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Psycho (USA 1960, A. Hitchcock)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 30.01.2007 13:20    Titel: Psycho (USA 1960, A. Hitchcock) Antworten mit Zitat

gesehen am 29.01.2007, 08.09.2009 (DVD) und 19.07.2015 (BD); 4/5

Die Sekretärin Marion Crane (Janet Leigh) unterschlägt 40.000 Dollar und macht auf ihrer Flucht in einem abgelegenen Motel Station, das der eigentümliche Norman Bates (Anthony Perkins) leitet, der mit seiner Mutter im Haus neben dem Motel lebt. Als Marion sich frisch machen will, wird sie während des Duschens erstochen. Nachdem ein Privatdetektiv, der ihre Spur gefunden hatte, ebenfalls verschwindet, begeben sich Marions Freund Sam und ihre Schwester Lila auf die Suche. In Bates Motel, machen sie eine grausige Entdeckung.

„Psycho“ markiert eine Wende in Hitchcocks Schaffen. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Film um eine Low-Budget-Produktion, ein grobkörniges, in Schwarzweiß gedrehtes B-Movie nach dem Vorbild zahlreicher billiger Horrorfilme, die sich damals zunehmend großer Beliebtheit erfreuten. Solche Filme vermochten, besser als teure Ausstattungsfilme, eine unheilvolle Vision vom grausam-irrationalen Untergrund moderner Lebensumstände zu vermitteln. Hitchcock setzte zudem darauf, dass sich die kostenmäßige Sparsamkeit in künstlerischer Ökonomie fortsetzen würde, die jeder Bildsequenz ihre definitive Funktion im ästhetischen Gesamtgefüge verleiht. Wohl nie kam der Regisseur seiner Lieblingsidee so nahe, eine Geschichte in ihre visuellen Bestandteile aufzulösen und eine komplexe Anordnung von bildhaften Entsprechungen herzustellen, die das Publikum emotional nicht mehr loslässt. Robert Blocks gleichnamige Vorlage lieferte dabei nur einige freudianisch beeinflusste Plotelemente, die nicht viel mehr als die klinische Fallstudie eines Massenmörders beinhalten. Hitchcock hingegen unterwirft den Zuschauer der Analyse und der Therapie, indem er ihn mit der Verwandtschaft von Normalität und Verrücktheit, mit dem allgegenwärtigen Zwang unbewältigter Familiengeschichten und der Pathologie des verbotenen Blicks konfrontiert.

„Psycho“ besitzt eine Fülle von Spiegelungen, gleichartig montierten Einstellungen, analogen Bildelementen und verbalen Echos. Sie alle verbinden die moderne amerikanische Alltagswelt der Highways, Büros und Motels mit dem Haus des Horrors und seinem psychotischen Bewohner Norman Bates. Der Name „Marion“ ist fast ein Anagramm von „Norman“, ihr Zimmer zu Hause ähnelt der Cabin One in Bates’ Motel. Ein Klient von Marions Chef reagiert auf Diebstahl mit sadistischen Bestrafungsphantasien, die bald darauf zur erschreckenden Realität werden. Die undurchsichtige schwarze Brille im harten, unbewegten Gesicht des Streifenpolizisten lässt die Figur wie einen Todesboten erscheinen, der das kommende Unheil ankündigt. Und als Marion durch die nächtliche Regenlandschaft fährt, zerschneidet der Scheibenwischer die Leinwand schon ganz in Voraussicht der tödlichen Klinge.
Der Mord unter der Dusche gehört zu den kühnsten Sequenzen der Filmgeschichte. Obgleich Hitchcock bei der Darstellung des Mordes auch das Potential für ein einmaliges Montage-Kunststück sah, faszinierte ihn vor allem die brutale Plötzlichkeit und Sinnlosigkeit, mit der mitten in der Erzählung die Hauptdarstellerin und primäre Identifikationsfigur beseitigt wird. Dies zerstörte alle Erzähl- und Dramaturgiegewohnheiten des Hollywoodfilms. Das Versteckte eines ominösen Geheimnisses besitzt zudem eine derart eruptive Gewalt, dass sich nach Hitchcock der Eindruck „eines alles zerfetzenden Messers“ einstellt, „so als ob es den Film zerfetzen würde“. In den insgesamt 70 Kamerapositionen, die für die 45 Sekunden benötigt wurden, wird jeder Detailrealismus (etwa von blutigen Einstichen) peinlich vermieden – die schockartige Attacke vermittelt sich über den stakkatoartigen Rhythmus der Einstellungswechsel, die kalkulierten Ausschnitte von Marions Körper und dem Messer, sowie die schrillen Geigen und zerrenden Cellos in der Musik von Bernard Herrmann. Berühmt geworden ist die abschließende Überblende vom runden Badewannenabfluss auf das tote Auge Marions, ein Bild, welches das ständig wiederkehrende Motiv des Sehens und Gesehenwerdens, des aggressiven und apathischen Blicks, auf makabre Weise variiert.

