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The deer hunter (USA 1978, M. Cimino)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 30.10.2006 13:03    Titel: The deer hunter (USA 1978, M. Cimino) Antworten mit Zitat

gesehen am 30.10.06 (DVD) und 02.10.2010 (BD); 4/5

Ein radikales Werk ist dieser Kriegsfilm, in der Perspektive subjektiv, in der Darstellung direkt und schonungslos. Es wird nicht reflektiert, was ein Krieg ist oder welche Bedeutung er in und für Vietnam hat; es wird gezeigt, hart und grausam, was er in ein paar Amerikanern anrichtet, die anfangs noch meinen, fern der Heimat die Ideale ihrer Zivilisation verteidigen zu müssen. Im Mittelpunkt: ein paar Freunde, 1968, die in derselben Stahlfabrik arbeiten, zusammen zur Jagd gehen und gerne ein paar Drinks nehmen; drei von ihnen stehen kurz vor der Abreise nach Vietnam, einer von ihnen, Steve (John Savage), heiratet noch zuvor. Ein Blick auf die Arbeitswelt, ein übermütiges Fest (das dem in Renoirs „La régle du jeu“ oder dem in Coppolas „The Godfather“ in nichts nachsteht), Szenen einer obsessiven Jagd – und danach Vietnam: Leben und Leiden in einem schmutzigen Krieg. Erzählt wird das alles radikal aus der Sicht der young americans. Das heißt: Michael Cimino diskutiert kein Für und Wider, er zeigt, wie für die drei Männer eines zum anderen kommt und plötzlich fremd ist, was zuvor so selbstverständlich war. Die Gefühle auf dem Fest und die Leidenschaft bei der Jagd sind so – wie später Wut und Leiden über die Ereignisse in Vietnam – subjektiv verstärkt. Es geht nicht um einen ausgewogenen Blick, nicht um die nüchterne, sachliche Kommentierung des historischen Geschehens, sondern um die Erfahrung des Einzelnen, seine persönliche Schwäche oder Stärke, sein Versagen im Moment oder seine Kraft, sich durchzusetzen.

Anfangs dominiert das Alltägliche: fünf Stahlarbeiter und ihr dicklicher Freund mit der kleinen, schäbigen Bar. Das Ende der Arbeitsschicht, der Kneipengang danach, die lausigen Scherze, die Vorbereitungen für die Hochzeit und die Jagd. Die vielen Rolling Rocks und der Whiskey auf dem Fest, bis einer von ihnen, Michael Vronsky (Robert De Niro), schwankend vor Linda (Meryl Streep) steht, der Frau seines besten Freundes Nick (Christopher Walken), die er selbst begehrt – und dabei so steif wird, als befürchte er, zu viel von seinem Innersten zu verraten, das drängt und tobt und doch nie und nimmer sein darf. Bekannte Geschehnisse, gemischte Gefühle. Dass dieser Mann anders ist als die anderen, enthüllen erst die Szenen vor und während der Jagd. Die ist für ihn fanatische Passion und rituelles Erlebnis gleichermaßen, welches die Bilder von Vilmos Zsigmond, unterlegt mit einem russischen Choral, im kompositorischen Wechsel von extremen Totalen, Raum erfassenden Halbnahen und akzentuierenden Großaufnahmen feiern. Wie er läuft, zögert, trabt, rennt, hüpft, springt, immer den Hirsch im Auge, wie er mehrmals ansetzt zum Schuss, aber nicht abdrückt, weil der Erfolg nicht sicher ist. Er zelebriert die Konfrontation mit der natürlichen Kraft des Tieres, er sucht nicht nur die Genugtuung, sondern auch die Bestätigung. Immer höher geht es hinauf in die Berge, immer unwegsamer wird das Gelände – bis dann die Situation vollkommen klar ist, die eine Sekunde, der eine Schuss. Dabei erfasst die Kamera ihn mit einer untersichtigen Halbtotale, in der er mit dem Oberkörper in den Himmel hineinragt, als würde er in diesem Augenblick mit seiner Waffe das ganze Universum erobern. Dann ein Schnitt auf den sterbenden Hirsch, danach der Wechsel zurück zur Gruppe im alten Cadillac, die heimkehrt in die Stadt, den Hirsch auf der Motorhaube festgezurrt. Alle sind wieder vereint, auch in der Bar bei lautstarken Späßen, auch bei der andächtigen Stille danach, als einer auf dem Klavier in der Ecke eine Nocturne von Chopin zu spielen beginnt. Die Gemeinschaft zeigt schon Risse, aber sie trägt noch, gerade noch.

