bruch zwischen jener Welt und der seinen anzeigen würden. Aber es gibt diesen Bruch, nur dass Ophüls ihn nicht als Reformator zeigt, sondern als Künstler, dem mit dem Film ein zeitgemäßes Mittel an die Hand gegeben war, die Realität neu zu interpretieren. Ophüls‘ Bruch mit der Tradition beginnt da, wo er aus dem Schnitzlerschen Theaterstück einen Film machte.
Bei ihm beginnt es in der Oper. Der erste Akt der „Entführung aus dem Serail“ ist vorüber, der Inspizient schaut durch das Loch im Vorhang in den Zuschauerraum – das ist natürlich die erste Verkehrung der üblichen Theaterperspektive. Auf ein Zeichen geht der große Lüster im Saal an: der Kaiser kommt. Das Publikum erhebt sich, dreht der Bühne den Rücken zu und wird für einen Augenblick von den bloßen Mitwirkenden in einem Film Publikum einer Szene in einer Szene. Mizzi und Christin sitzen hoch oben auf der Galerie und ihr Opernglas, das bei Ophüls überhaupt die Ereignisse in Gang bringt, fällt ihnen ins Parkett, nicht etwa, weil sie neugierig auf das Geschehen auf der Bühne sind, sondern weil beide das Schauspiel des Kaiserauftritts möglichst genau mitbekommen möchten.
Diese Eingangsszene ist in mancher Hinsicht bezeichnend für die Ophülssche Darstellungsweise. Man sitzt als Zuschauer in seinen Filmen immer da wie diese beiden jungen Mädchen auf der Galerie, die, schauen sie nach rechts, die Bühne sehen, schauen sie nach links, ein Schauspiel geboten bekommen, das auch nicht die Realität selbst ist, eher eine in Pose gesetzte Realität, ein nur um Grade direkteres Abbild der Realität auf der Bühne. Truffaut vermutete hinter Ophüls‘ Neigung, die Realität nie ganz unmittelbar in Erscheinung treten zu lassen, das Bewusstsein der Indezenz, das jeder Künstler habe, wenn er „Leben fabriziere“. Das ist aber eine Überlegung, die bezeichnend ist für eine Generation, der man einen bestimmten Realismus als einzig gerechtfertigte Darstellungsweise im Kino eingeredet hat.
Die Probleme hat Ophüls nie gehabt. Für ihn war das Kino in erster Linie ein Kunstmittel; von dessen Fähigkeiten, die Welt direkt abzubilden, hielt er nicht viel. Das Ephemere, Leichte, Schattenhafte seiner Filme ist ständiger Hinweis darauf, dass es um eine scheinbare Realität sich handelt, um nichts weiter als belichtetes Filmmaterial. Auch die Aufmerksamkeit, die er der Rekonstruktion von Milieu und Atmosphäre in seinen Filmen widmet, ist kein Dienst an der Realität. Ophüls hat sich einmal geäußert über die realistischen Details in den Romanen von Balzac, über die Passagen in dessen Texten, die von realen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen berichten, in gleicher Weise bedient er sich in seinen Filmen realistischer Momente: „Er (der Realismus) soll störend wirken, er soll das Wachsen der dramatischen Spannung verlangsamen, das nötig ist, damit man alle Kräfte sammelt, um wirklich ans Herz zu rühren; er ist etwas Präsentes, dass sich schiebt zwischen die Lust, an den Nerv des dramatischen Geschehens zu rühren, und die Emotion des Zuschauers, er ist einfach da, und er verlangsamt, das ist seine einzige dramaturgische Funktion.“
Ein mögliches direktes Abbild der Realität durch das Kino interessierte Ophüls nicht. Ihn faszinierte der Film als Mittel zur Darstellung von Bewegung. In „Liebelei“ hat man den Eindruck, dass hier ein Theatermann am Werk ist, der ganz hingerissen die ungewohnte Bewegungsfreiheit nach allen Seiten genießt und sich von ihr inspirieren lässt zu Experimenten und Entdeckungen. Ophüls entdeckt ein neues Medium, ausgehend von den Grenzen eines alten; die Grenzen des alten sind die Basis für das Verständnis des neuen.
Man müsse einmal erzählen, wie häufig in diesem Film Türen aufgestoßen werden und Fenster; bezeichnend aber ist, dass die Fenster und Türen sich nie auf eine reale Außenwelt öffnen, sondern immer auf eine im Atelier rekonstruierte. Es gibt auch einige Außenaufnahmen in „Liebelei“, aber sie wirken im Kontext der anderen irrealer als jede Rekonstruktion. Ihre Funktion ist nicht, als reale Außenwelt in Erscheinung zu treten. Sie haben den Filmraum auf der anderen Seite zu begrenzen, de auf der einen der Theaterraum abschließt. Aber diese Grenze markiert zugleich die Öffnung auf einen neuen Raum, der der Darstellbarkeit sich entzieht, dessen Vorstellung allein einen schwindeln macht. Diesen Schwindel vor einem Raum, dessen Dimensionen zu erfassen menschliche Maße übersteigt, versucht Ophüls darstellend zu vermitteln. Es gelingt ihm mit Szenen von größter Einfachheit. Da gibt es eine Sequenz, in der Fritz und Christin in einem Kaffeehaus tanzen und über ihre Liebe die Umwelt völlig vergessen: sie tanzen und tanzen. Als Zuschauer versucht man ihren Bewegungen zu folgen, verliert aber sehr bald die Orientierung, weil man bei den vielen Spiegeln in dem Café nie sicher sein kann, wann sie sich in dem realen Raum befinden und wann in dem bloß reflektierten.
Hofmannsthal, der zusammen mit Schnitzler das Lebensgefühl der Wiener Jahrhundertwende am eindeutigsten formuliert hat, schrieb über seine Zeit, dass ein leiser chronischer Schwindel in ihr vibriere und dass sie sich „nur auf Gleitendem ausruhen könne und sich des Gleitenden bewusst sei, wo andere Generationen an das Feste glaubten“.
Das hat Ophüls dargestellt mit dem Mittel, das entscheidend zu der Auflösung der alten Raumvorstellungen beigetragen hat. Die häufig wiederkehrenden Theater- und Bühnensituationen bei ihm sind nicht bloß Reminiszenzen eines ehemaligen Theatermannes, sie sind vor allem auch Ausgangspunkt für eine neue Konzeption des Raums. Ophüls vereint so zwei Perspektiven, zwei Relationssysteme in einer Komposition. Seine Filme spielen in einem Zwischenraum, gleich weit entfernt von Theater und Realität, weil ihm so zu zeigen gelingt, dass Form, die man lange als etwas Statisches, Ruhendes, Festes verstand, sehr wohl auch unbegrenzte Bewegung sein kann. _________________ "Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion." |
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