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Trois Couleurs: Bleu (F/PL 1993, K. Kieslowski)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 13.01.2007 01:47    Titel: Trois Couleurs: Bleu (F/PL 1993, K. Kieslowski) Antworten mit Zitat

gesehen am 12.01.2007 (DVD) und 10.12.2011 (BD); 4/5

Es beginnt mit dem Ende: Bei einem Autounfall überlebt nur Julie; ihr Mann, ein berühmter Komponist, und ihre kleine Tochter sterben. Nach dem ersten Schock handelt Julie gegen alle Erwartungen. Statt sich an Erinnerungen zu klammern, reißt sie sie entschlossen aus ihrem Leben. Keinen Fetisch ihrer großen verlorenen Liebe duldet sie, verkauft alles, was zur Vergangenheit gehört, vernichtet selbst die Noten zu einer unvollendeten Synphonie für Europa, tauscht sogar den Namen ihres geliebten Mannes gegen den ihrer Mädchenzeit.

Und als Krönung, wie um auch die letzten Spuren in ihrem Herzen und auf ihrer Haut auszulöschen, gibt sie sich noch einem anderen Mann hin - allerdings nur für eine Nacht, nur um dann aus seinem Leben zu verschwinden, wie es sich für eine blaue Farbe gehört.

Eine Farbe als Leitmotiv und atmosphärischer Grundton eines Films; Blau, die Farbe des Flüchtigen, Fernen und Unerreichbaren, Farbe von Trauer und Melancholie ebenso wie von Erotik und Verheißung: Auf Kieslowskis ersten, langen Zyklus zu den zehn Geboten, folgte ein zweiter, kürzerer, zu den Werten der französischen Revolution und wie sie sich mit den Farben der Trikolore verbinden. Und wieder hinterfragt er die Gültigkeit historisch überlieferter Ideale, indem er sie an das Alltagsleben im ausgehenden 20. Jahrhundert bindet.

Drei Farben: die erste ist blau. Sie dringt in die Atmosphäre, in die Luft und in das Wasser, das sich im Swimmingpool mit Julies Tränen mischt, verstärkt sich in Akzenten, in blauen Markisen, einem blauen Auto, und in dem einzigen Stück, das sie aus der Vergangenheit mitnimmt, einem Glasspiel, dessen blaue Steinchen im Licht funkeln und im Lufthauch klirren, das gleichermaßerm Orakel für das geschehene Unglück, wie Symbol für die Unerreichbarkeit ihres Glücks ist.

Schon früher erschien Juliette Binoche als Verkörperung der Farbe Blau, Kieslowskis Julie ist verwandt mit Leo Carax' Michelle in LES AMANTS DE PONT NEUF und mit Louis Malles Anna in DAMAGE. Immer wieder spielt sie diese vom Schicksal gezeichneten Frauen, in deren Hingabe der Abschied bereits eingeschrieben ist.

Aller Trauer zum Trotz gibt sich Julie zielstrebig und entschlossen, doch hinter der Fassade spürt man immer auch die Rätsel der Sphinx. Auf diese Weise spiegelt ihr Spiel auch den filmischen Stil von Kieslowski. Julies Blick überträgt sich auf den der Kamera, als würde die Gefühlsaskese, der sie sich unterwirft, direkt die Bilder prägen: Überflüssiges, Nebensächliches ist aus ihnen gefiltert wie aus ihrer Wahrnehmung. Und doch eröffnen sie, dem glasklaren Kalkül zum Trotz, immer wieder mehr als eine Möglichkeit der Auslegung.

Der ganze Film ist erfüllt von den Rätseln des Blau, bis hinein in die Episoden am Rande: Eine nächtliche Schlägerei auf der Straße, in deren Folge ein Mann hilfesuchend an alle Türen hämmert. Ein Junge, der Zeuge des Unfalls war und nun zum Boten des Jenseits wird. Ein Flötenspieler, der eine Melodie spielt, die er gar nicht kennen könnte, aus dem vernichteten Manuskript des toten Komponisten: Mehr noch als in Die zwei Leben der Veronika setzt sich die Musik über die Gesetze des Materiellen hinweg. Wie ein Sirenengesang dringt sie in Julies Leben, nicht um sie in den Tod, sondern zurück ins Leben zu locken.
Der erste Film der Trilogie spielt mit den Möglichkeiten der Freiheit, tastet ab, was sie 200 Jahre nach der Revolution, jenseits des großen politischen Entwurfs, im Bereich individueller Erfahrungen bedeuten kann. Julie wählt eine der extremsten Formen der Freiheit: die Einsamkeit. Sie versagt sich alle Verpflichtungen von Freundschaft und Liebe, lässt alles hinter sich; inmitten von Paris beginnt sie ein neues Leben zwischen den Zeiten, ohne Bekannte, ohne Freunde, ohne Beruf. Dabei entflieht sie nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft - nur um am Ende von beiden eingeholt zu werden. Sie ist nicht distanziert genug, um sich allen menschlichen Bindungen zu entziehen. Bei einer Aktion der Hausbewohner gegen eine Prostituierte verweigert sie ihre Unterschrift und gewinnt damit unfreiwillig eine Freundin: Immer ist der Zufall bei Kieslowski auch Schicksal.

Kieslowski zeigt die Freiheit als durch Besitz, Erinnerung, Geschichte bedroht. Längst scheint sie nicht mehr der höchste Wert der Menschen zu sein, unablässig stehen ihr die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche im Weg. Nur für begrenzte Zeit läßt sie sich verwirklichen, als Intermezzo zwischen den verschiedenen Phasen des Lebens.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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