Die Erklärung des glatt agierenden Psychiaters gegen Schluss des Films (vielleicht die einzige Schwachstelle von „Psycho“) reduziert den Film (verbal) zum bloßen Fall; auf der visuellen Ebene weist der Film jedoch auf eine über die individuelle Krankengeschichte hinausgehende Dimension. Wenn es in „Psycho“ überhaupt eine „Erklärung“ gibt, mag sie in einer anderen Sequenz zu finden sein. Als Lila in dem viktorianisch anmutenden Haus gegenüber vom Motel – ganz offensichtlich ein Ort des Verbotenen wie im traditionellen Schauerroman – die Räume durchsucht, erforscht sie gleichzeitig den Urgrund der psychotischen Veranlagung von Norman Bates, der gerade Sam von seiner Kindheit erzählt: „Meine Mutter und ich waren mehr als glücklich.“ Die Kamerafahrten durch das viktorianische Dekor eines Glücks, das wir uns als unablässigen Schrecken vorstellen müssen, gehört zu den tiefgründigsten und poetischsten Sequenzen, die Hitchcock je gedreht hat: eine Welt der Objekte, auf denen der Fluch einer qualvollen Familiengeschichte liegt, ein biographischer Raum, der ein Klima eingeschlossener Sexualität beschwört.

Wenn in der letzten Einstellung Marions Auto aus dem Sumpf gezogen wird, mit der Überblendung auf einen grinsenden Totenkopf, entlarvt sich der Film als schwarze Komödie, die sich auf eine unheimlich-irrsinnige Weise über den Zuschauer und seinen Schrecken lustig gemacht hat (Hitchcock sprach von einem „fun-picture“!). Zugleich ist es ein Werk, das wie kein anderes in der Geschichte des amerikanischen Kinos Elemente populärer Kunst mit solchen der Avantgarde vereint, das als rüder Schocker grundlegende Aussagen über die verborgenen Schrecken und offenen Missstände in der modernen Gesellschaft trifft.

“Psycho” ist wahrscheinlich nicht mehr so schockierend wie vor 50 Jahren, aber er hat nichts von seiner Wirkung als filmisch brillanter Thriller eingebüßt, der in den Jahrzehnten seit seiner Veröffentlichung einen gewaltigen Einfluss auf Kino und Fernsehen hatte – sei es wegen des brutalen Mordes, der Beseitigung der Hauptfigur in der Mitte des Films oder wegen der wendig-bedrohlichen Filmmusik von Bernard Herrmann. Es ist einer der Filme, die – wenn man dafür zugänglich ist – unvergesslich bleiben und immer wieder begeistern. Es ist Hitchcocks dunkelster, fiesester „Scherz“ und eine der Filme, die ihn unsterblich machen.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."


