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Collateral (USA 2004, M. Mann)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 28.10.2006 17:00    Titel: Collateral (USA 2004, M. Mann) Antworten mit Zitat

gesehen am 13.10.2006 und 03.04.2009 (DVD); 3/5

In das Auto eines Taxifahrers in Los Angeles steigt ein Auftragskiller, der innerhalb einer Nacht fünf Menschen töten muss und einen ortskundigen Fahrer braucht. Weil er "Gefallen" an seinem unfreiwilligen Chauffeur findet, nimmt er ihn als Geisel.

Michael Mann scheint sich in seinen Filmen selten für Plots zu interessieren, vielmehr nehmen atmosphärisch-sensuelle Schilderungen der Kino-Bewegung großen Raum ein, vermitteln gleichzeitig, glaubwürdig und eindringlich, Eindrücke einer global gewordenen, urbanen Modernität, wobei sich Mann zumeist auf männliche Charaktere und deren Konflikte konzentriert. "Collateral" funktioniert als Film, auch als Geschichte und Unterhaltungsware exzellent. Man wird hier nicht die epische Tragweite von "Heat" wiederfinden, dafür ist die Handlung in weiten Teilen zu rasant, der Erzählrhythmus zu fokussiert und auf die klaustrophobische Spannung beschränkt, dennoch bietet "Collateral" großartige Charaktere und intelligente Dialoge, die man in diesem Genre leider viel zu selten findet. Der Film wirkt wie eine vage Improvisation des Regisseurs, ein Spiel mit bekannten und unbekannten Stilmitteln, technisch und stilistisch brillant inszeniert.

Michael Mann entwirft die nächtliche Todesfahrt durch Los Angeles als naturalistisches Erlebnis der seltsam vitalen Beziehung zwischen Max und Vincent, die trotz ihrer offenkundigen charakterlichen Unterschiede im Laufe der Zeit ein geradezu vertrautes Verhältnis entwickeln, das sich im Gegensatz zu früheren Werken Manns auch durch eine süffisante Prise Situationskomik und Zynismus auszeichnet. Nach De Niro/Pacino aus "Heat" oder Crowe/Pacino aus "The Insider" (beide s. Filmtagebuch) schickt Mann eben auch ein männliches Duo ins Rennen, das sich im Verlauf dieser Handlung durch ein faszinierend sphärisches und nahezu ausgestorbenes Nachtleben von Los Angeles laviert. Voll und ganz konzentriert sich "Collateral" auf den psychologischen Nervenkitzel der Hauptfiguren und initiiert nur marginal – dann aber ebenso erfolgreich – den Versuch, aus dem grandiosen Taxi-Thriller auch einen bildgewaltigen Actionfilm zu machen. Cruise und Foxx bilden innerhalb dieses eingeengten Universums großstädtischer Verlorenheit und tödlicher Präzision ein beeindruckendes Gespann, in dem nicht nur der vordergründig gegen jedes Rollenprofil besetzte Cruise, sondern auch ein ungeahnt zurückhaltender Jamie Foxx brilliert, dessen Schauspiel sich in "Collateral" über Details definiert.

Dritte Hauptfigur und nicht unwesentlicher Bestandteil der phänomenalen Optik des Films ist die Stadt Los Angeles selbst oder vielmehr die Art, mit der Michael Mann ihren Charakter einfängt. Der Gebrauch von digitaler Videotechnik macht sich auf das primäre Erfassen des Stadtbildes ebenso bemerkbar wie die ständig wechselnden Schauplätze, die sich nicht auf gläserne Hochhäuser, asphaltierte Highways oder bebende Nachtclubs beschränken. Mann ergründet die Stadt in ihrer Vielfältigkeit, verwendet verlassenes Industriegelände, Raffinerien, die sich soweit vom Zentrum entfernen, dass die trostlose Wüste nicht mehr weit sein kann und selbst herumirrende Kojoten zum nächtlichen Stadtbild gehören. Eine Stadt mit Misstönen, eine Komposition in Moll, nicht zu vergleichen mit Martin Scorseses expressiver Darstellung eines Höllenvorhofs in New York, zu sehen in "Mean Streets" und "Taxi Driver", doch auf eine eigene Art bizarr, unterkühlt und vor allem anonym.

