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The Innocents (GB 1961, J. Clayton)

 
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Rene



User seit: 25.08.2006
Beiträge: 3171

BeitragVerfasst am: 02.02.2007 12:48    Titel: The Innocents (GB 1961, J. Clayton) Antworten mit Zitat

gesehen am 27.12.2006, 12.01.2007 (DVD) und 17.11.2011 (BD); 5/5

England, Ende des 19. Jahrhunderts: Die Gouvernante Miss Giddens wird in einem entlegenen Landhaus mit der Erziehung der wohlerzogenen Waisenkinder Flora und Miles beauftragt. Voller Eifer widmet sich Miss Giddens der Arbeit, die Kinder sind gehorsam, doch der wohlige Schein trügt: Furchtbares hat sich bereits in dem Landhaus ereignet. Mysteriöse Umstände und geisterhafte Erscheinungen lassen die Gouvernante befürchten, die beiden Kinder seien besessen...

Als eine der großartigsten und beunruhigendsten Geistergeschichten, die je geschrieben wurden, ist Henry James’ „The turn of screw“ auch gleichzeitig eine der am häufigsten als Vorlage benutzen Geschichten dieser Gattung. Neben dem recht gelungenen „The Others“ (2001) von Alejandro Almenábar und zahlreichen anderen Fernsehverfilmungen ist Jack Claytons Verfilmung „The Innocents“ einer der besten Filme des Horrorgenres überhaupt. Was all diese übernatürlichen Geschehnisse so aufreibend macht und dafür sorgte, dass sowohl James’ Geschichte als auch Claytons Film ihre Zeit überdauerten, ist die Tatsache, dass man sich zu keinem Zeitpunkt über den Ursprung der Ereignisse sicher sein kann bzw. nicht darüber, ob es überhaupt real ist oder nur den Einbildungen der Gouvernante entspringt. Alles ist verschleiert in Andeutungen und Geheimnissen, angefangen bei den Geschichten um den Onkel der Kinder, Quint, und den unbekannten Umständen, die zum Tod der Eltern führten bis hin zum Tod der Vorgängerin von Miss Giddens, Miss Jessel. All diese rätselhaften Eindrücke und dazu ihre Sorge um das Wohlergehen der Kinder haben tiefgreifende (psychische) Auswirkungen auf Miss Giddens.

Die traditionelle Sichtweise der Geschichte, von der ich glaube, sie ist nach wie vor die überzeugendste, ist die freudianische Interpretation von Edmund Wilson, bei dem die Geschehnisse von der Hysterie einer sexuell verklemmten, viktorianischen Gouvernante herrühren. Clayton zeigt die Geistererscheinungen stets neutral, d. h. wir sehen Miss Giddens und in der nächsten Einstellungen die Erscheinung von Quint z. B. auf dem Turm, auf dem Miles gerade mit seinen Tauben spielt oder den Geist von Miss Jessel am See, wo gerade Flora spielt – nie aber sehen wir die handelnden Personen mit den Geistererscheinungen im Bild. Auf diese Weise hält der Film offen, ob es sich um die Realität oder die Einbildungen von Miss Giddens handelt. Vieldeutig wird der Film dadurch auch in Hinblick auf die verdrängte Sexualität von Miss Giddens: von Anfang an unterdrückt sie ihre Gefühle, z. B. zu Beginn während des Vorstellungsgesprächs mit dem Vormund der Kinder (eindrucksvoll: Michael Redgrave), die sexuell anzüglichen Eskapaden des Onkels Quint, von denen sie erfährt, die mögliche Eifersucht auf die junge, schöne Miss Jessel. Auch die Konfrontation mit dem malerischen Landsitz in Bly, dessen Schönheit sie überrascht, lässt sie schnell an den Kontrast zu ihrem früheren Leben zurückdenken: ein Leben des Verzichts und der Restriktion. Ihre emotionale Folter (bedingt wohl auch durch eigenes Verlangen) projiziert sie auf die Kinder; sie glaubt, deren Unschuld sei bedroht und sie müsse zu deren seelischen Rettung einschreiten.

Was so wunderbar ist an Claytons Film – im Übrigen wurde das Skript von Schriftsteller Truman Capote (nach William Archibalds Bühnenadaption) sehr einfühlsam (nach filmischen Prinzipien) ausgearbeitet – ist, dass er dem Zuschauer erlaubt, die Geistererscheinungen einerseits als vollkommen imaginär oder eben andererseits als physische, tatsächliche Offenbarungen des Übernatürlichen zu betrachten. Ob nun Geister oder reale Personen, der Einfluss von Quint und Miss Jessel hat in jedem Fall reale und schlimme Konsequenzen. Wurden die Kinder vielleicht vom Hauspersonal, das auf sie aufpassen sollte, sexuell missbraucht? Wurden Miles und Flora tatsächlich unheilbar seelisch verdorben? Oder sind es der übertriebene Beschützerinstinkt und die labile Psyche der Miss Giddens, die den Grund für das sich zuspitzende Grauen bilden? All diese möglichen Erklärungen werden konsequent offen gehalten – durch Darsteller, Szenenbild und Inszenierung. Deborah Kerr gibt als Miss Giddens eine für sie typisch nuancierte Darstellung; nie ist man sicher, ob ihre Verunsicherung und Verstörung von ihrer Vergangenheit oder von dem, was sie in Bly erlebt, herrührt. Auch die Kinder, Martin Stephens und Pamela Franklin, werden auf natürliche Weise gespielt – nicht als dämonische Erscheinungen zerstörter Unschuld – so ist ihr Anteil an dem, was passiert ist (wenn überhaupt je etwas passiert ist) nie gewiss. Clayton erhöht die Spannung äußerst vielseitig durch filmische Details: durch das Spiel mit Licht und Schatten, durch Geräusche wie das Kratzen eines Stiftes auf einer Schiefertafel, schaurige Lieder, die aus einer Musikbox dringen, weiße, welkende Rosen, brüchige Statuen von Engeln und Nymphen, Insekten, die das Erdreich der pittoresken Gärten von Bly bevölkern und das Schattenreich der dunklen Geheimnisse und Verdorbenheit verkörpern, das unter der Oberfläche des vornehmen englischen Anstandes brodelt.

Derartige stilistische Eigenschaften rufen die Filme von David Lynch („Lost Highway“, „Mulholland Drive“) in Erinnerung, auf den der Film einen großen Einfluss gehabt haben muss. Die visuelle Gestaltung (Kamera: Freddie Francis) ist ungewöhnlich: der Film wurde in Schwarz-Weiß und CinemaScope gedreht – die Kamera nutzt hier ein hohes Maß an Tiefenschärfe mit doppelten Brennpunkten und fließenden Überblendungen (es gibt nur ein oder zwei harte Schnitte im ganzen Film). Die monochromen Töne und der manchmal silbern-verschwommene Schimmer der Schwarzweiß-Fotografie haben eine suggestive Kraft und vermitteln eindrucksvoll die dunklen Schatten und das feinziselierte, geisterhafte Böse des Viktorianischen Horrors sowie die Zerstörung der „blütenweißen“ Unschuld.
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"Film is like a battleground: love, hate, action, violence, death. In one word: emotion."
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