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Iwan, der Schreckliche (RU, 1943-45, S. Eisenstein)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 08.01.2007 17:41    Titel: Iwan, der Schreckliche (RU, 1943-45, S. Eisenstein) Antworten mit Zitat

gesehen am 07.01.2007 (DVD); 5/5

Sergej Eisenstein ist einer der einflussreichsten Filmemacher der Geschichte, der Lehrmeister der Filmmontage schlechthin. "Iwan, der Schreckliche" (Teil I und II) war Eisensteins zweiter Tonfilm und seiner letzter überhaupt. Er starb 1948. Ursprünglich plante er eine Triologie über das Leben Iwans dem Vierten - jenes Zaren, der im 16. Jahrhundert die Einigung und Ausbreitung Russlands bewirkte -, er konnte jedoch nur Teil I und II fertig stellen. Der Film war zu damaliger Zeit als Propaganda-Werk für Stalin gedacht, der sich vom ersten Teil noch begeistert zeigte, den zweiten Teil aber entschieden ablehnte, weil es offenbar auch für ihn zu viele Parallelen zum eigenen (brutalen) Regime gab.

"Iwan, der Schreckliche" ist kein peinlich genauer Historienfilm, sondern ein abstraktes, höchst stilisiertes Kammerspiel über eine Herrschergestalt, eine visuell komplexes Machtporträt, in welchem Shakespeare-Motive ebenso eine Rolle spielen wie Freuds Psychoanalyse oder die russische Ikonographie.
Der 1. Teil des Films zeigt den Aufstieg und die Krise Iwans. Er führt einen siegreichen Krieg gegen die Tartaren von Kasan, doch im Inneren ist er nur von Feinden umgeben. Vor allem die Bojaren, russische Adlige, stehen seiner Machtvision im Weg. Selbst seines einzigen Freundes Kurbski, der das Heer führt, kann er sich nicht sicher sein. Seine Frau Anastasia wird vergiftet und als Iwan schwer erkrankt, ist keiner der Bojaren bereit, seinem Sohn die Treue zu schwören. Iwan verlässt Moskau, um auf den Ruf des Volkes zu warten. Die letzte Einstellung des 1. Teils zeigt uns im Hintergrund eine lange Prozession des Volkes, das kommt, um Iwan zurückzurufen. Doch beherrscht wird das Bild von Iwans entschlossenem Gesicht in Großaufnahme.
Im 2. Teil findet Iwan neue Getreue aus dem Volk, allen voran seine Helfer Maljuta und Basmanow. „Umgib dich mit neuen Menschen, solchen die von unten kommen, solchen, die dir alles verdanken“, raten sie ihm. Und Iwan schafft sich aus jungen Männern aus dem Volk seine Elitetruppe, eine Geheimpolizei, eine gesichtlose dämonische Truppe, gehüllt in schwarze Kutten, die einen „eisernen Ring“ um den Zaren bildet. Diese Männer sind Iwans Vollstrecker. Die ersten Bojaren werden verhaftet und hingerichtet. Eisenstein zeigt die Kehrseite dieser Machtfülle. Iwan hat keinen Freund mehr, er klagt, dass er einsam und verlassen sei - der Preis für seine Macht. Eisenstein stellt sich in den Dienst der Propaganda, doch er zeigt zugleich die Schatten. Aber Propaganda verträgt nur Pathos, keine Wahrheit. Das konnte Stalin ihm nicht verzeihen.

Dramaturgisch fällt der 2. Teil deutlich gegen den ersten ab. Motive werden geknüpft, die keine Fortsetzung finden, Figuren werden eingeführt, um gleich wieder zu verschwinden, so wie Iwans früherer Freund Fjodor, der Priester wurde. Dies würde sich vielleicht anders darstellen, wenn der geplante 3. Teil noch vollendet worden wäre. In der vorliegenden Form bleibt das Werk ein Fragment. Der Film endet mit einem rauschenden Fest, bei dem die verbliebenen Bojaren Iwan ermorden lassen wollen. Der schwachsinnige Wladimir, der zum Nachfolger bestimmt ist, wurde auch eingeladen und plaudert Iwan gegenüber alles aus. Er ist der Narr, der als einziger nicht lügen kann. Iwan lässt ihm die Zarenkleider anlegen und so wird Wladimir an seiner Stelle ermordet und für Iwans Machtentfaltung gibt es keine Grenze mehr.

Der Film hat eine ganz eigene Bildsprache, die nichts mehr gemein hat mit jenem Meister der Montage, als der Eisenstein in die Filmgeschichte eingegangen ist. Es gibt keine spontane Bewegung, nicht einmal einen spontanen Blick. Es sind gerade die Gesichter, die einen großen Teil zu der pathetischen Atmosphäre des Films beitragen. Weit aufgerissene Augen, in die Ferne gerichtete Blicke, höhnisch verzogene Mundwinkel, theatralische Gesten - die Figuren stellen in jedem Augenblick ihre Emotionen und Absichten mit dem ganzen Körper dar. Unterstützt wird dies durch den meisterhaften aber exzessiven Einsatz von Licht und Schatten. Gerade Iwans Auftreten wird oft von seinem überlebensgroßen Schatten eingeleitet.
Es ist die Ästhetik des Stummfilms in vollendeter Form, die Eisenstein hier verwendet. Doch „Iwan der Schreckliche“ ist kein Stummfilm. Die Rede oder besser: die Deklamation spielt eine entscheidende Rolle. Vieles in diesem Film wirkt auch bühnenhaft: Personen treten auf, wie im Theater, sie stehen bei Dialogen neben- oder übereinander und blicken zum Zuschauer, wie auf der Bühne. Hinzu kommt, dass der Film ausschließlich in den Gemäuern des Kreml spielt und der Architektur kommt damit eine entscheidende Rolle zu: Es gibt höhlenartige Gänge und Hallen, erleuchtet von Kerzen und Fackeln, Türöffnungen sind so niedrig, dass man sich bücken muss. Jeder Augenblick des Films ist seiner Botschaft untergeordnet. Keine Figur ist einfach ein Mensch, sondern jede hat eine Funktion, ist Repräsentant einer Klasse oder einer Idee. Die Bojaren sind eine gleichförmige Masse, gleich gekleidet, mit den gleichen Bärten. Einzig ihre Wortführerin, Iwans Tante Jewrosinja ragt als Intrigantin heraus.
In deutlichem Kontrast dazu steht das einfache Volk, hier sehen wir lebendige Bewegungen und lachende Gesichter. Das Volk ist die Basis für Iwans Pläne. Wie später Lenin steht er inmitten der Menge und hält eine Rede. Iwan sieht sich als Verkörperung der Einheit des Volkes, somit kann es nur einen, seinen Willen geben. Das Volk ist begeistert und stimmt ihm zu. Doch sobald die Vertreter des Volkes in Iwans Bereich eintreten, erstarren auch sie zu Gleichförmigkeit.

"Iwan, der Schreckliche" ist, der Titel lässt es schon ahnen, mit Sicherheit nicht jedermanns Geschmack, zu düster, zu fremdartig und sperrig muss der Film wohl auch nach über sechzig Jahren auf ein großes Publikum wirken, für mich handelt es jedoch um einen absoluten Favouriten. Sein enormer Einfluss, vor allem auf zahlreiche Shakespeare-Verfilmungen, lässt sich kaum leugnen.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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