Viel hat der Film mit Musik zu tun, „Jazz“ erscheint an dieser Stelle das richtige Stichwort zu sein, nicht nur weil auf Vincents Todesliste auch der eloquente Barbesitzer und Musiker Daniel (wunderbare Nebenrolle: Barry Shabaka Henley) steht, dessen Begegnung mit seinem Mörder zu einer faszinierenden Konversation und einer erschreckend guten Demonstration von Professionalismus wird, sondern auch weil der Film auf eine kongeniale musikalische Untermalung setzt, welche Max und Vincent auf ihrem Trip durch Los Angeles begleitet. Eine wundersame Verschmelzung verschiedener Musikrichtungen, über Klassik, Jazz bis hin zu elektronischem Pop, deren scheinbare Improvisation nicht über die Perfektion hinwegtäuschen kann, mit der Michael Mann sie verwendet und von der "Collateral" lebt.

Wie improvisiert wirkt auch die schleichende Metamorphose der ungleichen Antagonisten. Während Max die biedere Hülle des selbstgefälligen Illusionisten schrittweise abnehmen muss, um letztendlich sein eigenes und das Leben anderer zu retten, der unscheinbare Taxifahrer somit zur Heldenfigur avanciert, entblößt der sarkastische Menschenfeind und Existenzialist Vincent ungeahnte charakterliche Leere, die sich für den professionellen Auftragsmörder als moralisches Schutzschild erweist. Wahlweise sinniert er über philosophische Sachverhalte, deren Innerstes einerseits die Suche nach männlicher Identität repräsentiert, andererseits offensichtlich gesellschaftskritisch hinter das professionalisierte Töten und die isolierende Anonymität der Großstadt blickt. Vincent ist mehr als eine programmierte Maschine, intelligent, auf seine Art tiefsinnig und gerissen, doch letzten Endes verweigert er sich einer Entwicklung zum Guten hin, verhält sich bis zum Ende professionell und folgt den Regeln des Spiels - vielleicht hat er sich auch schon aufgegeben. Das bleibt eine große Stärke in Manns Filmen: durch Aussparungen, durch Weglassen bestimmter Erklärungen, bleiben seine Figuren rätselhaft, ambivalent.



Zweite Rezension von Rüdiger Suchsland (Film-Dienst)

Einmal, während das Auto, in dem über die Hälfte des Films spielt, durch die Stadt gleitet, wird das Gespräch der beiden Hauptfiguren unterbrochen. Stille kehrt ein, der Wagen muss bremsen. Man sieht nur Palmen, die im blauen Licht der urbanen Nacht fast surreal anmuten. Für einen Augenblick ist es ganz still. In diese Stille hinein kreuzen einige Koyoten die Fahrbahn; ihre Augen glühen im Scheinwerferlicht; im nächsten Augenblick sind sie wieder verschwunden. Eine märchenhafte Szene. Keine der beiden Protagonisten verliert ein Wort über die Tiere, der Film geht weiter auf seiner Fahrt durch die Nacht, bis zum Morgen. Ein Augenblick des Innenhaltens, der viel verrät über das Kino von Michael Mann.