Die obsessiven Momente der Jagd jedoch, die en détail zeigten, wie sehr Michael eine einzige Sache zu verfolgen weiß, diese Momente wirken nach. Als dann die Szenen nach Vietnam wechseln, bleibt klar, dass da einer im Zentrum der Ereignisse steht, der weiß, wer er ist und was er kann und was er zu tun hat. Das Unstete und Dunkle in ihm, das zu Beginn so strikt unter Kontrolle blieb durch den Hang zu Rituellen, bricht in Vietnam rasch aus: Schon in der ersten Szene, als er nach einer kurzen Bewusstlosgikeit erwacht, von Toten umringt und von einem Vietcong bedrängt, der zuvor eine Handgranate in eine zivilen Unterschlupf geworfen hat. Er greift zum Flammenwerfer, setzt damit den Gegner in Brand und feuert, als sei er von Sinnen, mit einer MP mehrere Salven auf den Toten ab. In der Sequenz zuvor, zwingen einige Vietcongs die drei Freunde zum Russisch Roulette. Ein Spiel zum Zeitvertreib für die einen, ein Kampf und Leben und Tod für die anderen. Cimino zeigt dies nicht als Skandalon, das die Vietnamesen verteufelt und die US-Boys verharmlost. Er nimmt die Situation als Metapher, die fortsetzt, was in Michaels Manie, jede Jagd mit nur einem Schuss abzuschließen, bereits angelegt ist: „Two is a pussy. A deer hast o be taken with one shot.“ Cimino verklärt die politische Lage nicht, er blendet sie schlichtweg aus, er konzentriert sich ganz und gar aufs individuelle Leid. So verdeutlicht er, dass ihn in erster Linie die konkreten Geschichten um die Männer aus Pennsylvania interessieren, niemand anderes, auch nicht die allgemeinen Fragen der Geschichte des Vietnamkrieges.

Bei der Jagd, so zeigt er, geht es vor allem die Auseinandersetzung mit den Kräften der Natur – was Michael als Frage seiner Identität begreift. In Vietnam hilft ihm dann seine One-Shot-Obsession, mit der Situation beim grausamen Spiel umzugehen, sie hilft ihm zu überleben und seine Freunde zu retten. Ihm gelingt es, sich den Weg freizuschießen, das Gesicht dabei völlig verzerrt, als könne nur mit Wahnsinn der Wahnsinn bekämpft werden. 1979 sorgten diese Szenen und Sequenzen auf den Berliner Filmfestspielen für einen Eklat. Die sowjetische Delegation verließ aus Protest gegen diese, wie es damals hieß, „einseitige Darstellung der Kriegsgreuel“ das Festival, und zahllose Kommentatoren (u. a. Peter Scholl-Latour) interpretierten rein politisch, was im Film ästhetisch angelegt ist. Die Erzählperspektive stellt klar, dass Cimino nicht die politische Schuld an diesem Krieg behandelt, sondern akzentuiert, wie sehr der Krieg im Einzelnen zerstört, verroht und krank macht. Die Frage lautet zudem: Wem von jenen, die wissen, dass dies ein imperialistischer Krieg war, vernebelt das Leid dieser Amerikaner das Bewusstsein davon, dass der Kampf der Vietnamesen ein Befreiungskrieg gewesen ist?

