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Jules et Jim (F 1962, F. Truffaut)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 05.04.2007 16:44    Titel: Jules et Jim (F 1962, F. Truffaut) Antworten mit Zitat

gesehen am 29.03. und 03.04.2007 (DVD), sowie am 04.05.2014 (BD); 5/5

Vor dem Ersten Weltkrieg treffen sich die beiden Literaten Jim (Henri Serre), ein Franzose, und Jules (Oskar Werner in einer unvergesslichen Rolle), ein Deutscher, in Paris und schließen Freundschaft. Sie arbeiten zusammen, sie übersetzen die Werke des anderen in ihre Sprache, sie verreisen gemeinsam. Beide lernen Cathérine (Jeanne Moreau) kennen, und beide verlieben sich in sie. Eine mehr als zwanzigjährige Liebe zu dritt beginnt. Zunächst leben sie unbeschwert zusammen und nehmen von den Erschütterungen der Welt kaum Notiz. Jules und Cathérine heiraten und gehen nach Deutschland, in eine Einsiedelei im Schwarzwald. Während des Krieges stehen die beiden Freunde einander an feindlichen Fronten gegenüber. Als der Frieden wieder Besuche erlaubt, treffen die drei erneut zusammen. Jules und Cathérine haben inzwischen eine Tochter, Jim wird Cathérines Liebhaber, Jules billigt das Verhältnis. Cathérine geht mit Jim nach Paris; als sie kein Kind von ihm bekommen kann, kehrt sie zu Jules zurück. Bei einer späteren Begegnung erfahren sie, dass Jim seine langjährige Freundin Gilberte heiraten will. Vor den Augen ihres Mannes lädt Cathérine Jim zu einer Autofahrt ein. Von einer Brücke stürzt der Wagen in die Seine, die beiden kommen um. Jules bleibt allein zurück.

Von vornherein, wie irdisch und realistisch auch immer, ist Cathérine einer anderen Dimension zugeordnet. Die Freunde, die durch Gespräche über Literatur zueinander fanden, kommen auch zu Cathérine auf dem Umweg über die Kunst. Zuerst sehen sie bei Albert, dem Musiker, Dia-Bilder einer faszinierenden Statue, deren „archaisches Lächeln“ sie verfolgt. Kurz darauf finden sie diese Statue auf einer Mittelmeerinsel, welche sie in der Begegnung mit Cathérine sofort wieder erkennen zu glauben. Für Jules und Jim, die zuvor in einer Auslese der schönsten Mädchen von Paris ihr gemeinsames Ideal der Frau gesucht haben, wird, ähnlich der Erzählung von „Pygmalion“, der Traum wahr. Cathérine tritt als lebendig gewordenes Kunstwerk in ihr Leben. Sie ist ihre Göttin, das Kraftfeld ihrer Freundschaft, das unerreichbare Objekt ihrer Deutungsversuche: „Sie ist kein Mensch, sondern eine Naturgewalt.“ Sie handelt impulsiv, launisch, irrational und gibt damit zugleich der Freundschaft der beiden Männer möglicherweise ihren tieferen Sinn. So ist denn auch Jeanne Moreau der Star im Zentrum: Sie ist es, der Jim und Jules verfallen, dem Mädchen voller Kapriolen und der Frau mit der unwiderstehlichen Macht über die Männer. Sie macht aus dem „film d’auteur“ einen „film de comédienne“. Filme drehen, so sagte einmal Truffaut, das ist: hübsche Frauen hübsche Dinge tun lassen.

Der Off-Kommentar spricht immer wieder in entscheidenden Situationen anstelle des Dialogs zu uns und verhindert so einerseits jede Neigung zu Pathos oder Dramatisierung, er stellt andererseits eine spielerische Distanz her, welche die Schatten des Todes aufzuhellen vermag. Dieser Wechsel von Dialog und Erzählform entspricht Truffauts Vorstellung vom filmischen Roman: „Ich bin überhaupt der Meinung, dass „Jules und Jim“ eher filmische Literatur als literarischer Film ist.“ Die Welt seiner Figuren wird häufig durch Geschriebenes, durch Literatur, vermittelt. Schließlich hat Truffaut hier auch einen Roman von Henri-Pierre Roché verfilmt, der in seinem Werk als 70-Jähriger eigene Erlebnisse aus seiner Zeit als junger Mann verarbeitete.

„Tourbillon de la vie“ heißt das Chanson, das Cathérine im Film singt und das wie in einer poetischen Formel das ständig sich wiederholende Einander-Finden-und-wieder-Trennen zusammenfasst. Vom Strudel des Lebens handelt es, und ein unwiderstehlicher Sog zieht die Figuren und ihre Zuschauer in diesen Kinotraum von Freundschaft und Liebe mit hinein. Die Kraft der Fiktion hebt uns in schwindelnde Höhen; mit ungeheurer Leichtigkeit und Beweglichkeit ist die Kamera dabei, wenn es gilt, die Lebensfreude der drei einzufangen – und ihr freien Lauf zu lassen: wenn sie in Paris herumalbern, wenn sie ihr Ferienhaus in Besitz nehmen, wenn sie sich am Strand vergnügen oder Fahrrad fahren.

Bilder vom Krieg, Dokumentaraufnahmen, zur eindrücklichen Farce umkopiert auf das Scope-Format, gehören zu einer Serie von Einschüben, die beginnen, den Film zu zersetzen: die Greuel und Verluste des Ersten Weltkriegs bis zu den Bücherverbrennungen in Deutschland, der Cathérine, Jules und Jim in einer Wochenschau zusehen, haben, neben ihren persönlichen Leiden, bei den dreien auch ihre Spuren hinterlassen. Der Film wechselt von anfangs scherzhaften und leichtlebigen in allmählich melancholischere, schmerzhafte Szenen über, bis er gegen Ende endgültig elegische Töne anschlägt. Dies wird jedoch, wie erwähnt, von einer distanzierenden Reflexion (des Kommentars) ummantelt und deshalb nimmt man auch den tragischen Schluss nicht als Tragödie wahr: Jules hat die geliebte Frau und den besten Freund verloren, aber er hat gelebt.

An der Oberfläche mag "Jules et Jim" ein kurzweilig-romantisches Märchen sein, mit jedem weiteren Sehen öffnet er sich aber als ein elliptisches Vexierspiel der Liebe, ein Film, der mit Stimmungen, mit (Kino-)Momenten der magischen Art, mit Zeitsprüngen und Brüchen arbeitet und in seiner zeitlosen Originalität und Frische in kein Genre, in keine Kategorie einzuordnen ist.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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