Max ist Taxifahrer in Los Angeles. Die Kamera zeigt die ersten Stunden seines Arbeitstages, eine Fahrt zur Tankstelle, unterschiedliche Fahrgäste und ihre jeweiligen Launen, es läuft verschiedene Musik. Man merkt, dass der Schwarze ein guter, genauer Beobachter ist, dessen Blicke aufmerksam die Gäste im Rückspiegel mustern; offensichtlich ist er intelligent und ein wenig unterfordert in seinem Job. Max scheint dies selbst zu spüren. Voller Sehnsucht betrachtet er gelegentlich eine Ferienpostkarte, träumt sich weg aus seinem Alltag. Dann steigt am Flughafen eine junge Frau im Businessanzug ein: Annie. Alles, was sie ausstrahlt, ist „toughe“ Professionalität. An Max’ Blick kann man sehen, dass sie ihm gefällt, und bald beginnen beide ein Gespräch, das zunächst spielerisch, dann immer ernster über Smalltalk hinaus geht und Klassen- und Bildungsschranken für einen Moment aufhebt. Währenddessen fährt das Taxi in die Stadt, bis zu Annies Ziel im Zentrum. Im Off läuft klassische Klaviermusik. Michael Mann nimmt sich für diese Szene alle Zeit der Welt. Das hat praktischen Nutzen, weil er nicht nur zwei Figuren etabliert, sondern auch jenseits des Gesprochenen wichtige Informationen vermittelt. Nie wird einem die Fahrt zu lang, zeigt sie doch, worum es in Manns Kino immer wieder geht: um Zauber und Schönheit. Der Dialog ist witzig, klug, jede Nuance stimmt. Ebenso stimmig sind Darstellerleistung, Musik, Kamera und Schnitt, deren Zusammenspiel die Situation offen hält, Einsamkeit ebenso spürbar macht wie Wärme, Tragik, Charme und Tristesse zur selben Zeit – ein magischer Kinoaugenblick.

Seit „Heat“ ist Mann einer der wichtigsten Gegenwartsregisseure, der in seinen Filmen, die sich durch einen ebenso klaren wie sehr individuellen Stil auszeichnen, immer auch eine persönliche Vision spüren lässt. „Collateral“ endet dort, wo „Heat“ begann, an einer S-Bahn-Station in Los Angeles, und er beginnt dort, wo „Heat“ aufhörte: am Airport der Metropole. Dort sieht man eine Taschenübergabe, nur der Empfänger ist zu erkennen. „Enjoy L.A.!“, wird ihm mit auf den Weg gegeben. Aufgenommen ist dies mit einer niedrig positionierten Kamera aus enger, vieles unsichtbar lassenden Perspektive, die jene klaustrophobische Stimmung vorwegnimmt, die nachher, aller Raumeroberung zum Trotz, dominiert. Unmittelbar nachdem Annie ausgestiegen ist, steigt der Mann zu Max ins Taxi. Schnell erfährt man, dass er Vincent heißt und ein Auftragskiller ist, der in dieser Nacht fünf Menschen töten will. Max braucht er als ortskundigen Fahrer, und weil er überdies eine Art „Gefallen“ an ihm gefunden hat, nimmt er ihn als Geisel – zwei ungleiche Männer, miteinander in Zwangsabhängigkeit verbunden. Der eine will etwas, der andere verweigert sich, auch aus Überlebenstrieb. Diese Situation prägte schon „The Insider“ und „Heat“; auch hier verknüpft sie einen spannenden Thriller-Plot mit existenziellen Fragen nach dem Sinn des Daseins, der Möglichkeit eines intensiveren Lebens jenseits der normalen Angestelltenexistenz, dem Wert von Liebe und Familie im Verhältnis zu beruflichem Erfolg, dem Verhältnis von Arbeit und Talent, dem Ort der Integrität und den Gefahren der Routine.

