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Le notte di Cabiria (I 1957, F. Fellini)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 04.09.2006 10:46    Titel: Le notte di Cabiria (I 1957, F. Fellini) Antworten mit Zitat

gesehen am 31.08. und 03.09.2006 (DVD); 4/5

Einer fröhlichen Hure Cabiria begegnet man bereits in Fellinis Debütfilm „Lo sceicco bianco“ (1952). Sie trifft dort nachts auf einem kleinen Platz mit Brunnen im Hintergrund den Helden Ivan und überlässt ihn einer Kollegin, während sie spielerisch-kindlich mit einem Feuerschlucker in einer Nebenstraße verschwindet. Hier taucht sie nun wieder auf und zwar als Protagonistin Maria Ceccarelli (beide Male dargestellt von Giulietta Masina). Wieder erzählt Fellini von einer Person, die sich selbst nicht helfen kann, die in ihrem Leben einen tiefen Einschnitt, eine Wendung erwartet, doch die Rettung bleibt aus – und so lebt sie denn weiter, da sie zu vital ist, um vorzeitig vom Karussell abzuspringen. Fellini ergänzt das Spektrum der Außenseiter, der sozial Verachteten, der Underdogs, die ihn seit „La Strada“ nachdrücklich beschäftigten, durch eine junge Frau, die auf der Passeggiata Archeologica, an der römischen Stadtmauer entlang zwischen Caracalla-Thermen und Via Appia Antica, auf den Strich geht. Cabiria ist eine Name mit Vergangenheit: In einem der ersten Monumentalfilme der frühen italienischen Filmgeschichte spielt Cabiria die Hauptrolle: eine unschuldig Verfolgte, die im Krieg zwischen Rom und Karthago um ihr Leben kämpfen muss („Cabiria“, 1914, von Giovanni Pastrone). Eine äußere Ähnlichkeit zwischen dem Schicksal, das die römische Patrizierstochter Cabira erduldet, die als Sklavin verkauft wird und alle möglichen Verfolgungen ertragen muss, und der Leidensgeschichte der Cabiria hier besteht durchaus: Zwar ist sie als Prostituierte nach dem bürgerlichen Sittenverständnis nicht gerade unschuldig – doch zumindest ist sie unter höherem moralischen Aspekt kein schlimmes Mädchen, kein bad girl, und doch wird ihr, der Schuldlosen, übel, geradezu mörderisch zugesetzt.

Der Film beginnt mit Bildern, die offensichtlich ein falsches Idyll beschreiben. An der Tiberschleife sieht man ein fröhliches Paar, die einander necken, aufeinander zulaufen, Cabiria und ein Verehrer. Am Uferrand nimmt der Mann plötzlich die Tasche von Cabiria und stößt das Mädchen ins Wasser. Sie, die offenbar nicht schwimmen kann, kämpft verzweifelt um ihr Leben. Erwachsene, die das sehen, bleiben unschlüssig, Halbwüchsige springen in den Fluss, um ihr zu Hilfe zu kommen. Halbnackte Männer heben sie an den Füßen hoch, damit das Wasser ihr aus Mund und Nase läuft, wie einer nassen Katze. So wehrt sie sich auch, sobald sie halbwegs bei Sinnen ist, ruft nach Giorgio (das ist der Mann, der sie in den Tiber gestoßen hat), sucht einen zweiten Schuh und läuft schimpfend davon: ein äußerst ungewöhnliche Reaktion darauf, dass man sie gerade aus Todesgefahr errettet und wieder, wenngleich auf recht ruppige Art und Weise, ins Leben zurückgebracht hat. Ein Junge erkennt sie: Cabiria ist eine Prostituierte. Später trifft Cabiria den Schauspieler Alberto (Amadeo Nazzari), der sie nach einem Streit mit seiner Freundin halb amüsiert und halb gerührt in seinen Wagen packt und mit nach Hause nimmt. Aber während Cabiria im siebten Himmel schwebt, kommt die Freundin zurück, und Cabiria muss verschwinden. In einem Vorstadt-Varieté lernt sie schließlich Oscar (Francois Perrier) kennen, von dem sie fest überzeugt ist, dass er der Mann fürs Leben sein wird - ein kleiner Buchhalter, der sie heiraten will. Frohen Herzens verkauft sie ihren ganzen Besitz und verreist mit ihm. Doch auch er hat sie belogen, hat es nur auf ihr Geld abgesehen. Als sie das erkennt, wirft sie ihm schreiend vor Enttäuschung und Angst ihre Tasche vor die Füße. Cabiria kehrt nach Rom zurück. Als sie auf der nächtlichen Straße einer fröhlichen Gesellschaft begegnet, schließt sie sich dieser schüchtern an.