Zuletzt bearbeitet von Rene am 14.08.2022 14:31, insgesamt 7-mal bearbeitet
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 31.01.2007 20:25    Titel: Antworten mit Zitat

Noch einige Anmerkungen von mir:

Über den gesamten Film ist der exzellente Dialog (Joseph Stefano) mit geistreichen Bemerkungen gespickt, welche die Gesellschaftskritik des Film zusätzlich untermauern und zur Atmosphäre beitragen: „Kopfschmerzen sind wie gute Vorsätze. Du vergisst sie, wenn sie aufhören weh zu tun“; „Die Leute meinen es ja immer gut. Sie klacken mit ihren Zungen und nicken mit ihren Köpfen und machen ihre ach so feinfühligen Vorschläge.“; und dann sind noch einige ironische Auszüge wie: „Ich sage immer: Insekten oder Menschen, der Tod sollte stets absolut schmerzfrei sein“ und Lilas Behauptung: „Mit einer kranken alten Frau werde ich schon fertig“. Das Skript hat vor allem auch die besondere Qualität aus Norman Bates einen glaubwürdigen, eigenständigen Charakter zu formen. Er hat unsere Sympathien während der ersten Hälfte des Films, wenn er seine bedauernswerte Lebenssituation beschreibt – er stimmt mit Marion überein, wenn er sagt: „Wir sind alle in unseren privaten Fallen gefangen und keiner von uns kann ihnen jemals entkommen.“ Sogar am Ende noch widerhallt dieser Satz, wenn wir begreifen, dass die Lebensfalle, die Norman definiert, sich in seinem Kopf befindet. Norman Bates wird nicht als klassischer Bösewicht dargestellt, selbst gegen Ende, als Sam ihn einschüchtert, neigen wir dazu, mit Norman mitzufühlen (was auch an der kalten Darstellung von John Gavin als Sam liegt), selbst wenn er Unverzeihliches getan hat.

Selbst wenn innerhalb der ersten Hälfte der Handlung zunächst relativ wenig passiert, geben Hitchcock und sein Kameramann John Russell immer wieder Hinweise oder kleine Ablenkungsmanöver (die den Film komplexer machen) in Form von Detailbeobachtungen wie z. B. die anzügliche Art wie der texanische Millionär mit Marion flirtet, der geschwätzige Autoverkäufer in der Provinz oder die bedrohliche Erscheinung des Polizisten. Sobald die Ereignisse sich aufstauen und die Story zum Kern kommt, lässt Hitchcock keine Möglichkeit aus, die Spannung hochzukurbeln und Russells monochrome Lichtgestaltung steht für eine Studie der Schwermut, die gleichzeitig stets unaussprechliche Gefahr anzudeuten scheint.
Jede dunkle Ecke im Bates-Haus scheint ein Geheimnis zu beherbergen. Man achte auch darauf, wie Normans Gesicht häufig im Halbschatten gehalten wird, so als ob das Wissen über seine schizophrene Persönlichkeit schon lange vor der Erklärung des Psychologen bestehen würde. Im Übrigen ist es diese „verbale“ Erklärung am Schluss, die dem Film einen Schwachpunkt zufügt. Es ist nicht so weitreichend schlimm, als dass es dem Film seinen Status als Meisterwerk streitig machen könnte, aber diese lange Erläuterung bringt nichts, was der Zuschauer an diesem Punkt nicht schon selbst herausgefunden hätte. Man könnte spekulieren, dass Hitchcock – im Interesse eines weniger aufmerksamen Publikums z. B. in den Autokinos – eine vollständige psychologische Erklärung für das unfassbare Geschehen einfügen wollte (dass auch ja alle den Film verstehen) oder ob der zu allen Albernheiten aufgelegte Regisseur einfach nur (für damalige Verhältnisse) so unanständige Wörter wie „Transvestit“ in einen amerikanischen Mainstream-Film (unter dem Deckmantel eines medizinischen Sachverhalts) einbringen wollte. Glücklicherweise gerät der Film in den letzten Einstellungen wieder zu seinem souveränen filmischen Stil zurück, wenn uns Norman Bates Mutter, isoliert in einer leeren, steril wirkenden Zelle, ihre letzte Aussage gibt und uns dabei versichert, dass sie keiner Fliege je etwas zu Leide tun könnte. Kurz darauf blendet sich für einen kurzen Moment ihre grinsende Totenmaske über das Gesicht ihres Sohnes Norman Bates ein.
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