Es ist in diesem Fall der Repräsentant des Verbrechens und des Unnormalen, der zum Vertreter der Professionalität wird. Vincent ist ein Handwerker der New Economy, ausgestattet mit Anzug, ledernem Aktenkoffer, Notebook und anderen technischen Gadgets. Tom Cruise gelingt ein präziser, sehr körperlicher Auftritt als innerlich totes Individuum, eine Brad-Easton-Ellis-Figur, die im Wesentlichen durch äußere Form und Arbeit zusammengehalten wird. Noch das Angestrengte und Primanerhafte an Cruises Spiel, das dem Grundton des Films zuwiderläuft, macht sich dieser zunutze. Mit grau meliertem Haar und Stoppelbart, zudem in einem Anzug in hellem Grau, verfügt Vincent über eine „metallene“ Gesamterscheinung – ein charismatischer Todesengel, der die Hitze und Wut verdrängter Traumata, vor allem aber Kälte und Ernst ausstrahlt, eine strenge, asketische Arbeitsethik, angesichts derer Max als der spielerische, lässige und darum humanere Charakter erscheint. Jenseits aller Unterschiede entpuppen sich beide als einander ähnlicher, als sie wahrhaben wollen. Sie sind Könner, die das, was sie tun, gerne machen und gut ins Werk setzen wollen, Perfektionisten und auf ihre Art Rechthaber. Der Unterschied ist, dass Vincent weiß, was er will und wie er es bekommt, während Max dies in dieser Nacht erst lernen muss. So lässt sich „Collateral“ aus Max’ Sicht auch als psychoanalytische Reise verstehen, bei der ein böser Geist einen über sich selbst aufklärt und die eigenen Kräfte und Fähigkeiten bewusst werden lässt, indem er Max erst einmal zu Boden ringt – eine erzwungene Katharsis. Inszeniert wird diese Konfrontation in diszipliniertem, zugleich leidenschaftlichem Stil, der immer wieder überrascht. Die Bilder sind präzis und lyrisch, deuten an und zeigen oft mehr, als man sieht. Mitunter spiegelt sich in ihnen etwas, was erst noch Bedeutung gewinnt. Am wichtigsten ist das Licht, das Spiel mit Ampeln und der Straßenbeleuchtung, das zu einer zweiten symbolischen Ebene wird, mal Möglichkeiten assoziiert, dann wieder wie die Beleuchtung eines Fests oder sakraler Räume erscheint. So entsteht eine hochgradig poetische Atmosphäre, die über das Unterbewusstsein auf den Betrachter wirkt und seine Haltung beeinflusst. Manns Kino ist ein Kino der Bewegung, des Arbeitens mit Räumen, die er dynamisiert, durchdringt und aufeinander bezieht. Die Kamera ist musikalisch, rhythmisch, flanierend, mitunter unterstützt von Zeitlupen. Oft fallen die einzelnen Aufnahmen zu einem einzigen Bild zusammen, bilden einen Strom, der mitreißt. Unverkennbar sind die Anklänge an den amerikanischen und französischen Film Noir, an dessen Schattenspiele sowie an die Form, in der die Kamera Tempi wechselt, Ausflüge auf Nebenschauplätze unternimmt und dann wieder elliptisch zum visuellen Leitmotiv zurückkehrt. Hier wird mehr kreisend als linear erzählt. Auch die Figuren glaubt man mit diesen Filmen verwandt: ihre Melancholie, die unterkühlt amoralische, illusionslose Grundhaltung.

Hinzu kommt die Faszination für die Stadt Los Angeles, das vor allem als „City of Lights“ erscheint. Trotzdem bleibt der Eindruck ganz gegenwärtig: Selbst in den Gesprächen der Figuren – der Spanier Javier Bardem hat einen Glanzauftritt in der Nebenrolle eines Latino-Gangsters – dominiert ein angespannter, nervöser Unterton, fast latente Hysterie. Im letzten Drittel bricht diese dann aus und übernimmt den Film, als es zur blutigen Schießerei in einer Disco kommt, die, grandios choreografiert, ähnlich überzogen wirkt wie die Flucht nach dem Banküberfall in „Heat“. Mann legt es nicht darauf an, dem Zuschauer Orientierungshilfen zu geben, er will Chaos pur. Später gibt es ein weiteres artifizielles Bild, als Mörder, Opfer und Retter „Hitchcocklike“ in einen Raum gesperrt sind, der durch gläserne Wände einerseits unterteilt, andererseits überschaubar gemacht wird – Spielereien eines Kinoästheten, die zwar an der Substanz der Geschichte nicht rühren, ihr aber in all ihrer Schönheit und Perfektion den letzten Schliff und jenen Mehrwert geben, durch den ein sehr guter Film zum Meisterwerk wird.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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