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass der Film eine Parabel darstellt über die Widerstandsfähigkeit kleiner Leute, die gesellschaftlicher Verachtung ausgesetzt sind. Auch eine Parabel über unzerstörbare Hoffnung – wobei sich diese Hoffnung bei Cabiria hinter extremem Misstrauen verbirgt. Allerdings, wie man zu Beginn und am Schluss des Films feststellen muss, setzt dieses Misstrauen dann zu früh aus, jedenfalls im Verhältnis zu Männern, von denen sie glaubt, sie seien ihre Liebhaber und ihr unbedingt zugewandt. Ähnlich wie in „Il Bidone“ geht es um Betrug an Menschen, die bei der Chancenverteilung ohnehin schon betrogen sind. Nur hat sich die Perspektive verändert. In „Il Bidone“ wurde aus der Sicht der schäbigen Betrüger erzählt, in „La notte di Cabiria“ aus der Sicht derer, die betrogen werden. Es verwundert nicht, dass die Schwindler sich in diesem Film an den Pranger gestellt sehen: Giorgio, der flotte Freund, den man aber nicht weiter kennenlernt, Oscar, der scheinbar so zuverlässige Mann, der sich be Cabiria einschmeichelt, obwohl er doch nur ihr Geld im Sinn hat. Cabiria trägt ihre Sexualität nicht offen zu Markte, sie ist eher kratzbürstig, temperamentvoll, ausgelassen im Tanzen, blitzschnell im Wortgefecht mit ihresgleichen, auch, so klein sie sein mag, zu tätlichen Auseinandersetzungen bereit. Ihre hochgezogenen Augenbrauen, die manchmal stark herabsinkenden Mundwinkel verraten eine ausgeprägte Gesichtsspannung – nicht selten gleicht Giulietta Masina in dieser Rolle einem zornigen Samurai. Dieser Zorn, vermutlich aus dem falschen Leben erwachsen, das sie führt, lässt sie rotzig, trotzig und nicht selten auch vulgär erscheinen. Komisch und doch zur Empathie einladend ist ihre Unbeholfenheit im fremden Milieu, im Nachtclub, wo sie kaum den Eingang zwischen den herabhängenden Vorhängen findet, im Haus des Stars, in dem sie sich fast wie in einem Labyrinth zu verirren droht. Sie hat gelernt, auf sich aufzupassen wie auf ihren Schirm, den sie abputzt und nirgendwo vergisst, wo immer sie ihn ablegt. Und doch hilft all diese Panzerung nicht gegen die Verlockung der großen Liebe.

Der Film führt beinahe in Serie vor, wie sie enttäuscht wird: von Giorgio, der sie in den Fluss stößt, vom Star, der erstaunlich solidarisch zu seinem Gast steht, sich aber dann doch von der zurückgekehrten Geliebten ablenken lässt und Cabiria mit Geld abfindet, von der Wallfahrt, die ihr nicht den inneren Wandel verschafft, den sie sich vielleicht erhofft hat, vom Hypnotiseur, der sie auf die Bühne lockt, um dann die Demonstration ihrer treuherzigen Gefühle vom Gelächter eines hartherzigen Publikums feil zu bieten – nicht zuletzt von Oscar, von dem sie dachte, dass sie an seiner Seite ein anderes Leben beginnen könne. Anders als die zart empfindliche und naive Gelsomina in „La Strada“ kämpft und tobt und schreit Cabiria. Nutzt es ihr? Sie kann nicht verhindern, dass ihr unablässig Unrecht zugefügt wird, dass sie den Kürzeren zieht. Doch selten genug will sie sich ihre Existenzangst eingestehen – einmal, bei der Übergabe ihres Häuschens an die fremde Familie, kommt diese Angst zum Vorschein. Mit dem Häuschen verliert sie ihre Heimat, auch die Nachbarschaft zur Freundin Wanda, ihren Ort im Leben. Die zusammengerollte Geldrolle, die sie bisweilen stolz herzeigt, ist nur ein schäbiger Gegenwert für die Dinge und das Zuhause, die sie verliert. Und doch, die Verführungskraft des Lebens ist stark: ein paar tanzende und singende Jugendliche, eine einschmeichelnde und rhythmische Musik reichen aus, um sie unter Tränen lächeln zu lassen – und gelächelt hat sie in dem Film zuvor nur selten. Sie hat alles verloren, ist kurz zuvor im Abendlicht von einem Mann beraubt worden, auf den sie all ihr Vertrauen gesetzt hat. Woher nimmt sie den Mut, sogar uns, durch die Kamera hindurch, anzulächeln? Sie wird, dessen dürfen wir sicher sein, weiter machen, irgendwo, irgendwie – trotz allem. Dieser alle Einwände matte setzende Vitalismus, der wie ein „we will overcome“ predigt, wie groß auch und schmerzhaft die Niederlagen gewesen sein mögen, verleiht dem Schluss etwas von einem frohlockenden Trostgesang. Cabiria erlebt eine Art Wiedergeburt – die wievielte? –, und sie kann vielleicht gar nicht ermessen, welches Geschenk, welche Gnadengabe ihr damit gewährt wurde. Ohne religiöse Kategorien ins Feld zu führen, gelingt Fellini am Ende eine geradezu bezwingende quasi-religiöse Erhebung.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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