„The Deer Hunter“ ist gerade deshalb einer der wichtigsten Kriegsfilme, weil er nicht den Krieg mit den Mitteln des Krieges glorifiziert oder kritisiert, mit Explosionen und Granatfeuer und Kugelblitzen, sondern eine bitterböse Klage wagt über die physischen und psychischen Deformationen (und über die Ideologie, die dem Vorschub leistet), wie einst „The best years of our lives“ (1946) von William Wyler. Zudem erweist sich Cimino erstmals als ästhetischer Realist (was er in „Heaven’s Gate“, 1980, und in „Year of the dragon“, 1985, noch zuspitzen sollte), der – in der Tradition von Stroheim über Renoir bis zu Kubrick – auf visuelle Authentizität aus ist. Jedes Detail hat seinen stimmigen Platz: Gestik und Mimik der aus Russland stammenden Einwanderer in Pennsylvania, Gang und Haltung ihrer Körper, ihre Kleidung, ihre Räume, ihre Lieder und Gewohnheiten. Dazu die Schauplätze in der Fremde, die Hütten, die Uniformen, die Verhaltensweisen in den Extremsituationen. Auch die Probleme zu Hause, nach der Zeit in Vietnam werden im letzten Drittel des Films thematisiert. Etwa, wenn Michael heimkehrt und sieht, dass er mit einem lärmenden Fest empfangen werden soll; da lässt er sich ins nächste Motel fahren, ins River View Motel am Highway. Wo er dann ruhelos durchs Zimmer tigert, sich ständig an die Stirn fassend, als befürchte er, dass ihm der Kopf zerplatzt – bis er seinen Körper, gegen die Wand gelehnt, in die Hocke bringt, um nicht länger herumzutaumeln. Er fühlt sich, das wir mehr als deutlich, fremd in sich, verwirrt bis auf die Knochen. In einer anderen Szene weiß er nur harsch zu reagieren, als der heimgebliebene Kumpel Stan (John Cazale) mit einem Revolver herumfuchtelt. Michael reißt ihm die Waffe aus der Hand und überprüft sie. Als er feststellt, dass sie geladen ist, gerät er völlig außer sich: „You want to play games? Okay, I’ll play your fucking games.“ Er nimmt vier der fünf Patronen aus den Kammer, lässt die Trommel rotieren und hält dem Freund den Lauf an die Schläfe, ihn dabei zornig anschnauzend: „How do you feel now? Hah? Big shot?“ Er drückt ab, erwischt eine leere Kammer. So bleibt seine Rage ohne Folgen. Danach läuft er hinaus ins Freie und schleudert die Waffe in den nahe gelegenen See. So, als wolle er mit Gewalt einen Teil seiner Erinnerungen auslöschen.

Eine Vision vom Fremd-Werden in der Welt ist Ciminos „The Deer Hunter“, entzündet durch übersteigerten Patriotismus und zivilisatorische Hybris, eine Phantasie über überraschende Abgründe, Enttäuschungen in der Gemeinschaft und existentielle Desaster – über die Erfahrung, nur noch verlieren zu können. Am Ende kehrt Michael noch einmal zurück nach Vietnam; er hatte Nick nach dem Hochzeitsfest versprochen, ihn nicht in der Fremde zurückzulassen. Er findet ihn schließlich, apathisch, selbstvergessen, in einer Kaschemme in Saigon als professionellen Russisch-Roulette-Spieler, während um sie herum die Welt in Trümmern zu fallen scheint. Nick wirkt, als kenne er ihn nicht, und zwingt ihn damit zu seinem Duell in der tödlichen Disziplin. Michael drängt, schlägt und beschimpft den Freund („Hey, Nick, it’s me“), rüttelt ihn durch und stößt ihn weg („I came twelve thousand miles to get you“), bis er mit dem Revolver an der eigenen Schläfe ihm im Duell gegenübersitzt. „This is what you want?“ Er bedrängt und beschwört ihn: „Remember all the different trees? Remember that? The mountains?“ Er stöhnt, fragt, schreit, lacht und weint – und muss am Ende doch den Tod des Freundes hinnehmen. Nach dem Begräbnis in den USA kommen die Überlebenden noch einmal zusammen – kein grandioses, ausgelassenes Fest wie zu Beginn (oder auch wie jenes am Ende von Wylers Film), eher ein ungemütliches, unwirtliches Nebeneinander. Scheue Blicke, verlegene Gesten – und, zaghaft gesungen, die sentimentale Hymne an die Heimat, „God bless America“. „Ein piepsiger und kläglicher Abschied von großen, erstorbenen Gefühlen“, schrieb Karsten Witte dazu im März 1979. „So feiern keine Falken mehr, so rollen Geschlagene die Fahne ein.“ Nichts in diesen letzten Bildern aus God’s own country ist mehr, wie es zuvor war. Selbst Michael, der deer hunter, ist versteinert, hart und verschlossenen, ein geschlagener Krieger, der Uniform braucht, um die Fassung zu wahren. So werden die Wunden noch in der Bewährung sichtbar, die Verluste und Niederlagen beim Versuch zu überleben.

Cimino lieferte die Vorgeschichte für die Neurosen des Travis Bickle aus Scorseses „Taxi Driver“.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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