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Kagemusha (J 1980, A. Kurosawa)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 25.04.2007 12:39    Titel: Kagemusha (J 1980, A. Kurosawa) Antworten mit Zitat

gesehen am 09.04.2007 (DVD); 4/5

Japan im 16. Jahrhundert. Der mächtige Shingen Takeda (Tatsuya Nakadai), Herr über das größte Reiterheer des Landes, gilt als unverwundbar und unbesiegbar. Mit Geschick und kluger Taktik trotzt er den Angriffen seiner verbündeten Nachbarfürsten. Doch im Jahr 1573 geschieht das Undenkbare. Der Feldherr wird das erste Opfer einer bisher in Japan unbekannten Waffe: Die Gewehrkugel eines Scharfschützen trifft ihn tödlich. Der tragische Vorfall gefährdet die politischen Pläne des Takeda-Clans, der daraufhin zu einer List greift: Ein kleiner elender Dieb (ebenfalls gespielt von Nakadai), der dem toten Fürsten verblüffend ähnlich sieht, wird aus dem Gefängnis geholt und soll für drei Jahre als Kagemusha - als "Schatten des Kriegers" - Freund und Feind über den Tod des Familienoberhaupts hinwegtäuschen. Ein riskanter Plan, denn der Doppelgänger spielt seine Rolle besser als erwartet.

Nach einer künstlerischen und persönlichen Krise war Akira Kurosawa mehrere Jahre lang nicht in der Lage, in Japan einen neuen Film zu drehen, bis ihm Francis Coppola und George Lucas die Finanzierung von "Kagemusha" ermöglichten. Die Krise zuvor hat den Film sehr geprägt. Die Weltsicht des Filmemachers Kurosawa, welche schon immer durch Pessimismus geprägt war, sollte sich beginnend mit "Kagemusha" noch ein wenig mehr verdunkeln; man gewinnt sogar den Eindruck, dass Kurosawa aufgrund seiner Rückschläge in der Filmindustrie der Gegenwart trotzte und deshalb auch seinen Filmstil veränderte. "Kagemusha" war als ein solcher "Rückzug" Kurosawas vom zeitgenössischen Kino eine erneute Hinwendung zum historischen Epos und überraschenderweise bis heute sein erfolgreichster Film. Er spielte 10 Millionen Dollar ein, war für zwei Oscars nominiert und gewann die Goldene Palme in Cannes. Der Publikumserfolg ist erstaunlich, da Thema und Gestaltung vom Zuschauer eine Aufmerksamkeit, eine Fähigkeit des Sich-Einsehens in die Bilder verlangen, die das Kino eines Spielberg oder Lucas damals gerade auflöste. In langen Einstellungen mit oft unbeweglicher Kamera erzählt Kurosawa seine Geschichte vom Niedergang einer Fürstenfamilie und vom Untergang einer Kriegerkaste und -kultur im alten Japan als elegischen Abschied von Glanz und Würde der Samurai, die, auch wenn sie Gegner sind, einander respektieren. "Ich bedaure es, dass es die Samurai aus dieser Epoche nicht mehr gibt (...). Manchmal wünsche ich mir für das Japan von heute, dass sie wieder auftauchen würden, Leute wie sie, die eine Kultur prägen können. Zur Zeit von "Kagemusha" gab es ein ästhetisches Gefühl. (...) Ich liebe das 16. Jahrhundert (...) Das 16. Jahrhundert in Japan war eine Epoche Shakespearscher Emotionen", Kurosawa 1980 in einem Interview. Was in diesen Worten als Verklärung einer Epoche stilvoller Kriege erscheint, würde jedoch missverstanden, nähme man sie - und den Film - im strengen Sinne als Heraufbeschwörung der Weltfülle von einst in einer entsetzlich öden Gegenwart. Auch in "Kagemusha", wie in "Sieben Samurai", geht die Welt der Krieger an ihren eigenen Widersprüchen zu Grunde, unwiederbringlich.

Im Zentrum des Films steht die Idee der Macht und die der körperlichen Repräsentation der Macht. In der ersten, mehr als sechs Minuten langen starren Einstellung des Films sind Macht und Ohnmacht dargestellt. Dem in der Mitte des Raumes sitzenden Fürsten Takeda sind links sein Bruder Nobukado zugeordnet, der bisher als sein Doppelgänger zu fungieren hatte, rechts der Dieb, der zum neuen Schatten auserkoren ist. Die strenge Symmetrie der Bildkomposition wird noch verstärkt durch die große Ähnlichkeit der drei Männer. Macht setzt Allgegenwärtigkeit voraus, um mythische und damit unwiderlegbare Macht zu sein - zu diesem Zweck bedarf es "Schatten" der Körper des Mächtigen. Mit dem Dieb als "Schattenfürst" zieht ein Ausgestoßener, ein Niemand der unteren Klasse in die streng ritualisierte aristokratische Gesellschaft ein: ein Mensch, der rüde spricht und laut lacht, der Emotionen und auch Wärme zeigt. Dadurch gewinnt der Doppelgänger auch die Zuneigung des Enkels des toten Fürsten - das Kind hat keine Angst vor ihm. In dem Augenblick in dem der Kagemusha wirklich ein Mensch ist, wenn auch einer, der spielt, ein Fürst zu sein, ist rituell ausgeübte, mythische Macht plötzlich ganz von dieser Welt. Behauptet das Haus Takeda seine Herrschaft, indem es seine Würde im Kampf um Gebietsansprüche bewahrt, so hat der Dieb, der jetzt den Herren mimt, seine personale Würde auf engstem häuslichem Raum zu wahren. Er muss einer werden, der er nicht ist, nicht sein kann und nicht sein will. Lässt Kurosawa einmal den Kagemusha aus dem Bild gehen und die Kamera nur noch seinem Schatten an der Wand folgen, wird die Herrschaft zur Illusion, zur Schattenwelt. Macht ist in "Kagemusha" ein Spiel der Täuschungen, des Augentrugs. Kurosawa verstärkt dies geschichtsphilosophisch und psychologisch. Stirbt der Fürst, so ist die Welt ohne Zentrum und diese Leere der Geschichte muss verschattet werden. Die drei Spione, die im Auftrag der Gegner des Takeda-Hauses herausfinden sollen, ob Shingen noch lebt, werden beständig getäuscht. Der ganze Film ist ein Spiel der Einsicht als Blendung der Einsicht; dieser Aspekt wird vor allem durch die stets einsehbare, bühnenhaft-theatralische Inszenierung, die alle Figuren als Elemente eben dieses Spiels ausweist, verstärkt. „Kagemusha“ ist eine Götterdämmerung, ein Endspiel der Geschichte von Shakespeareschen Dimensionen, in dem alle Individuen untergehen. Es gibt keine Überlebenden, da alle nur noch ein Schattendasein führen. Wer als Schatten in den Kreis der Macht tritt, wird als Person ausgelöscht, da all sein Handeln chimärenhaft ist. In der Figur Katsuyoris, des Fürstensohnes, stürzt jeder Versuch, sich aus dem Schatten des Vaters und dem des Kagemusha zu befreien, ins Chaos.

Die ästhetische Dimension, die Kurosawa am 16. Jahrhundert Japans schätzt, ist die alles Historische und Personale überformende. Sie ist eine Ästhetik, die als Pathos der Distanz zu beschreiben wäre. Kurosawa bevorzugt die Totale und Halbtotale. Die Kamera bewegt sich nicht mehr so schnell wie in früheren Filmen. Sie führt nicht mehr ins Geschehen hinein, sondern zeigt, was geschieht aus einer Perspektive, die auch in den Schlachtszenen die Perspektive des Feldherrnhügels ist: der Blickpunkt einer Macht, die fokussiert ist auf Bewegungen, nicht auf die, die sich bewegen. Eine der letzten Einstellungen des Films zeigt diesen Feldherrnhügel, leer. Die Macht und ihr Blick sind vergangen: damit alle Spiele des Augen-Truges. Kurosawa inszeniert die ästhetischen Valeurs der japanischen Kriegergesellschaft und dementiert sie zugleich. Die Form hebt sich selbst auf, denn der letzte Blick einer Figur auf die Schlacht ist der des Diebes: Seine Augen sind vor Angst und Entsetzen weit aufgerissen. In diesem Wechselspiel von dem allem Geschehen enthobenen Blick und dem Blick des mitleidenden Beobachters durchdringen sich Ästhetik und Ethik der Filmkunst Kurosawas.

Ein Widerspruch: „Kagemusha“ schwelgt nicht in Schatten, sondern in leuchtenden Farben. Rot, grün, blau und weiß sind dominant in den Massenszenen, in denen Kurosawa stets hunderte Statisten bewegt. Schlachtengetümmel spart die Inszenierung dabei aus. Der Kampf um die Festung Takatenjin findet nachts statt, vor einem zunächst blutroten, dann pechschwarzen Himmel. Die Sequenz ist präzise komponiert als Nocturno der Gewalt, das sich allein aus Bewegungen von Reitern, Schüssen und Schreien akustisch wie visuelle zusammensetzt. Die Musik schafft dabei Akzente durch wuchtige, aber langsam ausgeführte Trommelschläge, die dem Rhythmus der Montage entsprechen. Alles wirkt verlangsamt – traumhaft. In dieser und der finalen Schlacht von Nagashino, in welcher das Haus der Takeda untergeht, bedient sich Kurosawa der Slow-motion in den Einstellungen auf Nobukado, der seine Männer fallen sieht, während sich um ihn seine Schildwache gruppiert, und in den letzten Einstellungen auf das Schlachtfeld, das der Dieb, der ehemalige Kagemusha des Fürsten, überblickt. Diese Szenen zeigen nicht die Gewalt der historischen Kämpfe und Kriege, sondern deren Konsequenzen: blutüberströmte Männer, die sich über Leichen schleppen, Pferde, die sich im Todeskampf aufbäumen und dann niedersinken. In die Farbe der Nacht der Schlachten mischt Kurosawa ein unwirkliches Grün: wie ein Gift, das langsam wirkt.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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